Inzwischen kann kein Zweifel mehr daran sein: Derart flott, wie das BSW nach der Gründung seine Liebe zum Establishment entdeckt hat, schaffte es bislang kaum jemand, seine Glaubwürdigkeit in die Tonne zu treten. Ein Gastbeitrag von Dennis Riehle.
In unserer schnelllebigen Zeit ist ein einzelnes Jahr im Nu vorbei. Und vielleicht ist es diesem Empfinden geschuldet, dass die Momente nur so dahin rinnen, wenn wir aktuell attestieren müssen: Derart flott, wie das BSW nach der Gründung seine Liebe zum Establishment entdeckt hat, schaffte es bislang kaum jemand, seine Glaubwürdigkeit in die Tonne zu treten.
Gleichermaßen ist es kein Wunder, dass sich die als Hoffnungsträger ausgebende Partei und neuer Stern am Himmel des Personenkults wesentlicher Prinzipien, Werte und Forderungen entledigt, die man im Wahlkampf dem Souverän noch hoch und heilig versprach. Schließlich entstammt man der Linken, die nunmehr Dekaden Erfahrung darin besitzt, sich im Zweifel mit dem ärgsten Feind gemeinzumachen, um an die Macht zu kommen. Nach den ersten Gesprächen in Thüringen findet sich in dem Positionspapier über eine mögliche Zusammenarbeit mit CDU und SPD also keines der Alleinstellungsmerkmale, mit denen man sich abzuheben versuchte. Stattdessen ist man bei den Themen Erdgas, Russland, Corona oder Verfassungsschutz umgefallen – und hat nicht einmal mehr Bedarf, seine Willfährigkeit in einem Trojanischen Pferd zu verstecken. Denn auch Skrupel hat man in politischer Routiniertheit an der Garderobe von Prestige und Prominenz abgegeben.
Man sucht vergebens nach dem unmissverständlichen Postulat einer ernsthaften Aufarbeitung der Pandemie und ihrer damit einhergehenden, eklatanten und totalitären Beschneidung von Freiheiten des Einzelnen und der gesamten Bevölkerung. Man möchte offenbar auch weiterhin Horch und Guck sämtliche Instrumente an die Hand geben, um unliebsame Feinde wie die AfD und jeden Grünen-Kritiker zu beobachten, zu gängeln und zu melden. Man vernimmt keine wirklich klare Linie mit Blick auf etwaige Friedensgespräche zwischen Moskau und Kiew. Und auch eine Abkehr von der energetischen Transformation und eine Rückkehr zur Verlässlichkeit der Fossilen ist nicht mehr im Satz. Stattdessen hat man sich weichspülen lassen – und verwässert nur Monate nach dem Entstehen das eigene Profil. Spöttisch könnte man es auf den Befund herunter brechen: Große Klappe, aber nichts dahinter. Denn was ist übriggeblieben von der Ankündigung einer lagerübergreifenden Opposition, die sich nun doch in Erwartung von Einfluss, Mitsprache und Regentschaft bis zur Unkenntlichkeit verbiegt – und nicht einmal mehr das Ansinnen zu vertreten bereit ist, das insbesondere bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland für viele Bewohner das entscheidende Motiv war?
Man setzte sein Kreuz bei der lilanen Partei, weil sie eine gewisse Frische, Couragiertheit und Vehemenz andeutete – und sich beispielsweise explizit für Diplomatie im Krieg zwischen Selenskyj und Putin stark machte. Doch anstelle dessen ist sie in einer beeindruckenden Rasantheit im Einheitsbrei angelangt, ohne mit der Wimper zu zucken. Interne Querelen über die Ausrichtung scheint man um Pöstchen und Diäten willen zuzuschütten. Und man verlottert dabei zu einem unzuverlässigen, unstetigen undefinierbaren Sammelsurium an unterschiedlichen Überzeugungen und Geisteshaltungen, die mindestens genauso flüchtig sind wie die Geschlechtsidentität manch eines queer empfindenden Transmenschenden.
Ohnehin lässt man uns weiterhin rätseln, was die einstige Ikone eines Neosozialismus denn nun tatsächlich unter der „Demokratisierung von Betrieben“ versteht – und ob man mit einer solchen Denkweise nicht vielleicht doch in Kontinuität zu Marx und Engels planwirtschaftliche Verhältnisse begehrt, mit denen Honecker in der DDR nur semioptimale Erfolge erzielte. Wofür steht dieses Bündnis genau, das bereits bei seiner ersten Pressekonferenz am 8. Januar 2024 viele Fragezeichen hinterließ. Da präsentierte sich eine Führungsriege mit äußerst unterschiedlichen Biografien, Vorstellungen und Visionen, die wie ein zusammengewürfeltes Gefüge ohne Richtschnur wirkten – und sich allenfalls in der Bewertung einig waren, dass die Ampel zum Teufel gejagt werden müsse.
Von dem damals angekündigten Einsatz für Grundrechte vernimmt der aufmerksame Beobachter ebenso wenig wie von einem großangelegten Stopp der verkopften Erneuerbaren-Hysterie. Und hinsichtlich der Asylkrise wagt man sich nicht weiter vor als die Christdemokraten, die allenfalls an Stellschrauben drehen möchten, statt sich einer manifesten Remigration zu verschreiben. Die Enttäuschung für manch einen Fan der One-Woman-Show einer Sahra Wagenknecht dürfte einigermaßen groß sein. Trotzdem, man hätte sich dieses harte Ankommen auf dem Boden der Realität sparen können, wäre der mündige Bürger exemplarisch dazu bereit gewesen, sich mit dem Abstimmungsverhalten der entsprechenden Gruppe im Bundestag zu befassen. Sie war bei wesentlichen Entscheidungen überhaupt nicht im Plenum anwesend.
Und wenn es darum ging, Farbe zu bekennen, enthielt man sich entweder – oder votierte mit den Brandmaurern aus Gründen der Moral, die AfD in der Mentalität und Ideologie der Nazis zu verorten. Insofern hält sich das Mitleid mit denjenigen im Rahmen, die sich nun über die Anbiederung des BSW an die Etablierten echauffieren. Denn ihre Verwunderung ist genauso solide wie der Protest manch eines toleranzbetrunkenen Genossen, der sich kurzerhand empört, wenn vor seiner Haustüre eine Flüchtlingsunterkunft entsteht.