Donnerstag, 26. Dezember 2024

Was bedeutet eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz in der Praxis?

Die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz gilt so manchem in Union und SPD als legitime Waffe, um den Erfolgszug der gefürchteten Oppositionspartei endlich zu stoppen. Das scharfe Schwert der wehrhaften Demokratie als Werkzeug in der Hand der Regierung? Was bedeutet das in der Praxis? Ein Gastbeitrag von Reinhard Rupsch

Derzeit herrscht spürbar Unruhe in der Alternative für Deutschland (AfD) angesichts der Gefahr, dass es tatsächlich zu einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz (VS) kommen könnte.

Wer blauäugig an diese Thematik heran geht, der mag eine schiere Beobachtung für harmlos halten: die Polizei beobachtet den Verkehr, der Hausdetektiv die Kunden im Warenhaus und der Verfassungsschutz die politisch Handelnden bei dem, was die so tun oder lassen. Wenn man nichts Böses tut, dann könnte einem das doch egal sein?

Weit gefehlt! Um die Stigmatisierung zu begreifen, die mit einer Beobachtung durch den VS verbunden ist, muss man sich Methoden, Tiefe der Recherche und Zielsetzung genauer anschauen.

Methoden

Der Anfangsverdacht ist schon eine Wertung. Beobachtet wird – rechts wie links und auch bei Religionsgemeinschaften wie dem Islam – erst, wenn Aussagen, bekannte Ziele und Vorkommnisse als mutmaßlich staatsfeindlich gewertet wurden.

1. Beobachtung durch Lesen öffentlich zugängiger Quellen.
Die rechts-konservative Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT (JF) wurde 10 Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet. Mehr als sie zu lesen hat der VS vermutlich nicht unternommen. Dass Telefone abgehört wurden ist zwar nicht auszuschließen, wahrscheinlich ist es nicht.
Gefunden wurde nichts, was irgendwie die diese Überwachung gerechtfertigt hätte.

2. Beobachtung mit geheimdienstlichen Mitteln.
Die Beobachtung der REPUBLIKANER (REP) erfolgte von 1992 bis 2004 in dieser Form. Es wurde also nicht nur die Parteizeitung gelesen sowie Flugblätter und Rundschreiben ausgewertet, es wurden Informanten eingeschleust, Aufzeichnungen von internen Versammlungen analysiert und Bewegungsprofile von Leistungsträgern der REP erstellt.

Nachdem die REPUBLIKANER ihren fragwürdigen Protagonisten Franz Schönhuber 1994 nach einem Jahr Rangelei los geworden waren, hätte aus heutiger Sicht die Überwachung der Stufe 2 eingestellt werden können: Diejenigen Rechtsausleger, die mit Aussagen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auffällig geworden waren, hatte die Partei mit Nachdruck aussortiert.

So kam es zu dem seltsamen Umstand, dass in dem Verfassungsschutz-Jahresbericht stets nur Auffälligkeiten von Personen aufgeführt wurden, die zum Zeitpunkt des Erscheinens längst nicht mehr Mitglied der REP waren. Wohlgemerkt: die Republikaner wussten ja gar nicht, welcher Parteigänger jetzt in das Netz des VS geraten war – und hatten sich dennoch erfolgreich aus eigener Kraft gereinigt.

3. Beobachtung und Infiltration durch Agents Provocateurs (AP).
Das Einschleusen von Personen in eine Organisation, die dort selbst Straftaten begehen um sich zu legitimieren und sogar andere zum Mitmachen anstiften, kennen wir aus Mafia- und Agentenfilmen – und aus dem Verbotsverfahren gegen die NPD.

Für eine Demokratie und einen Rechtsstaat ist das Einschleusen von APs eine Gratwanderung. Im Fall der NPD stellte sich heraus, dass die eingeschleusten Maulwürfe und aktiven Agenten das rechte Maß überschritten hatten. Viele Straftaten, viele staatsfeindliche Aktionen wären gar nicht geschehen, wenn nicht der Verfassungsschutz die Fäden gezogen hätte.

Leitende Verfassungsschützer rühmten sich Ende der 90er Jahre, die Gremien der NPD einschließlich der Landesvorstände wären beschlussunfähig, wenn der VS alle seine Agenten aus den führenden Positionen zurück zöge. Im Verbotsverfahren gegen die NPD stellten sich 13 von 15 Kronzeugen als VS-Agenten heraus! Dadurch scheiterten die Verbotsanstrengungen auf peinlichste Weise.

Wir sehen also, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit den Methoden zu 1. und 2. erhebliche Verletzungen von Persönlichkeits- und Freiheitsrechten mit sich ziehen kann. Eine Partei, die beobachtet wird, kann ihrer vom Wähler übertragenen Aufgabe nicht mehr im erforderlichen Maß nach kommen.

Ich selbst halte die Schranken für solche Geheimdienst-Tätigkeiten für äußerst unzureichend. Hier müsste eine neutrale gerichtliche Institution den Vorgang laufend überwachen.

Wie sieht es aber mit der ersten Stufe der Beobachtung durch den Verfassungsschutz aus? Ist sie so harmlos und – bei korrektem Verhalten des Observierten – so folgenlos wie es scheint?
Nein, denn die öffentliche Wahrnehmung ist eine völlig andere.Der Normalbürger geht also nach dem Prinzip “kein Rauch ohne Feuer” davon aus, dass im Falle einer Beobachtung bereits Erkenntnisse vorliegen, die das Objekt der Observierung unwählbar erscheinen lassen.

Bei der unter 1. genannten JUNGEN FREIHEIT bedeutete die Überwachung, dass sich keine Anzeigenkunden mehr fanden, die in der JF inseriert hätten. Die Zeitung wurde dadurch mehr als doppelt so teuer als sie es mit Anzeigen hätte sein können. Es wäre beinahe ihr Ruin gewesen.

Die unter 2. genannten REPUBLIKANER gerieten allein durch das Stigma der VS-Beobachtung in erhebliche personelle und organisatorische Schwierigkeiten – auch ohne dass der VS hier steuernd eingriff.

Personell dadurch, dass jeder, der sich für die REP einsetzte, mit Nachteilen am Arbeitsplatz, im Bekanntenkreis, in der Nachbarschaft, ja sogar für seine Kinder in der Schule rechnen musste. Die Partei ging sämtlicher Ressourcen der Leistungsträger aus dem öffentlichen Dienst verlustig. All die Lehrer und sonstigen Fachleute des öffentlichen Dienstes brachen ihre Kontakte ab oder traten aus. Junge Mitglieder wurden von ihren Arbeitgebern bei Anstellung zu Unvereinbarkeitserklärungen genötigt und waren für die REP verloren.

Ich selbst wurde kurz nach meinem Parteieintritt auf einem Infostand von meiner Chef-Sekretärin gesehen. Am Montag darauf war mein Engagement für die REP überall bekannt. Da ich in einem großen öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut arbeitete, hatte das natürlich einen schmerzhaften Karriereknick zur Folge.

Dieser Verfolgungsdruck führt auch dazu, dass nur die ganz harten, radikalen, die Desperados bleiben. Wer etwas zu verlieren hat, dessen Idealismus wird schnell an die Grenze kommen und aufgeben. Eine Partei, die sich mehrheitlich aus solchen Leuten zusammensetzt, ist zu demokratischen Entscheidungsfindungen bzw. konkreter Politik nicht mehr fähig. Cui bono?

Genau so schlimm war das organisatorische Problem:
Da die REP nur in Baden-Württemberg im Parlament vertreten waren, konnten sie anderswo nicht auf öffentliche Räume für ihre Versammlungen zurück greifen. Gastwirte wollten mit diesen Rechtsextremisten nichts zu tun haben und knickten zudem schnell unter dem Druck öffentlicher Repräsentanten ein.

Durch die staatliche Observierung fühlten sich linksextreme Kräfte ermutigt, Funktionsträger der REP anzugreifen und zwar in einem Maß, das noch höher lag, als es bislang den Leistungsträgern der AfD passiert ist – und das will etwas heißen!

Wir sehen also, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, so wie sie aktuell für die AfD gefordert wird, selbst in der niedrigsten Stufe bereits schmerzhafte Auswirkungen für die politische Arbeit ein jeder Partei hat. Ich glaube, dass dies schlicht auch so gewollt ist.

Da die vollmundige Ankündigung der etablierten Parteien im Sande verlaufen ist, die AfD im Parlament zu ”stellen”, wird jetzt der Inland-Geheimdienst bemüht? Es wäre nicht nur mit Blick auf die Demokratie fragwürdig. Das ist für die Altparteien ein Offenbarungseid!

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Reinhard Rupsch, Jahrgang 1949, Bankfachwirt, war von 1992 bis 2004 in verschiedenen Führungsebenen der REPUBLIKANER tätig, zuletzt als geschäftsführender stellvertretender Landesvorsitzender in NRW.

 

PP-Redaktion
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