Gastbeitrag von Joseph Hueber
Was war nochmal die letzte Idee zum Thema Schule? Endlich kommt eine neue! Eine Sau ist gefunden, die man durchs Dorf jagen kann. Grunzend verrät sie ihren Namen: „Ergometer-Klasse“. Der Stall, aus dem sie entwichen ist, nennt sich Friedrich-Dessauer Gymnasium und befindet sich in Aschaffenburg.
Was man immer schon ahnte, hier wird es sinnvoll umgesetzt. Eine tolle Theorie: Schüler lernen umso besser, je mehr sie gleichzeitig tun. Das nennt man neudeutsch Multitasking. Am besten Schüler tun beim Lernen gleichzeitig was Motorisches, z.B. Rad fahren auf einem Fitnessgerät, weil sie eh nicht ruhig sitzen können. Es muss blinken und blitzen, wo früher die Tafel stand, man muss auf Tablets wischen, wo man früher in einem Buch blätterte. Und jetzt sind die Füße dran. Also Pedale drunter und losgestrampelt, weil man sich dabei besser konzentrieren und besser lernen kann. Der Spezial-Ergometer mit Schreibpult macht es möglich. Und die Wissenschaft, so lässt uns die Homepage der Schule wissen, beweist: Die Leistungen steigen, die Noten werden besser. Die Schüler werden gesünder, weil sie von einem Ergometer überwacht werden. Und das Klassenklima wird besser. Könnte man nicht gleich hinzufügen:
Weniger Mobbing durch Radeln? Oder barrierefreies Lernen? Oder bessere Integration durch Radeln?
Der Tatbestand, Fakt nicht Fake, ist unerwähnt, aber jedem Insider bekannt. Es geht in allen Bildungseinrichtungen, von allen Schulen bis hin zur Universität, immer mehr vorrangig darum, nach außen ständig „innovativ“ und „kreativ“ zu wirken. Ein Idee scheint dabei gar nicht dumm und lebensfremd genug sein zu können, damit sie nicht von jemandem (am besten von einem „Experten“) vertreten wird und „wissenschaftlich“ untermauert ist.
Bildungsforscher Nagengast vom Hector-Institut an der Universität Tübingen gibt hier gleich mal Schützenhilfe gegen Pädagogikleugner dieser Theorie:
„Es ist sehr zu loben, wenn Schulen … nicht nur Ideologien folgen“, sondern auf „wissenschaftliche Evidenz“ hören. Evidenz ist offensichtlich, was ein begeisterter Pädagoge des Pilotprojekts wissen lässt: „Es fällt niemand in der Klasse durch“.
Vorab ein Wort zur wissenschaftlichen Auswertung des pädagogischen Unsinns. Zum einen erfährt man nicht, wer wo wie was untersucht und wie ausgewertet hat. Aber genau dies wäre relevant. Bekanntlich soll man nur Statistiken trauen, die man selbst gefälscht hat.
Wenn sich ein Schulleiter vor so einen weltfremden Karren spannen lässt, ist das kein Qualitätsmerkmal seiner Kompetenz. Dass die Durchfallquote deutlich gesenkt wurde und auf die Stramplerei im Klassenzimmer zurückzuführen sein soll, glaubt nur, wer Nullkommanix Ahnung von der Sache Pädagogik, Lernen und Notenfindung hat oder alles an Berufserfahrung gezielt opportunistisch, also pädagogisch korrekt, ignoriert.
Die Noten macht, auch wenn dies für manche eine unbequeme Erkenntnis sein sollte, immer noch der Lehrer.
Sage dem Lehrer, welcher Notenschnitt „von oben“ gewünscht ist, und er liefert ihn, wenn er nicht Unannehmlichkeiten „von oben“ bekommen will.
Da kann man mit jedem x-beliebigen Lehrer unter vier Augen reden. Er wird es bestätigen (Weibliche Lehrkräfte sehen das übrigens gendergerecht genauso). Man überdenke doch schlicht einmal den Umstand, dass der Schnitt von 1,0 im Abitur stetig zunimmt, bei gleichzeitiger Klage der Universitäten, dass Abiturienten zunehmend mangelnde Studierfähigkeit aufweisen.
Und worüber klagen die Betriebe, wenn sie Lehrlinge einstellen? Es fehlt – nicht mangels Radeln beim Lernen – an Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen.
Für wie dumm und realitätsfern hält man eigentlich Menschen mit minimalem Verstand, so dass man ihnen derlei sinnloses Zeug als Fortschritt präsentiert? Ganz abgesehen von den Lesern, die vom Fach sind und also Erfahrung mit Lernen, Ablenkung, Lernförderung und Lernbarrieren haben. Aber dies scheinen Lehrer zu sein, die man bisher „vor sich hinwursteln“ ließ, unterstellt der Schulleiter aus Aschaffenburg. Die sollen, gewissermaßen als Parallelveranstaltung innerhalb des Projekts, nun endlich zu „lernenden“ Lehrern mutieren. Eine neue Spezies von Lehrer also.
Aber hier scharrt schon wieder die nächste Sau im pädagogischen Stall.
————————
Quellen:
1. http://fdg-ab.de/?s=projekt+rad
2. Bericht und Interview im Eichstätter Kurier v. 29./30.Juli 2017: Das radelnde Klassenzimmer
***
Zum Autor: Josef Hueber, bis 2015 Studiendirektor an einem bayerischen Gymnasium.