Um weiteres menschliches Leid zu vermeiden, muss der Krieg in der Ukraine möglichst schnell enden. Doch dauerhaft kann menschliches Leid nur verhindert werden, wenn sowohl der Ukraine als auch Russland zu große Demütigung erspart bleiben. Ein Gastbeitrag von Daniel Schweizer
Für viele Menschen hat der Krieg in der Ukraine schon jetzt einen hohen Preis gekostet: viele tote Zivilisten und Soldaten und der schmerzhafte Verlust für die Hinterbliebenen, verlorenes Hab und Gut. Wehrpflichtregeln bei beiden Kriegsparteien lassen den Soldaten keine Wahl, ob sie dieses Risiko für Leben und körperliche Unversehrtheit überhaupt wollen. Lange wurde aus der Ukraine zumindest eine hohe Kampfmoral gemeldet aufgrund des Willens, die Heimat vor drohender Fremdherrschaft zu bewahren.
Doch mittlerweile werden auch Stimmen von ukrainischen Soldaten lauter, die nicht länger als Kanonenfutter herhalten wollen. Ländern, die auf Getreideimporte aus der Ukraine angewiesen sind, droht eine Hungerkrise. In Deutschland droht mit der Russland-Ukraine-Debatte eine weitere Spaltung, an der Freundschaften zerbrechen. Nichts ist dringlicher als eine Friedenslösung. Damit aber diese kein Ausgangspunkt für die nächste gewaltsame Eskalation wird, sondern dauerhaft menschliches Leid so weit wie möglich begrenzt wird, dürfen die Friedensbedingungen niemanden zu gedemütigt aus diesem Krieg herausgehen lassen.
Bedeutung demütigender Friedensbedingungen
Im Zusammenhang der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland seit dem Ende des Kalten Krieges wies Alexander Gauland in einer kürzlich gehaltenen Bundestagsrede darauf hin, dass Friedensbedingungen nur dann einen dauerhaften Frieden sichern können, wenn die Verliererseite nicht zu sehr gedemütigt wird. Er verglich dabei den Wiener Kongress 1815 und den Versailler Vertrag 1918 als gegenteilige Beispiele. Konkret warnte er zurecht vor Zielen des Westens, Russland im gegenwärtigen Krieg die maximale Demütigung zuzufügen.
Tatsächlich wäre ein Kriegsausgang für die künftigen Friedensaussichten sehr düster, wenn eine von beiden Seiten zu gedemütigt aus dem Krieg heraus käme. Die territoriale Nachkriegsordnung nach dem Ersten Weltkrieg war in weiten Teilen Europas gegen das Interesse der betroffenen Bevölkerung und neben weiteren Ursachen ein Nährboden für den Aufstieg des NS-Unrechtsregimes. Eine zu große Demütigung wäre zum Beispiel für Russland, wenn es in der internationalen Staatengemeinschaft isoliert bleibt. Es wäre aber auch für die Ukraine eine zu große Demütigung, die Eigenstaatlichkeit zu verlieren. Vielfach wurde bereits davor gewarnt, dass eine Unterjochung der Ukraine gegen den Willen der Bevölkerung jahrelange Untergrundkämpfe fördern würde. Frieden würde nicht einkehren, sondern es wäre weiterhin menschliches Leid an der Tagesordnung. Auf beiden Seiten wäre der Fall einer Kapitulation auch ein Machtverlust der politischen Führung. Auf keiner Seite dürfte aber die Bereitschaft zum eigenen Machtverzicht groß sein. Die Entscheidungen über Machterhalt oder Machtwechsel ist ausschließlich eine interne Sache der betreffenden Staaten. Deshalb bleibt nur eine Lösung realistisch, mit der in beiden Staaten die politischen Führungen ohne Angst vor Machtverlust zur Beendigung des Krieges bereit sind.
Lösung des Sprachenstreits als Minimalziel
Nach der Auslegung westlicher Experten könnte Putin seiner Bevölkerung sogar schon minimale Erfolge in der Ukraine als großen Sieg verkaufen. Mit den weitgehend auf Regierungslinie funktionierenden dortigen Medien sei wohl die entsprechende Flexibilität möglich, auch minimale Erfolge als großen Sieg zu verkaufen. Davon ausgehend wäre es sinnvoll, ein minimales Ziel in der Friedensordnung zu erreichen, das ohnehin im Sinne der Menschenrechte wichtig wäre. Es würde der Ukraine keine Demütigung abverlangen, aber Russland könnte es gut als sein erreichtes Ziel verkaufen: eine Lösung des Sprachenstreits in der Ukraine, die ethnischen und sprachlichen Minderheiten – allen voran den russisch sprechenden Menschen in der Ostukraine – eine faire Möglichkeit gibt, ihre Sprache und Kultur zu pflegen. Der Sprachenstreit um eine Ukrainisierung ist weitaus komplizierter, als er in unserer deutschen Debatte oft auf pro-ukrainischer wie auf pro-russischer Seite wahrgenommen wird. Es dürfte kein Zweifel an der Existenz der radikalen Akteure bestehen, die jede andere Sprache als Ukrainisch aus dem Land verbannen wollen. Berechtigt sind Bedenken wegen bereits vorhandener und zu erwartender Ausgrenzung etwa der Menschen mit russischer oder ungarischer Muttersprache in der Ukraine. Allerdings gibt es auch Stimmen in der Ukraine, die zwar sehr wohl eine gezielte Förderung der ukrainischen Sprache als Sprache der Titularnation mittragen würden, nicht jedoch die Bestandteile eines Sprachengesetzes, mit deren Wirkung Menschen mit anderen Muttersprachen diskriminiert werden.
Ein Blick im europäischen Vergleich zum Beispiel nach Südschleswig oder nach Südtirol zeigt sprachpolitisch: Jeder Nationalstaat präferiert EINE Sprache als landesweite Amtssprache. Aber es gibt Lösungen, trotzdem in bestimmten Regionen auch den Rang anderer Sprachen anzuerkennen. Viele Ukrainer wollen wohl auch keine Entwicklung wie im benachbarten Weißrussland, in der die Sprache der Titularnation gegenüber dem Russischen zur Minderheitensprache geworden ist. Es muss aber auch künftig gewährleistet sein, dass Muttersprachler etwa von Russisch oder Ungarisch nicht diskriminiert werden. Da dies ohnehin bedeutend für die Menschenrechte ist, müsste gerade hier auch ein zentraler Punkt der Friedensbedingungen ausgehandelt werden: Die Ukraine muss für eine Lösung garantieren, in der niemand mehr wegen seiner Sprache diskriminiert ist. Damit bestünde sogar eine eventuelle Chance, territoriale Veränderungen zu vermeiden.
Schritte zum Waffenstillstand und zum Frieden
Umso wichtiger ist, die Kampfhandlungen zu beenden und unter den Bedingungen eines Waffenstillstandes die Friedensbedingungen zu verhandeln. Dazu bedarf es im ersten Schritt die Beendigung aller OFFENSIVEN Handlungen. Russland muss alle bewaffneten Angriffe auf ukrainisches Territorium beenden. Mit der Beendigung von Angriffen werden auch DEFENSIVEN überflüssig. Sowohl die russischen als auch die ukrainischen Truppen müssen alle weiteren offensiven Handlungen beenden – Handlungen, die auf die Gewinnung oder Rückgewinnung von Gelände zielen. Dann wären auch defensive Handlungen zur Abwehr vorrückender Truppen überflüssig.
Am wichtigsten wäre ohnehin die Beendigung aller Kriegshandlungen, die nur Vernichtung von Menschen erzielen. Unabhängig von der Kriegsschuld machen sich mit solchen Verstößen gegen die Menschlichkeit beide Kriegsparteien zu Kriegsverbrechern. Mit all diesen Schritten soll noch nicht dem Gegner territoriales Gelände überlassen bleiben, sondern die Gewaltspirale beendet und zu Verhandlungen übergegangen werden.
Territoriale Veränderungen – Wille der betroffenen Bevölkerung als rote Linie
Wesentlicher Streitpunkt werden dann die ukrainischen Territorien sein, die 2014 und in weiteren Schritten nach dem 24. Februar 2022 unter russische Kontrolle kamen. Auch für viele politische Akteure, denen friedenssichernde Lösungen wichtiger sind als machtpolitische Ziele, wird die mögliche Abtretung dieser Gebiete schmerzhaft sein. Denn aus historischer Erfahrung können durch Krieg erzwungene Grenzverschiebungen weitere Staaten ermuntern, zu ihren Gunsten Ähnliches von Nachbarstaaten zu erzwingen. Um Frieden zu erreichen und dauerhaft zu sichern, wäre es aber umso wichtiger, über den weiteren Status dieser Territorien nach dem Willen der ansässigen Mehrheitsbevölkerung zu entscheiden.
In einem Gastbeitrag kurz nach Beginn des Krieges hatte ich das Referendum 2014 auf der Krim für den Anschluss an Russland als Beispiel für den dortigen Bevölkerungswillen genannt. Ein Leserkommentar gab aber auch einen Hinweis, sich über die Umstände zu informieren, unter denen eine freie und korrekt ausgezählte Abstimmung kaum möglich war. Ich mache mir keine Behauptung zu eigen, ob das Ergebnis unter sauberen Bedingungen anders ausgegangen wäre. Damit aber keine Seite mehr berechtigten Grund für die Anfechtung hat, wäre für eine Abstimmung dieser Tragweite die Kontrolle durch unabhängige internationale Wahlbeobachter erforderlich. In diesem Sinne hatte schon kurz vor Kriegsbeginn der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron einen Vorschlag für Donezk und Luhansk gemacht. In jedem Fall müssten in ausgeglichenem Maße Wahlbeobachter vor Ort sein, die beiden Kriegsparteien wohl gesinnt sind. Hinsichtlich unabhängiger Wahlbeobachter bestätigte bei der letzten Wahl in Ungarn gerade eine solche Präsenz, dass entgegen den Wünschen Brüssels Victor Orban auch wirklich mit deutlich absoluter Mehrheit gewählt wurde und Manipulationen nicht stattfanden.
Der Wille der Mehrheitsbevölkerung muss die eigentliche rote Linie sein, wem die Territorien zufallen – jetzt im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, aber auch für vergleichbare Interessengegensätze zwischen anderen Staaten. Niemals wieder darf Waffengewalt ein Mittel sein, um Grenzverschiebungen zu erzwingen. Auf der russischen Seite besteht der Anspruch, die im Süden und Osten der Ukraine lebenden Russen von der Herrschaft Kiews zu „befreien“.
Nach Aussagen vieler westlicher Experten gäbe es unabhängig von den sprachlichen Mehrheiten in kaum einem Teil der Ukraine eine Mehrheit für den Anschluss an Russland. Letztendlich können aber in den betroffenen Gebieten nur Referenden unter den oben genannten Bedingungen Aufschluss geben. Der Sieger dieser Referenden muss die Wahrheit sein: Welchem Staat wollen die Menschen dort mehrheitlich angehören? Das Leid der Betroffenen, gegen ihren Willen von einem Staat entweder festgehalten oder eingenommen zu werden, lässt sich nur schwer beschreiben. Auch handelt kein Staat im Interesse seiner eigenen Bevölkerung, wenn er mit allen Kosten und Risiken Gebiete gegen den Willen der ansässigen Mehrheitsbevölkerung für sich behauptet. Putin könnte sogar die Referenden unabhängig vom Ergebnis als erreichtes Ziel zur „Befreiung des Donbas“ vermitteln und auf dieser Grundlage den Krieg für beendet erklären. Er hätte dann den dort lebenden Menschen die Freiheit gebracht, selbst über die Staatszugehörigkeit ihrer Heimat zu entscheiden. Selensky wiederum müsste unabhängig vom Ergebnis der Referenden seiner Bevölkerung vermitteln, die Gebiete nur in Abhängigkeit vom Willen der ansässigen Bevölkerung behalten zu können und so aus dem blutigen Krieg herauszukommen.
Außenpolitische Beziehungen
Die Beendigung des Krieges muss aber auch eine Grundlage dafür sein, dass der Westen seine außenpolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Russischen Föderation wieder normalisiert. Ein Wiederbeleben des NATO-Russland-Rates sollte eine neue Chance geben, das Verhältnis der beiden Blöcke zu deeskalieren, selbst wenn die bestehenden Interessengegensätze nur langsam eine Annäherung ermöglichen.
Deutlicher eine Annäherung an den Westen sucht wohl die Ukraine. Hier muss der Westen einen ehrlicheren Umgang als bisher zeigen mit Bedingungen, die für alle beteiligten Staaten Vorteile bringen und auch der Ukraine signalisieren, dass man für eine privilegierte Partnerschaft – in welcher Form auch immer – eine Bringschuld hat.
Gesichtswahrend für beide Seiten
Diese Friedensbedingungen könnten sowohl Russland als auch die Ukraine gesichtswahrend, ohne zu große Demütigungen aus dem Krieg herausbringen. Es gäbe weiterhin die Ukraine als unabhängigen Nationalstaat dort, wo die Menschen mehrheitlich Ukrainer sein wollen. Die verbesserte Situation der in der Ukraine lebenden Russen wäre ein sinnvoll erreichtes Ziel Russlands. Wo eine Bevölkerungsmehrheit zu Russland gehören will, wäre ihr Wunsch erfüllt.
Noch nicht berücksichtigt wurde in diesem Beitrag der Konflikt um die gegensätzlichen Sicherheitsinteressen des Westens und Russlands, zwischen deren Fronten die Ukraine geraten ist. In absehbarer Zeit wird als Fortsetzung ein Gastbeitrag folgen über die Ukraine als militärisch blockfreier Staat und eine Sicherheitsarchitektur, mit der allen Beteiligten geholfen sein sollte.
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