Linke fühlen sich fast immer anderen moralisch überlegen. Doch inwieweit ist dies tatsächlich gerechtfertigt? Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz
Könnte es sogar sein, dass wir es hier in Wahrheit mit einer Form der moralischen Minderwertigkeit und tief internalisierten Mustern zu tun haben, die um einer in der Zukunft antizipierten in höchstem Maße fragwürdigen Gerechtigkeit willen im Hier und Jetzt unzählige Ungerechtigkeiten begehen, so dass letztlich die Ungerechtigkeit selbst mehr und mehr zu ihrem inneren Wesen wird?
Linke sind keine „Gesinnungsethiker“, sondern Teleologen
„Weltanschauliche Auseinandersetzungen sind so etwas wie ein ‚kalter‘, abgemilderter oder auch ins Zivilisierte transformierter Bürgerkrieg. Den generell selbstreflektionsschwachen Linken fehlt dafür notorischerweise das Bewußtsein, sie betrachten Opposition gegen ihre schönen Ideologien und Taten, die sie für selbstverständlich halten, als unerklärliche Niedertracht. Zugleich bedürfen sie der ‚Rechten‘ (oder des Strohmanns, den sie sich gebastelt haben), um sich selbst eine Legitimation, einen Sinn, einen Gegensatz zu geben“,schreiben Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld in ihrem sehr lesenswerten Buch Mit Linken leben.
In der Tat, weil sie sich selbst, ihre Position und ihre Ziele für absolut gut halten, halten die Linken sich zugleich dafür legitimiert, diese Ziele mit allen Mitteln durchzusetzen. Insofern ist die Analyse der sehr geschätzten Rolf Peter Sieferle, Alexander Meschnig und anderer, deren Analysen ansonsten bisweilen grandios sind, in diesem Punkt, es handle sich um „Gesinnungsethiker“, denen es nur um ihre edle Gesinnung gehe und die die Konsequenzen ihrer Handlungen ausblenden würden, völlig in die Irre. Ja, das sind komplette Fehlanalysen.
Der Ausdruck „Gesinnungsethiker“ stammt übrigens von Max Weber, der selbst gar kein Ethiker war und der ihn in einem ganz anderen Kontext aufbrachte. In Wahrheit ist es genau umkehrt. Linke denken gerade vom Ende, denken völlig vom Ziel (griech.: Telos) her. Womit wir es hier also zu tun haben, sind Spielarten von teleologischen Ansätzen (bei Lawrence Kohlberg Stufe 5 der Moralentwicklung).
Manchmal muss man sich über das Recht hinwegsetzen – die Frage ist, mit welcher Rechtfertigung
Daher fühlen Linke sich auch legitimiert, sich über bestehendes Recht hinwegzusetzen. Die Orientierung an Law and Order (Gesetz und Ordnung oder Recht und Gesetz) wäre bei Kohlberg Stufe 4, die Stufe, auf welcher die meisten geistig gesunden Erwachsenen urteilen. Manchmal muss man sich aus moralischer Sicht tatsächlich über das Gesetz hinwegsetzen, denken Sie etwa an den Stalinismus, den Maoismus, das Dritte Reich oder an die Scharia.
In Schreckensregimen kann man sich gerade nicht wie der KZ-Wärter auf Recht und Gesetz berufen. Man verhält sich dann zwar gesetzestreu und bekommt selbst keine Schwierigkeiten, moralisch richtig ist das aber deswegen noch lange nicht. Insofern waren natürlich die Widerstandskämpfer der Weißen Rose, derer wir noch viel mehr gedenken müssten, unglaubliche Helden, weil sie sich aus ethischen Prinzipien heraus, über die NS-Gesetze hinweggesetzt und diese bekämpft haben.
Aber selbst in demokratischen, rechtsstaatlichen Gesellschaften kann es manchmal notwendig werden, nicht aus egoistischen, sondern aus moralischen Gründen das Gesetz (Stufe 4) nicht zu beachten. Denken Sie beispielsweise an Helmut Schmidt bei der Flutkatastophe in Hamburg, als er die Bundeswehr, gesetzes- und verfassungswidrig im Innern einsetzte, um so viele Menschenleben zu retten. Kaum jemand käme hier auf die Idee, von einer moralischen Verfehlung zu sprechen. Helmut Schmidt hat das Recht gebrochen, ja, aber er hat natürlich nicht moralisch gefehlt, ganz im Gegenteil! Das war ja auch jedem sofort klar.
Das zeigt übrigens, dass wir fast alle ein feines sittliches Gespür in uns tragen, welches es aber zu pflegen und zu entwickeln gilt und nicht zu deformieren. Letzteres machen gerade manche religiöse Weltanschauungen (vor allem eine) und Ideologien sehr oft. Im Gesetzesbruch liegt also nicht das eigentliche Problem. Das Problem liegt darin, mit welcher Rechtfertigung das Recht gebrochen wird. Es handelt sich bei ihrem ethischen Konzept nämlich um eine mindere Form eines teleologischen Ansatzes.
Die minderwertige teleologische Ethik der Linken
Die beste teleologische Ethik ist wohl der Utilitarismus, eine Nützlichkeitsmoral (englisch: utility, lateinisch: utilitas = Nutzen). Dieser besagt, gut ist, was das größtmögliche Glück aller herbeiführt. Hier wird also auf eine Empfindung, auf ein Gefühl abgestellt. Und die Gefühle aller von der Handlung Betroffenen sollen in eine optimale Netto-Nutzenbilanz gebracht werden.
Hier stellen sich verschiedene Probleme, zum Beispiel: 1. Messen Sie mal Empfindungen und summieren die auf. Wie soll man das Glücksempfinden aller von der Handlung Betroffenen messen, vor allem auch noch langfristig? 2. Was soll maßgebend sein, a) was die Leute präferieren, was sie wollen, was sie sich wünschen, oder b) was sie tatsächlich am meisten glücklich macht? Das geht oft auseinander. Denken Sie an Kinder, die nach dem dritten Eis auch noch ein viertes und fünftes wollen, bis es ihnen schließlich furchtbar übel wird.
Solche Muster gibt es natürlich auch bei Erwachsenen. Bei Suchtkranken gehen Präferenz und langfristiges Glück sogar oft völlig auseinander. Was ist nun maßgebend, was A haben will oder was ihn tatsächlich glücklich macht? Wenn Sie sich für Letzteres entscheiden, entmündigen Sie A aber. 3. Vor allem aber erlaubt dieser Ansatz, dass Einzelne für das Glück der Masse regelrecht geopfert werden. Das gibt dann in der Summation der Glücksempfinden nur ein Minus, aber viele Plus. Damit können dann absolut schreckliche Dinge gerechtfertigt werden, weil es ja vielen nutzte.
Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine sehr reiche Tante und wissen, dass Sie als ihr Alleinerbe eingesetzt sind. Die Tante lässt Ihnen und Ihrer Familie immer wieder was zukommen, Sie leiden aber schrecklich in ihrem Job, würden ihre Kinder gerne auf eine Privatschule schicken, weil sie in der staatlichen Schule von bestimmten Kindern ständig gemobbt werden, was wiederum ihren Partner sehr unglücklich macht. Ihre Tante erfreut sich aber bester Gesundheit und wird voraussichtlich noch sehr lange leben. Nun gehen Sie nachts hin, geben ihr im Schlaf eine Spritze, so dass sie nie wieder aufwacht. Sie erben, können endlich ihren verhassten Job hinschmeißen, die Kinder von dieser schrecklichen Schule nehmen und spenden sogar noch einen Teil des Geldes für wohltätige Dinge.
Gesamtnutzenbilanz: Sie selbst, ihr Partner, ihre Kinder und viele andere haben von dieser Handlung enorm profitiert. Allen geht es besser als zuvor, alle sind viel glücklicher. Und die Tante hat ja gar nichts gespürt, keinerlei Schmerz, nichts. Sie hatte gar keine Gelegenheit mehr, unglücklich zu sein. War diese Tötung als moralisch gut, war sie ethisch gerechtfertigt? Der Utilitarist würde jetzt wohl sagen müssen: Ja, war sie. Wahrscheinlich merken Sie spätestens an der Stelle: Mit dem Ansatz stimmt was nicht. Er ist nicht schlecht, hat durchaus einiges für sich, ist aber offensichtlich nicht der Weisheit letzter Schluss.
Die Opferung der Gleichbehandlung aller jetzt für das Ziel der erträumten Herstellung der Gleichheit in der Zukunft
Der Utilitarismus ist also durchaus nicht unproblematisch. Die Linken aber sind Anhänger eines noch niedrigeren ethischen teleologischen Ansatzes. Sie wollen nicht das größtmögliche Glück aller – da würde jeder gleich zählen -, sondern sie wollen Ungleichheit abbauen, weil sie Ungleichheit als Ungerechtigkeit umdefinieren, und sind dann bereit, alle möglichen Ungerechtigkeiten zu begehen – denken Sie an die reiche Tante -, um das übergeordnete Ziel der größtmöglichen Gleichheit herzustellen.
Die Menschen werden also nicht gleich behandelt, wenn sie das Gleiche tun, sondern es wird gesagt, aus der von Natur oder von der Gesellschaft aus bestehenden Ungleichheit, was sie als Ungerechtigkeit empfinden, darf der Benachteiligte ganz andere Dinge tun als der von Natur aus Privilegierte. Diese dürften mithin nicht gleich behandelt werden, weil sie ungleich ausgestattet sind, und diese Ungleichheit in der Ausstattung abgeschafft werden müsse. Dem muss dann der Gleichheitsgrundsatz – gleiche Handlungen sind auch gleich zu behandeln – geopfert werden. Damit können noch schlimmere Dinge als im Utilitarismus gerechtfertigt werdenund genau das tun die Linken. Denn die einfachste Form, Ungleichheit abzubauen, ist die, die Reichen mit brutaler Gewalt zu enteignen oder angebliche Unterdrücker einfach totzuschlagen.
Genau dazu rief der linke französische Intellektuelle Jean-Paul Satre, der in Frankreich, aber auch weit darüber hinaus enormen Einfluss auf Intellektuelle hatte, 1961 im Vorwort zu Frantz Fanons: Die Verdammten dieser Erde auf:
„Denn in der ersten Zeit des Aufstands muß getötet werden: Einen Europäer erschlagen heißt zwei Fliegen auf einmal treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen. Was übrigbleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch.“
Auch Sartre, durchaus ein hoch interessanter Denker, war aber kein Moralphilosoph, sondern ein Romancier, Dramatiker, Existenzialist, Publizist, Marxist und Linker, ein Möchte-gern-Weltverbesserer, der auch mit der RAF sympathisierte.
Wenn der Zweck die Mittel heiligt, kann der einzelne Mensch zum Objekt degradiert und seiner Würde beraubt werden
Was die Linken tun, ist folgendes: Es wird eine erstrebenswerte Welt erträumt – zum Beispiel mit weniger Armut, weniger Ungleichheit, Abbau der Nationen, Abbau der unterschiedlichen Hautfarben etc. -, die dann konkret angestrebt wird und mit allen Mitteln durchgesetzt werden soll. Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel.
Diese Ansätze sehen wir schon in der Französischen Revolution, bei Marx, Lenin, Stalin, Mao und heute bei den Neuen Linken (die Grünen gehören hier dazu), die alle bereit waren, massenweise zu töten, um ihren Traum einer besseren Welt in die Realität umzusetzen, was aber so nie klappte. Meist endete das im Chaos oder in fürchterlichen Massakern, von denen aber sehr wenig berichtet wird, da die Linken die kulturelle Hegemonie ausüben und absolut kontrollieren, welche Informationen breit gestreut werden und welche nicht.
Stufe 6 bei Kohlberg wäre dagegen eine Prinzipienethik, auch Deontologie genannt (griechisch: δέον = deon = das Erforderliche, das Gesollte, die Pflicht), zum Beispiel kantianischer Art. Lügen und Morden ist immer verwerflich und hier gibt es keine übergeordneten Ziele, die diese Prinzipien, diese moralischen Pflichten, zum Beispiel die Pflicht, das Recht auf Leben des anderen zu achten oder die Wahrheit zu sagen, suspendieren könnten.
Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Wer sich solches erträumt, öffnet sich und anderen damit nur das Tor, um sich über ethische Prinzipien hinwegsetzen zu können, der öffnet gleichsam dem Bösen selbst Tür und Tor, welches dann im Namen des Guten möglich wird.
Selbst wenn es wirklich das Gute wäre, was man anstrebt – was bei den Zielen der Neuen Linken mehr als fragwürdig ist, siehe oben -, verlöre es diese Eigenschaft, wenn es dem anderen mit Gewalt oktroyiert wird oder gegen seine Menschenwürde (Selbstbestimmungsfähigkeit) zum Beispiel per Manipulation in ihn eingepflanzt wird, da er dann zum reinen Ding, zum Objekt degradiert wird. Diejenigen, die einfach zur Seite geräumt werden, werden ohnehin vollkommen zum Objekt, ja zum Hindernis degradiert und damit völlig entmenschlicht. Sie werden ihrer Würde (Selbstbestimmungsfähigkeit) beraubt.
Die moralische Minderwertigkeit der Linken
Was wir derzeit erleben, ist eine permanentes Verstoßen gegen solche ethischen Prinzipien seitens der linken kulturellen und politischen hegemonialen Kräfte. Das heißt, wir sehen hier keine moralische Überlegenheit (aus Sicht von Stufe 1 bis 4 natürlich schon), sondern aus Sicht von Stufe 6 eine moralische Minderwertigkeit.
Ein tugendethischer Ansatz, der nicht primär auf die Ziele, also die beabsichtigten Handlungfolgen abstellt, wie die teleologischen Ansätze, und auch nicht auf die Handlung selbst, die ethischen Prinzipien und moralischen Pflichten genügen muss (deontologischer Ansatz), sondern auf das Innere des Menschen, auf seine Psyche, seine Seele, könnte das noch vertiefen.
Denn wenn ich immer wieder Ungerechtes tue, um eine antizipierte Gerechtigkeit in der fernen Zukunft herzustellen, welcher ich im Hier und Jetzt unzählige Menschen, ja vielleicht sogar eine ganze Kultur und Zivilisation opfere, so verändert sich dadurch etwas in meinem Innern. Die innere Harmonie, die innere Schönheit geht genau dadurch verloren und die Ungerechtigkeit und Hässlichkeit hält Einzug in mein Inneres. Soweit die philosophische, ethische Analyse.
Die psychische Co-Abhängigkeit der Linken von den dumpfen Rechtsextremisten
Psychologisch gesehen brauchen Linke immer jemanden, den es zu bekämpfen gilt, den bösen Adligen, den bösen Kapitalisten, den bösen Imperialisten, den bösen Mann (Feminismus), nun neuerdings den bösen Weißen (Rassismus gegen Weiße, der sich als „Antirassismus“ tarnt). Der Linke definiert sich selbst, seine gesamte Existenz und seinen Wert über dieses Feindbild.
Er braucht den „bösen Rechten“, „den Ausbeuter“, „den Imperialisten“, „den Faschisten“ regelrecht. Und wenn keiner da ist, bastelt er sich einen, weil er ohne diesen keinen Lebenssinn zu finden in der Lage wäre und nichts hätte, woran er seinen eigenen Wert festmachen könnte. Heiko Maas: „Wegen Ausschwitz bin ich überhaupt erst in die Politik gegangen.“ Joschka Fischer und viele andere sagten ähnliches. Wenn es Auschwitz also nicht gegeben hätte, wäre es nicht sinnvoll und erstrebenswert, für eine gute, gerechte Gesellschaft zu kämpfen?
Sie sehen, der Linke braucht den „bösen Rechten“, weil er nur über ihn sich selbst definieren und sich nur in der Erhebung über ihn sich selbst Wert zuschreiben kann. Er ist mithin von ihm abhängig oder co-abhängig. Co-abhängig insofern als der Linke von dem dumpfe Rechtsextremisten abhängig ist, der wiederum in seiner eigenen Wertzuschreibung abhängig ist von irgendeiner Gruppe, der er angehört, sei es seine Rasse oder Nation.
Solche bekämpft der Linke bis aufs Blut und sind solche aber gar nicht mehr in nennenswerter Zahl da, dann weiß der Linke nicht mehr, was er machen, wofür er leben soll. Deswegen ist er quasi gezwungen, immer neue „böse Rechte“ zu produzieren oder zu erfinden, weil er sich über sie überhaupt erst selbst definiert.
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Zum Autor: Jürgen Fritz studierte in Heidelberg Philosophie, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Physik und Geschichte für das Lehramt. Nach dem zweiten Staatsexamen absolvierte er eine zusätzliche Ausbildung zum Financial Consultant unter anderem an der heutigen MLP Corporate University. Er arbeitete etliche Jahre als unabhängiger Finanzspezialist. Außerdem ist er seit Jahren als freier Autor tätig. 2007 erschien seine preisgekrönte philosophische Abhandlung „Das Kartenhaus der Erkenntnis – Warum wir Gründe brauchen und weshalb wir glauben müssen“ als Buch, 2012 in zweiter Auflage. Seit 2017 betreibt er schwerpunktmäßig seinen Blog JÜRGEN FRITZ. Hier erschien der hier veröffentlichte Beitrag zuerst.
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