Montag, 28. Juli 2025

CSD: Die Liebe feiern wollen und Hass predigen

Die Liebe war schon immer anfällig für Verzerrungen durch verwirrte und manchmal skrupellose Geister. Und diese Verwirrung zeigte sich auf tragische Weise bei den diesjährigen Pride-Veranstaltungen, wie auch bei allen anderen Veranstaltungen dieser Art in Europa und Amerika. Beobachtungen von Prof. Dr. Alfred Thomas, Chicago.

Vor kurzem wurde ich zu einer Pride-Feier in Duisburg eingeladen. Es war eine eher kleine und provinzielle Veranstaltung, weit entfernt von den Großveranstaltungen, die man in Berlin oder in meiner Heimatstadt Chicago erlebt, wo die schiere Größe der Menschenmengen und der inklusive Charakter solcher Feiern Gedanken und Reflexion oft übertönen.

Aber diese intimere Veranstaltung in Duisburg ermöglichte es mir, darüber nachzudenken, was eigentlich gefeiert werden sollte. Seitdem das Wort „gay” aus dem Titel solcher Veranstaltungen gestrichen wurde, vermutlich um sie für Heterosexuelle attraktiver zu machen, habe ich mich dafür interessiert, welche tiefere Bedeutung diese Begriffe haben.

Pride: Auf was soll man genau stolz sein?

Wenn man das Wort „gay” entfernt, erweitert man nicht nur die Attraktivität der Veranstaltung, sondern macht ihre Bedeutung auch mehrdeutig, ja sogar problematisch. „Gay Pride” sollte traditionell einer unterdrückten Minderheit das dringend benötigte Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen in einer feindseligen Welt vermitteln. Ich erinnere mich noch gut an den Bedarf an solcher moralischer Stärkung während der AIDS-Epidemie in den 1980er Jahren. Aber „Pride“ an sich bekommt eine nebulösere Bedeutung, wenn man das Wort „gay“ entfernt. Bedeutet das nun, dass jeder stolz sein sollte, und wenn ja, stolz auf was genau?

Mittelalterliche Christen hatten keinen Zweifel daran, dass das Wort „Stolz“ eine Untugend war, ja sogar die schlimmste der sieben Todsünden. Natürlich hat das Wort inzwischen seine negative Bedeutung verloren und ist zu einem zentralen Bestandteil einer Welt geworden, in der jeder Mensch respektiert und toleriert werden soll.

Leider ist die Wahrheit weniger eindeutig. Nehmen wir ein anderes Wort, das bei der Duisburg Pride scheinbar in aller Munde war: Liebe. Liebe und Love waren wie ein Duett, das sich durch die Lieder der auftretenden Künstler und die Reden der Organisatoren zog.

Keine Zweideutigkeit, sagte man an diesem Abend: Hier ging es um die Feier der Liebe, eine Art verwässerte Version des Evangeliums, in der Christus nicht nur die Liebe zu seinen Freunden, sondern auch zu seinen Feinden predigt.

Die Liebe feiern und „Fck AfD“ rufen?

Aber dann fielen mir Anstecker mit der Aufschrift „Fck AfD“ auf. Meine Beobachtung hier soll weder die Alternative für Deutschland verurteilen noch gutheißen, sondern eine Aporie im Herzen der extrem linken Politik hervorheben. Historisch gesehen machten rechte Regime wie die Nationalsozialisten keinen Hehl daraus, ihren Hass überall zu zeigen, wo es möglich war. Ihre Haltung gegenüber den Juden war kaum zweideutig.

Im Gegensatz dazu wollen linke Regime beides: „Liebe“ und „Frieden“ werden zu ihrem häufigen Refrain, einer Art Trommelschlag, der nicht nur Begeisterung für Menschenrechte wecken soll, sondern auch das übertönen soll, was solche Worte oft verbergen. George Orwells Roman 1984 ist die berühmteste und ironischste Darstellung solcher Unaufrichtigkeit. In der von ihm beschriebenen Gesellschaft, die von IngSoc (kurz für English Socialism) regiert wird, hat sich Liebe in ihr Gegenteil verkehrt.

Im „Ministerium der Liebe“ gefoltert?

Das „Ministerium für Liebe“ ist der Ort, an dem Andersdenkende und Staatsfeinde gefoltert und vernichtet werden. Der heilige Paulus hat bekanntlich gesagt, dass die Liebe die größte Tugend unter den drei Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe (caritas) ist.

Vielleicht gerade deshalb war die Liebe schon immer anfällig für Verzerrungen durch verwirrte und manchmal skrupellose Geister. Und diese Verwirrung, so vermute ich, zeigte sich auf tragische Weise bei dieser Pride-Veranstaltung, wie auch bei allen anderen Veranstaltungen dieser Art in Europa und Amerika.

Vielleicht haben die Christen des Mittelalters letztendlich etwas verstanden, was wir Modernen lieber übersehen oder leugnen: dass Stolz möglicherweise mehr mit Hass als mit Liebe zu tun hat.

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Alfred Thomas ist Professor für Englisch an der University of Illinois in Chicago. Im Oktober erscheint sein neues Buch „Wounded Knights: Violence, Masculinity, and Medieval Courtly Love (The New Middle Ages)„.

Besonderes Aufsehen erregte – neben zahlreichen anderen wissenschaftlichen Studien – sein Buch „Shakespeare, Catholicism, and the Middle Ages: Maimed Rights“ .

Journalistische Offenlegung: Der Gastautor ist ein persönlicher Freund von mir. Gemeinsame Gespräche zur mittelalterlichen Philosophie, zur deutschen Kultur und Politik haben zahlreiche Abende spannend sein lassen.


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PP-Redaktion
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