Ein Gastbeitrag von Dr. Viktor Heese
Das Urteil gegen Sergej W. ist gefallen. Wie es strafrechtlich zu werten ist, kann ein Börsianer nicht sagen. Er kann aber nachweisen, dass der Verurteile eine Börsenamateur war. Als Kleinspekulant hatte er so ziemlich aller Börsenregel gebrochen. Spricht das für seine geminderte Schuldfähigkeit? Sein Anwalt hat es angedeutet, der Ansatz wurde allerdings nicht als Verteidigungskonzept weiterverfolgt.
1 x 1 des Optionsscheingeschäftes: Wie aus 26.000 € Einsatz 500.000 € werden sollten?
Auch bei sinkenden Kursen kann mit Verkaufsoptionsscheinen (Puts) Geld verdient werden. Der Kurs eines Scheines wird als die Differenz zwischen dem Kaufkurs (Basiskurs) und Kurs am Verfallstag berechnet. Kauft der Anleger heute einen Put auf die Allianz-Aktie mit einer einjährigen Laufzeit und einem Basiskurs von 190€ für 3 € und fällt der Aktienkurs nach einem Jahr auf 160€, ist der Optionsschein 60€ wert. (Umgekehrt verliert der „Spekulant“ alles, wenn der Kurs über 190€ liegt).
Das ist das 10-fache des Einsatzes. Der Faktor 10 wird in der Börsensprache Hebel genannt. Zusammen mit den Kaufoptionen (Calls) – die auf steigende Kurse setzen – und den Zertifikaten bilden die Puts die Anlageklasse der Derivate. Erst bei einem Hebel von 50 wird von „hochspekulativen“ Derivaten gesprochen.
Sergiej W. hatte mit den von der Bank „gepumpten“ 26.000 € mit Puts auf die BVB-Aktie 500.000€ – die Medien änderten die beiden Basisdaten mehrfach – verdienen wollen, was einem wenig spekulativen Hebel von 19 entspricht. Auch ohne den Anschlag, war diese Anlagestrategie nicht besonders originär.
Auf eine fallende BVB-Aktie konnte nicht spekuliert werden, weil es kaum Optionsscheine gab
Voraussetzung für Derivate-Geschäfte ist, dass von den Emissionsbanken Optionsscheine angeboten werden und ausreichende Umsätze stattfinden. Wenn es genügend Kauf- und Verkaufswillige gibt, sprechen Börsianer vom liquiden Markt. Solche Märkte gibt es wiederum nur bei großen und mittelgroßen Aktien, zu denen das BVB-Papier auf keinen Fall zählt. Börsennotierte Gesellschaften informieren im Internet in der Kategorie Unsere Aktie über die dazugehörigen Derivate, wenn es welche auf den liquiden Märkten gibt.
Der Leser wird diese Infos auf der Seite der Dortmunder vergeblich suchen. Mit anderen Worten, es gab zum Zeitpunkt des Anschlags nur „illiquide“ Optionsscheine, die sich allenfalls für kleine spekulative Einsätze von paar Hundert € eigneten. Sergiej W. hätte hundert Tausende dieser „billigen“ Cent-Derivate – vielleicht das der Kennnummer DG7MN4 – kaufen müssen, wenn seine Gewinnerwartung aufgehen sollte. Es gab aber damals laut Tagesumsatzstatistik kaum Verkäufer. Er hätte das „Material“ über mehrere Monate sammeln müssen.
Die vielen offenen Fragen machen den Fall richtig suspekt
Was er aber konkret gekauft hatte, bleibt geheim, so wie die vielen Fragen, die gegen seine Professionalität sprechen: Warum hat seine Bank nicht nach dem Verwendungszweck des Kredits gefragt? Welche Sicherheiten verlangte sie? Wurde die Risikoaufklärung von Sergej W. – außer der Zuordnung in die standardisierte Risikoklasse – geprüft?
Warum hat er nicht auf liquide DAX-Aktien mit einem höheren Hebel von z.B. 50 gesetzt? Warum hat er sein ganzes Geld in die BVB- Puts gesetzt und ist ein unvertretbares Risiko eingegangen? Warum hat er die Put-Scheine nicht bei mehreren Banken deponiert, um nicht aufzufallen? Warum veröffentlicht die Justiz keine Depotauszüge? Der Fragenkatalog ließe sich verlängern.
Dem misstrauischen Börsianer bringen vorgenannte Auffälligkeiten zum folgenden Zwischenergebnis: Die „Geschäftsfähigkeit“ des Verurteilten muss in Frage gestellt werden. Ein Gutachten, das bei Klagen wegen Falschberatung herangezogen wird, würde vieles klären. Wen ein solches nicht erstellt wurde, muss es dafür Gründe geben. Hier kommt der juristisch unbedarfte Börsianer zum Schluss. Es bleibt fraglich, ob der vermutlich „geschäftsunfähige“ Sergej W. bei der Straftat schuldfähig war? So wie er in den wenigen Fernsehbildern auftritt und sporadisch beschrieben wurde, ist das zu bezweifeln.
Soll am Sergiej W. ein Exempel statuiert werden?
Viel spricht leider dafür: Sergej W. zählt als Russland-Deutscher zur Gruppe der nicht gerade „politisch Korrekten“ AfD-affinen. Auch passt es der Politik in Zeiten der Migranten-Anschläge ein Beispiel zu haben, dass auch Einheimische – jetzt muss der arme Delinquent. den „Volldeutschen“ abgeben – Anschläge verüben. Und last but not least spielt unsere Justiz in jüngst Zeit auffällig den starken Mann und will wohl den Vorwurf des Machtverlustes loswerden. So viel die Meinung eines Nicht-Juristen und Börsianers.
Dr. Viktor Heese – Fachbuchautor und Finanzanalyst; www.prawda24.com, www.finanzer.eu