Alt-Bundespräsidenten Joachim Gauck plädiert für „eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ und fordert, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten“. Das ist gut, doch Gaucks Worte kommen zu spät. Ein Kommentar von Ramin Peymani
Es ist ein bemerkenswertes Interview des Alt-Bundespräsidenten, das die Spiegel-Redaktion mit dem Zitat überschreibt: „Wir müssen lernen, mutiger intolerant zu sein“. Joachim Gauck wirbt darin für eine offenere politische Debatte.
Man müsse nicht immer gleich „das Höllentor von Auschwitz“ aufgehen sehen, hatte der frühere Chef der nach ihm benannten Behörde zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts bereits im April anlässlich einer Podiumsdiskussion geäußert. Schon das hatte ihm Kritik eingetragen, weil mancher es als Parteinahme für die ungeliebte AfD auslegte. Nun hat Gauck die Debatte neu angestoßen.
Klare Grenze dort ziehen, wo „Menschen diskriminiert werden oder Recht und Gesetz missachten“
Es ist eine überfällige Wortmeldung, deren Bedeutung mit Roman Herzogs „Ruck-Rede“ aus dem Jahr 1997 vergleichbar ist. Und hätte Gauck für eine größere Bereitschaft zum Diskurs mit kompromisslosen Grünen oder mehr Toleranz gegenüber eingefleischten Linken geworben, das links-grüne Journalisten-Kombinat hätte ihm zu Füßen gelegen. So erntet der ehemalige Kirchenfunktionär und Freiheitskämpfer aber vor allem Widerspruch. Dabei weist Gauck zu Recht darauf hin, dass die Demokratie durch eine einseitige polit-mediale Verurteilung konservativen Denkens in Gefahr geraten ist.
Der 79-Jährige plädiert für „eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ und fordert, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten“. Es sei unerlässlich, klar zu unterscheiden, ob jemand rechts im Sinne von konservativ oder rechtsradikal sei.
Zugleich verlangt Gauck, eine klare Grenze dort zu ziehen, wo „Menschen diskriminiert werden oder Recht und Gesetz missachten“. Worte, denen sich jeder Demokrat ohne Wenn und Aber anschließen muss.
Erinnert sei an den wilden Blutrausch gegen jeden, der es wagte, Fragen zum landesweiten Hissen der Willkommensfähnchen zu stellen
Dass diese demokratische Überzeugung aber nicht selbstverständlich ist, zeigen die Reaktionen aus den politischen Lagern von ganz links außen bis hinein in die CDU. Vor allem Gaucks Forderung, die CDU müsse wieder zur Heimat für Konservative werden, stieß auf Ablehnung, ebenso der Hinweis des ehemaligen Staatsoberhauptes, „dass gewisse Themen nicht ausreichend von der Regierung versorgt wurden“. Gauck bezog sich dabei explizit auf die Zuwanderung. Es mag heute tröstlich sein, dies von einem Mann zu hören, der unserem Land fünf Jahre lang vorstand. Und doch kommen Gaucks Worte viel zu spät.
Man hätte sich von ihm erhofft, als Bundespräsident derart klar Stellung zu beziehen. In den Jahren 2015 und 2016 wäre es an Joachim Gauck gewesen, der polit-medialen Kaste die Leviten zu lesen, die sich in einen wilden Blutrausch gegen jeden gesteigert hatte, der es wagte, Fragen zum landesweiten Hissen der Willkommensfähnchen zu stellen. Man hätte sich Gauck als Fürsprecher der politisch Ausgegrenzten gewünscht, die sich nichts weiter hatten zuschulden kommen lassen, als die Bundesregierung zu kritisieren und auf die Risiken einer unkontrollierten Zuwanderung zu verweisen.
Sein Wort hätte auch Gewicht gehabt, als es darum ging, die Auswüchse einer politischen Korrektheit anzuprangern, die Meinungsabweichler zunehmend aus dem politischen Diskurs drängt. Stattdessen gefiel sich Gauck darin, einen Teil der Bevölkerung als „Dunkeldeutschland“ abzuqualifizieren. Zwar verwies er dabei explizit auf „rechtsextreme Anschläge, Gewalt und Hetze“, doch dürfte ihm bewusst gewesen sein, dass der Begriff jahrzehntelang auf das ehemalige Gebiet der DDR gemünzt war.
Es ist ein wegweisendes Interview und es hätte das Zeug dazu, eine dringend notwendige gesellschaftliche Debatte in Gang zu bringen
Joachim Gaucks Interview mit dem Spiegel ist auch deswegen so bemerkenswert, weil er sich nicht am AfD-Bashing beteiligt. Er nutzt seinen Auftritt nicht, um die Rechtskonservativen in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern beklagt den „problematischen Weg“, die Wahl von AfD-Abgeordneten zum Vizepräsidenten des Bundestages immer und immer wieder zu blockieren. Er frage sich, „ob es politisch nützlich ist, jeden Kandidaten der AfD abzulehnen“. Starker Tobak für die inzwischen links der Mitte verankerte Politszene, kaum auszuhalten für die eigentlichen Regierenden des Landes, die in den vielen kleinen und großen Redaktionen sitzen.
Es ist ein wegweisendes Interview, das der Alt-Bundespräsident dem Spiegel gegeben hat, und es hätte das Zeug dazu, eine dringend notwendige gesellschaftliche Debatte in Gang zu bringen, wären Medienschaffende und politisch Verantwortliche tatsächlich zu jenem Pluralismus bereit, den sie im Zuge der Ausgrenzung aller Konservativen stets vehement einfordern. So aber verpuffen die bemerkenswerten Worte eines Mannes, der frei von der Last, „funktionieren“ zu müssen, zur Verteidigung der Demokratie aufruft.
Es ist zu befürchten, dass auch nach Gaucks Plädoyer für eine Gesellschaft, die rechten Positionen mit Toleranz begegnet, am Ende nichts bleiben wird als die Erkenntnis, in einem Land zu leben, in dem rechts als rechtsextrem gilt. Linke und grüne Meinungsführer werden ihre Deutungshoheit ebenso wenig aufgeben wie ihren Anspruch, eine linkskonformistische Gesellschaft zu errichten. Joachim Gauck muss man indessen attestieren, seinen Moment für die Geschichtsbücher verpasst zu haben.
Der Beitrag erschien zuerst bei LIBERALE WARTE
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