Mittwoch, 25. Dezember 2024

Verwundet …

Gedanken von Patrizia von Berlin, einer „Betroffenen“ zum gestrigen Weihnachtsmarkt-Terrorakt

ich trinke meinen Espresso, wie jeden Morgen, und sehe, wie jeden Morgen, die Lichter der Gedächtniskirche in der Nähe.
Warum kommen mir heute die Tränen bei diesem Anblick?
Ich glaube, weil es nicht abstrakt ist.
Es ist mein Kiez.
Ich kenne jeden Quadratmeter auf dem Markt.

Die Wirtin aus Bremen, die den Stand mit der Feuerzangenbowle hat, geht mir nicht aus dem Kopf.
Uns verbindet seit Jahren ein Ritual. Sie frotzelt über meinen kurzen Rock auch im Winter und ich erkläre ihr, dass ich eine superwarme Thermostrumpfhose trage, die weitaus wärmer sei als ihre Hose. Ihr Stand, das weiß ich, war trotz eines Abstandes von nur wenigen Metern absolut sicher, weil er auf der 2. Ebene steht, 3 Meter darüber.
Von meinem Lieblingsplatz an einem der drei hinteren Tische hätte ich das Grauen mitansehen müssen.

Und es gab Winter, da war ich 20x dort gesessen.
Es ist mein Kiez.
Ich fühle mich dort wohl, glücklich.

Ich mag dieses Gewusel der Touris aus allen Ländern, dieses lebendige Zentrum Berlins, das für Andere Sehenswürdigkeit ist, für mich der Platz, wo mein Drogeriemarkt, mein Saturn, mein Douglas und mein Feuerzangenbowlenstand ist.
Habe ich Angst, dass das für mich künftig anders sein wird?
Dass ich künftig, wenn ich über den Breitscheidplatz ins Bikini laufe, die Bilder von gestern Abend vor mir sehe?

Ich denke an David und wie er über Nizza sprach. Eine Stadt zu der er eine emotionale Bindung hat. Und wie es sich vor und nach einem solchen Angriff anfühlt.
Ich will das nicht.
Wenn der Markt nicht geschlossen wird, gehe ich heute Abend eine Feuerzangenbowle trinken.
Auch wenn ich Angst habe, dass mir die Tränen über die Wangen laufen werden.
So wie jetzt.

(c) Foto: quapan [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Patrizia von Berlin
Patrizia von Berlinhttps://philosophia-perennis.com/
Für die Freiheit nicht lügen zu müssen. Eine Lebensweisheit, die ich vor vielen Jahrzehnten von Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) erhielt. Ich lernte, was das Wichtigste für ihn war, als er in den freien Westen ausgesiedelt wurde. Nicht Reisen, nicht die Genüsse der Welt. "Dass ich nicht mehr lügen muss", war seine Antwort.

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