Es wurde viel über ihn diskutiert in deutschen Medien: über den Ramadan. Darüber, dass das Fasten die Leistungsfähigkeit doch nicht beeinträchtigen würde, darüber, dass fastende Busfahrer genauso gut und sicher fahren würden wie ihre deutschen Kollegen. Aber läuft das Leben in muslimischen Ländern im Ramadan denn wirklich genauso ab, wie sonst auch? Eine Momentaufnahme.
Es ist 9 Uhr Morgens in einer arabischen Großstadt. Das Thermometer zeigt bereits 29 Grad an. Es ist heiß. Und still. Kaum Autos fahren auf der Straße, Fußgänger sieht man im Ramadan noch weniger als sonst. Jegliche Bewegung wird vermieden, davon bekommt man Durst. Schließlich darf man von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts trinken. Am liebsten halten sich die Menschen in klimatisierten Räumen auf, wer es sich leisten kann treibt seine Stromrechnung in die Höhe.
Die meisten Menschen fangen im Ramadan nicht vor 10 Uhr an zu arbeiten. Die Regierung erlässt für alle Regierungsorganisationen spezielle Arbeitszeiten von 10 bis 15 Uhr, lediglich fünf Stunden am Tag muss gearbeitet werden. Für Privatfirmen sind die Zeiten nicht bindend, trotzdem arbeitet kaum jemand merklich länger. Geschäfte öffnen nicht vor 10 Uhr. Nur die Supermärkte haben lange auf, und die Restaurants. Schließlich ist die Zeit des Fastens vor allem die Zeit der Völlerei. Die Schlangen in den Supermärkten sind vor allem nachmittags und am frühen Abend überfüllt. Restaurants sind abends zum Iftar ausgebucht.
Es ist 10 Uhr. Die Straßen sind überfüllt. Noch sehen die Gesichter entspannt aus, noch fahren die Autofahrer einigermaßen vernünftig durch die Straßen. Das wird sich im Laufe des Tages ändern. Und was sagt eine muslimische Kollegin über das Fasten: „Am besten wäre es natürlich, wenn man nicht arbeiten müsste. Wenn man sich die vier Wochen zu Hause einschließen könnte, viel Schlafen könnte tagsüber. Arbeiten ist wirklich eine Qual.“ Wirklich gearbeitet wird in dieser Zeit auch nicht. Wenn man in die Büros blickt, liegen die Köpfe auf den Tischen, es werden Youtubevideos geguckt oder gewattsappt. In der Geschäftswelt sieht es in der Regel so aus: Wichtige Entscheidungen müssen zwei Wochen vor dem Beginn des Ramadans getroffen werden. Danach wird es schwierig. In der Woche vor dem Ramadan ist fast jeder Muslim schon so sehr mit der Fastenzeit beschäftigt, dass für ernste Arbeit wenig Platz ist. Im Ramadan selbst bleiben die meisten Emails ungelesen und unbearbeitet. Es wird darauf vertröstet, dass man sich nach dem Ramadan meldet. Natürlich erst eine Wochen danach. Schließlich wird nach dem Ramadan 1 Woche lang gefeiert. Viele fahren nach der Feierei noch 1 Woche zur Erholung in den Urlaub. Realtisch wird also wirklich zwei Wochen nach Ramadan die normale Arbeit wieder aufgenommen sprich es wird 2 Monate stark reduziert gearbeitet.
Es ist 15 Uhr. Die Straßen füllen sich rapide. Die Gesichter sehen eingefallen und müde aus. Täglich sehe ich Auffahrunfälle auf den Straßen. Die Menschen sind müde, hungrig und durstig. Der Fahrstil wechselt zwischen total aggressiv und passiv lethargisch. Wer kann, verlässt das Haus nicht um diese Zeit und vermeidet das Autofahren. Wer es im Ramadan ohne Unfall schafft, hat Glück gehabt, Gott sei Dank!
Aus den Fenstern kriecht bereits ab drei Uhr feiner Essensduft. In keiner anderen Jahreszeit wird so viel gekocht wie im Ramadan und so viel weggeschmissen. Das alte Essen vom Vortag landet in der Armenspeisung oder im Müll. Jeden Abend zum Sonnenuntergang trifft sich die Familie und Freunde zum großen Fastenbrechen. Dann wird gegessen, viel Pepsi Getrunken und Shisha geraucht. Heutzutage gehen viele auf Konzerte, zu besonderen Veranstaltungen in Hotels und Restaurants. Eigentlich spielt sich das ganze Leben nun in der Nacht ab – vier wochenlang.
Kinder spielen bis Mitternacht auf den Straßen. Die meisten gehen, wenn überhaupt nicht vor Mitternacht ins Bett. Das große Abendessen um 8 Uhr muss ja erst mal verdaut werden. Zudem will man das Leben ja auch im Ramadan genießen.
Viele bleiben dann gleich wach bis zum Abendessen um 3:00 Nachts. Es ruft der Muezzin ab 3:30 und in vielen Gengegenden kommt ein Trommler des Nachts der alle lautstark wachtrommelt. Da wird sich nochmal der Bauch richtig vollgehauen und genügend Wasser auf Vorrat zu getrunken. Danach geht es dann ins Bett mit vollem Magen. Man schläft schlecht ein. Bis der Wecker wieder klingelt und die Arbeit ruft.
So ist eigentlich gar nicht das Fasten das große Problem, sondern vor allem der Schlafmangel. Jeder kann sich fragen wie leistungsstark er wäre, wenn er 4 Wochen am Stück nicht eine Nacht ausschläft? Hier ein Nickerchen, dort zwei – vier Stunden, aber nie 5 – 8 Stunden am Stück?
Nächste Woche ist der Ramadan endlich vorbei. Darauf freut sich jeder, jeder Muslim und jeder Nichtmuslim. Die Zeit des Ramadans ist anstrengend, nervenaufreibend. Sie hat für Außenstehende nichts Besinnliches. Menschen auf der Straße und Kollegen sind oft schlecht gelaunt und gereizt. Nachts sind die Menschen laut, es wird jeden Tag geböllert. Nichtmuslime werden jede Nacht vom Lärm grölender Kinder, den Böllern, dem Trommler und den viel lauter eingestelltem Muezzinruf geweckt. Auch für sie ist es unmöglich, in Ruhe durchzuschlafen.
Wenn man in der islamischen Welt lebt, sollte man dieses Ritual respektieren und sich damit arrangieren. Am besten man macht Urlaub vom Ramadan – arbeitstechnisch ist es eh ein toter Monat. Wie man dieses Ritual sinnvoll in eine westliche Leistungsgesellschaft integrieren will, bleibt mir aber ein große Rätsel. Es ist nichts, was man schönreden kann oder sollte. Der Ramadan ist, wie er ist.