Nächste Woche findet der Eurovision Song Contest in Tel Aviv statt, nach dem vorjährigen Sieg der israelischen Sängerin Netta. Die meisten Beiträge werden wie jedes Jahr auf Englisch gesungen. Doch jedes Jahr gibt es auch mutige Teilnehmer, die in ihrer Heimatsprache singen. Gute Lieder mit guten Bühnenauftritten werden auch in jeder Sprache mit Erfolg belohnt. Sensationell war 2017 der Sieg von Salvador Sobral aus Portugal. Auch dieses Jahr verdienen diejenigen Teilnehmer Aufmerksamkeit, die ihre nationale Herkunft erkennen lassen. Ein Gastbeitrag von Daniel Schweizer.
Landessprachliche Beiträge unter den gesetzten Finalisten: Frankreich, Italien, Spanien. Wie jedes Jahr sind auch dieses Jahr der Gastgeber – also Israel – und die fünf finanzstärksten Länder Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien fest im Finale gesetzt. Aus den Halbfinals am Dienstag und Donnerstag qualifizieren sich jeweils 10 weitere Länder für das Finale am Samstag. Erwartungsgemäß singen unter den fest für das Finale gesetzten Ländern Spanien, Frankreich und Italien ihre Lieder ganz oder teilweise in der Heimatsprache.
Miki aus Spanien präsentiert dieses Jahr mit „La Venda“ Latino-Pop und verbindet so auf wunderbare Weise Moderne und nationale Tradition. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Latino-Popsongs als Sommerhits in den Charts. Dies zeigt, wie erfolgreich in der Popmusik die Mischung aus Tradition und Moderne sein kann.
Laut Wettquoten hat auch dieses Jahr wieder Italien große Chancen, mit einem Lied in seiner Heimatsprache um den Sieg mitzusingen. Letztes Jahr in Lissabon erreichte Italien einen 5. Platz. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an den 3. Platz des Tenortrios Il Volo 2015. Bislang hat Italien zwei Mal den Eurovision Song Contest mit Liedern in seiner wunderschönen Nationalsprache gewonnen. Beide Siegertitel waren erfolgreich in den europäischen Charts und wurden von Stars mit internationaler Bekanntheit gesungen: 1964 Gigliola Cinquetti mit „Non ho l ´eta“ und 1990 Toto Cutugno mit „Insieme“. Auch sonst gab es in den Charts viele Italo-Hits. ,
Alessandro Mahmood, Sohn eines ägypischen Vaters und einer italienischen Mutter aus Sardinien, besingt in seinem Lied „Soldi“ (Geld) einen Vater, der seine Familie im Stich ließ. Ob dieses Lied autobiografisch ist? Da der Vater in zwei Zeilen auf Arabisch zitiert wird, könnte das Lied wirklich eine Abrechnung mit Alessandros ägyptischem Vater sein. Möge Italien dieses Jahr den ESC gewinnen. Das wäre nach dem portugiesischen Sieg vor zwei Jahren ein weiterer Siegertitel in Landessprache und würde 2020 wohl auch mehr Länder beim ESC zur Nachahmung ermutigen.
Wie viele national gefärbte Lieder in Landessprache wir im ESC-Finale am Samstag geboten bekommen, hängt davon ab, welche jeweiligen 10 Länder sich aus den beiden Halbfinals qualifizieren.
Israelfeindliche Band aus Island hinterlässt faden Beigeschmack
Im 1. Halbfinale am Dienstag können die deutschsprachigen Länder leider nicht mit abstimmen. Neben den 17 teilnehmenden Ländern sind in diesem Halbfinale unter den gesetzten Finalisten Israel, Spanien und Frankreich stimmberechtigt. Insgesamt sieben Länder präsentieren im 1. Halbfinale ihre Lieder in Landessprache. Zum ersten Mal nach 2013 bekommen wir dieses Jahr einmal wieder Isländisch zu hören. Allerdings machte die für Island antretende in Lack und Leder gekleidete linksextreme Band mit sehr unerfreulichen Ankündigungen auf sich aufmerksam:
In Tel Aviv gegen das Gastgeberland Stimmung zu machen. Dem ging voraus, dass in Island kurz nach Nettas Sieg im vergangenen Jahr viele Stimmen laut wurden, den ESC 2019 wegen des Gastgeberlandes zu boykottieren. Somit verdient der isländische Beitrag trotz Landessprache keine weitere Beachtung und es lohnt sich, das Augenmerk mehr auf die sechs anderen landessprachlichen Lieder dieses Halbfinales zu richten.
1. Halbfinale: Slowenien, Portugal, Georgien, Serbien, Ungarn und Polen
Der Vorjahresgastgeber Portugal schickt dieses Jahr einen besonders außergewöhnlichen Beitrag, der verschiedene Elemente der Moderne mit traditionellem Fado vermischt. Conan Osiris besingt in seinem zeitkritischen Lied „Telemoveis“ die Abhängigkeit von ständig klingelnden Mobiltelefonen, die auch im Sound des Liedes unterstrichen wird. Portugal werden durchaus Chancen eingeräumt, das Finale zu erreichen und dort nicht zu weit hinten zu landen.
Ebenso eine Mischung aus Moderne und nationaler Tradition bietet uns im 1. Halbfinale die Kaukasusrepublik Georgien. Der von Oto Nemsadze gesungene Beitrag trägt zwar den englischen Titel „Keep on going“, der Text ist aber komplett auf Georgisch.
Ebenfalls der Landessprache treu bleiben im 1. Halbfinale zwei Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens. Das Duo Zala Kralj & Gaspar Santl präsentiert Elektro-Pop auf Slowenisch. Eine melancholische Balkanballade gibt es dieses Jahr nicht zum ersten Mal aus Serbien. „Kruna“ (Krone) von Nevena Bozovic erreicht zwar nicht ganz die Klasse früherer Balkanballaden, klingt aber auch wunderschön und hätte auf jeden Fall den Finaleinzug verdient. Der größte Erfolg Serbiens mit dieser Stilrichtung war der Sieg von Marija Serifovic 2007 mit „Molitva“. Aber nicht viel weniger legendär waren mehrere Erfolge des in Serbien und seinen Nachbarländern überaus populären Komponisten und Sängers Zeljko Joksimovic. Vor allem sein herzergreifendes „Lane moje“, mit dem er 2004 den 2. Platz belegte, ist unter Eurovisions-Insidern ein Evergreen.
Eine erstklassige Folklore-Ballade bekommen wir im 1. Halbfinale von Serbiens Nachbarn Ungarn geboten. Der charismatische Sänger Joci Papai erzielte bereits vor zwei Jahren in Kiew mit seiner flotten Mischung aus modernem Pop und ungarischer Folklore einen grandiosen 8. Platz. Dieses Jahr vertritt er erneut seine Heimat mit der herzergreifenden Ballade „Az en apam“ (Mein Vater), die sich am Schluss durch mitreißende Tanzbewegungen steigert. Möge Joci Papai auch dieses Jahr erfolgreich das Finale erreichen und sich dort ebenso weit vorne platzieren wie vor zwei Jahren.
Unter den Visegrad-Staaten zeigt sich im 1. Halbfinale nicht nur Ungarn traditionell und patriotisch. Auch Polen schickt eine Mischung aus Moderne und ostmitteleuropäischer Tradition, die Gruppe Tulia bietet ihr „Pali sie“ (Feuer der Liebe) in einem Gesangsstil dar, der den sofortigen Wiedererkennungswert typischer slawischer Frauenchöre hat.
2. Halbfinale: Kroatien, Albanien, Norwegen
Für die Zuschauer in den deutschsprachigen Ländern wird das 2. Halbfinale relevanter, da Österreich und die Schweiz dort starten und somit abstimmen, und unter den gesetzten Finalisten Deutschland gemeinsam mit Italien und Großbritannien dort stimmberechtigt ist.
Zum ersten Mal seit 2013 kehrt Kroatien dieses Jahr zumindest teilweise zu seiner Landessprache zurück. Der erst 18jährige Roko überzeugt durch eine hervorragende Gesangsstimme mit seinem
emotionalen Schmachtfetzen „The dream“. Die erste Hälfte des Liedes singt er leider auf Englisch. Doch nach dem Zwischenspiel steigern sich die Emotionen des Liedes erheblich, wenn er ab der zweiten Strophe in der wunderschönen kroatischen Sprache singt.
Zu wünschen ist ihm auf jeden Fall der Finaleinzug. Wir, die Zuschauer in Österreich, der Schweiz und Deutschland, können unseren Teil dazu beitragen, in dem wir beim Televoting für Kroatien abstimmen. An den größten Erfolg Kroatiens beim Eurovision Song Contest heran zu reichen wird es sicher schwer werden. Diesen erzielte Kroatien mit dem 4. Platz vor 20 Jahren, als ebenfalls Israel der Gastgeber war. Damals sang Doris Dragovic ihre Hymne an „Marija Magdalena“, ebenfalls auf Kroatisch. Das Lied war in Kroatien ein großer Hit, und auch unter ESC-Insidern in ganz Europa ist „Marija Magdalena“ ein Evergreen und wird in der Instrumentalversion oftmals als Einspieler für ESC-Partys verwendet.
Mit einem sehr national gefärbten Lied, in ähnlicher Qualität wie der ungarische Beitrag, präsentiert sich Jonida Maliqi aus Albanien. „Ktheju tokes“ (Komm zurück in dein Heimatland) ruft die vielen außerhalb Albaniens lebenden Landsleute dazu auf, ihre Heimat nicht zu vergessen und nach Hause zurück zu kehren.
Es war in den letzten Jahren nicht immer selbstverständlich, dass Albanien seiner Landessprache treu bleibt. Und das, obwohl sein bestes Ergebnis der 5. Platz 2012 mit dem in Landessprache gesungenen „Suus“ war. Letztes Jahr aber sang Albanien zum ersten Mal wieder auf Albanisch, vielleicht ermutigt durch den Sieg Salvador Sobrals im Vorjahr. Mit dem 11. Platz im Finale verfehlte Albanien dann nur knapp die Top 10. Offensichtlich hat sich davon auch Jonida Maliqi ermutigen lassen, dieses Jahr ihrer Heimatsprache treu zu bleiben. Mögen der Finaleinzug und dort ein gutes Ergebnis ihr zeigen, dass ihre Entscheidung richtig war. Die Zuschauer in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben im 2. Halbfinale die Möglichkeit, durch ihre Stimme beim Televoting Albanien zum erneuten Finaleinzug zu verhelfen.
Mit einem Sprachen-Mix präsentiert sich im 2. Halbfinale auch Norwegen: Der größte Teil des Liedes wird in Englisch gesungen. Teile des Refrains und die letzte Strophe werden in der Minderheitensprache Lappisch vorgetragen.
Möge der ESC in Tel Aviv für die Menschen in Europa ein schönes Musikereignis werden, gerade auch im Gastgeberland, trotz der momentanen Überschattung durch den Hamas-Terror. Und mögen möglichst viele national gefärbte Lieder in Landessprache erfolgreich sein, damit der ESC ein Europa der Nationen repräsentiert