Samstag, 27. April 2024

Zurück zum Völkerrecht: Nie wieder Angriffskriege gegen einen anderen Staat!

Heute vor 20 Jahren begann der vom damaligen US-Präsidenten Bush vom Zaun gebrochene völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen den Irak, unter Beteiligung der „Koalition der Willigen“. Aktuell ist Europa seit über einem Jahr mit dem vonseiten des russischen Präsidenten Putin vom Zaun gebrochenen, ebenfalls völkerrechtswidrigen Kriegs gegen die Ukraine beschäftigt. Anlass genug, beide Supermächte an den Grundsatz des Völkerrechts zu erinnern. Ein Gastbeitrag von Daniel Schweizer.

Im Irak hatten damals die USA und die „Koalition der Willigen“ ihr Kriegsziel erreicht, Saddam Hussein zu stürzen. Danach folgte eine bis heute anhaltende Destabilisierung des Iraks. Glücklicherweise hatten sich mit Deutschland und Frankreich zwei bevölkerungsreiche NATO-Mitglieder gegen eine Beteiligung an diesem Verbrechen entschieden. Seit über einem Jahr tobt ein grausamer Krieg in der Ukraine. Die westlichen Staaten, aber auch insgesamt die Mehrzahl der UN-Mitglieder, verurteilen diesen Krieg als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vonseiten der Russischen Föderation.

Zurecht kam auch die Kritik auf, dass der Westen nun dasselbe bei Russland verurteilt, was er selbst damals im Irak tat. NATO-Befürworter und NATO-Gegner streiten sich, welche Supermacht mehr Verstöße gegen das Völkerrecht zu verantworten hat. Wichtiger als eine gegenseitige Aufrechnung ist aber jetzt: Beide Supermächte, überhaupt sämtliche Staaten weltweit, müssen endlich zur Einhaltung des Völkerrechts zurückkehren, soweit sie es jemals getan haben. Das Verbot gemäß UN-Charta Artikel 2 Nummer 4, andere Staaten gewaltsam anzugreifen, muss endlich zum Maßstab außenpolitischen Handelns werden. Schon in der Innenpolitik macht es sich mit schwerwiegenden Folgen bemerkbar, wenn sich staatliche Akteure in ihrem Handeln nicht an nationales Recht und Gesetz gebunden fühlen. Auch in der Außenpolitik ist daher das internationale Recht als rote Linie wichtig, um schwerwiegende Folgen willkürlicher Handlungen zu vermeiden.

Grundlagen des Völkerrechts

Gehörte noch im 19. Jahrhundert ein Krieg durchaus zu den legitimen Mitteln eines Staates, Interessen durchzusetzen, hat sich nach der grausamen Erfahrung mit zwei Weltkriegen in der Gründung der Vereinten Nationen ein Gewaltverbot als Handlungsnorm zwischen Staaten durchgesetzt – jedenfalls auf dem Papier. Bereits in der Zwischenkriegszeit wurde der Briand-Kellog-Pakt 1928 von 11 Staaten unterzeichnet, darunter den USA, Frankreich, dem Deutschen Reich und der UdSSR. Dieser Vertrag wurde auch 1945 herangezogen, um das Dritte Reich und Japan für ihre Kriegsverbrechen juristisch belangen zu können. Danach ging mit der Gründung der Vereinten Nationen das Verbot von Gewaltanwendung gegen einen anderen Staat in Artikel 2 Nummer 4 der UN-Charta ein – anerkannt sowohl von den USA als auch von der UdSSR.

Die UN-Charta sieht zwei Ausnahmen vor, unter denen vom Gewaltverbot abzusehen ist: Zeigen UNBEWAFFNETE Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates gegen eine festgestellte Gefahrenlage nach Artikel 41 der UN-Charta keine Wirkung, kann der UN-Sicherheitsrat gemäß Artikel 42 auch die militärischen Streitkräfte von UN-Mitgliedsstaaten zu Eingriffen gegen einen Staat ermächtigen. Wohlgemerkt ist dazu kein einzelner Staat ermächtigt, sondern eben nur der UN-Sicherheitsrat. Eine weitere Ausnahme gilt nach Artikel 51 für einen Staat, der bereits gewaltsam von einem anderen Staat angegriffen wurde, in dem Recht, sich selbst zu verteidigen und dazu auch die freiwillige Unterstützung weiterer Staaten anzunehmen, bis der UN-Sicherheitsrat erforderliche friedenssichernde Maßnahmen getroffen hat. Zu diesem Verteidigungsbeistand ist aber kein Staat verpflichtet. Denn in Abwägung des Risikos für die eigene Bevölkerung und einer möglichen Eskalation des Konflikts steht es jedem Staat frei, diesen Beistand zu leisten oder nicht.

Das Völkerrecht ordnet also die Hauptverantwortung demjenigen Staat zu, der den ersten Schuss gegen einen anderen Staat fallen lässt. So soll willkürlichen Vorwänden zu einem Angriffskrieg eine Absage erteilt werden. Ohne UN-Mandat darf gegen keinen Staat Gewalt angewendet werden, es sei denn zur Verteidigung nach erfolgtem Angriff. Verteidigung darf aber auch nur verhältnismäßig sein. Vergeltung, gar gegen Zivilisten, ist keine Verteidigung, sondern ein Kriegsverbrechen.

Für großen Streit sorgten immer wieder Kriegshandlungen, die als „humanitäre Interventionen“ oder als „präventive Selbstverteidigung“ (zur Abwehr eines drohenden Angriffs) von Kriegsparteien gerechtfertigt wurden. Problematisch sind deren willkürliche Auslegungen als Vorwand zur Durchsetzung von eigenen Interessen. Entsprechend des Gewaltverbots der UN-Charta und der nur begrenzten Ausnahmeregelungen ist für „humanitäre Interventionen“ oder „präventive Selbstverteidigung“ auch nur der UN-Sicherheitsrat ermächtigt, kein einzelner Staat. Dies macht auch Sinn: Angesichts der Tatsache, dass nur in den wenigsten Staaten überhaupt Mindeststandards an Menschenrechten gewährleistet sind, gäbe es ständig einen Anlass für „humanitäre Interventionen“, deren Wirkung fragwürdig ist. Es erfordert also eine große Beweislast, ob Menschenrechtsverletzungen einen solchen Schweregrad erreicht haben, dass ein Eingriff von außen erforderlich ist und überhaupt die gewünschte Wirkung zeigen würde. Auch für „präventive Selbstverteidigung“ gilt: Solange ein Staat noch keinen anderen angegriffen hat, ist die Beweislage schwierig, ob er mit seiner Rüstung sich für einen Angriff vorbereitet oder nur für die Selbstverteidigung unter Befürchtung eines Angriffs.

Irak 2003 und Ukraine 2022

Der Angriffskrieg gegen den Irak 2003 und der Angriffskrieg gegen die Ukraine sind nur zwei von vielen Beispielen dafür, dass sich die beiden aus dem Zweiten Weltkrieg als Supermächte hervorgegangenen Staaten nach 1945 oftmals nicht an das Völkerrecht gehalten haben. Weder für den Angriff der USA gegen den Irak 2003 noch für den Angriff Russlands gegen die Ukraine gab es ein UN-Mandat nach Artikel 42. Dies lag nicht nur am fragwürdigen Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat, auch ein veto-freies Mehrheitsprinzip würde wohl in der UN die Gründe nicht anerkennen, die die USA 2003 und die Russische Föderation 2022 für ihre Angriffe vorbrachten:

– Der Irakkrieg 2003 gilt auch in der Öffentlichkeit der NATO-Mitgliedsstaaten als völkerrechtswidrig. Dass die Bush-Administration ihre vorgebrachten Legitimationsgründe auf Lügen aufbauten, ist auch Standpunkt in den deutschen Mainstream-Medien, die dem transatlantischen Bündnis wohlwollend gegenüberstehen. Ein vom Westen begonnener Angriffskrieg, wiederum in der westlichen Öffentlichkeit als völkerrechtswidrig erachtet, lässt also keine Zweifel an der Völkerrechtswidrigkeit.

– Die Verurteilung des Angriffskriegs gegen die Ukraine geschah nicht nur durch den eher anti-russisch geprägten Westen, sondern unter 193 UN-Mitgliedern durch insgesamt 141 in der Resolution A/RES/ES-11/1 vom 2. März 2022. 141 Staaten erkennen somit die von Russland vorgebrachten Legitimationsgründe nicht an. Damit stimmten dieser UN-Resolution auch zahlreiche Staaten zu, die sich weder an der Sanktionspolitik noch an Waffenlieferungen beteiligen, sondern Verhandlungen Priorität einräumen und überhaupt an einem Konflikt mit Russland kein Interesse haben.

Sowohl der aktuell tobenden Krieg gegen die Ukraine, als auch der heute vor 20 Jahren begonnene Krieg gegen den Irak, sollten Anlass zur Rückbesinnung auf das Völkerrecht geben.

Völkerrecht: Westen muss mit gutem Beispiel voran gehen

Rückblickend auf den Irakkrieg vor 20 Jahren stellt sich die Frage: Ist die Empörung im Westen über den Krieg gegen die Ukraine überzogen, nachdem es 2003 zwar auch eine breite öffentliche Kritik gegen den Irak-Krieg gab, jedoch nicht annähernd dieselbe Empörung wie wegen des Ukraine-Kriegs? Sehr wohl zeigte sich hier, dass der Mensch den Splitter im Auge des anderen eher erkennt als den Balken im eigenen Auge. Die falsche Schlussfolgerung wäre allerdings, einen Völkerrechtsbruch heute gelassener zu nehmen, weil man ihn damals auch gelassen genommen hat. Viel mehr braucht es jetzt – gerade auch im Westen – eine breite Öffentlichkeit, die völkerrechtswidrige Angriffskriege verurteilt, egal wer sie vom Zaun bricht. Gerade den Regierungen aller westlichen Staaten einschließlich der USA muss für ihre künftigen außenpolitischen Entscheidungen immer vor Augen gehalten werden, mit welchem Maß sie seit dem 24. Februar 2022 Russland messen. Was muss gelten, sollte jemals wieder ein westlich orientierter Staat einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vorbereiten? Dann muss ihm um die Ohren fliegen, dass er auf dem Weg ist, dasselbe zu tun, was er am 24. Februar 2022 verurteilt hat.

Gerade weil der Westen beim Ukraine-Krieg das Völkerrecht gemäß den Artikeln 2, 42 und 51 der UN-Charta besonders betont, muss er künftig mit besonders gutem Beispiel vorangehen und sich konsequent daran halten. Denn nach Jahrhunderten Krieg als legitimem Mittel und zwei grausamen Weltkriegen gelangte mit dem Verbot von Angriffskriegen ein hohes ethisches Gut in die UN-Charta. Viel Leid kann künftig vielen Menschen erspart bleiben, wenn Angriffskriege ausbleiben.

Die Rolle Deutschlands

Und wie sollte hier Deutschland selbst mit gutem Beispiel vorangehen? Eine Selbstverständlichkeit muss sein, dass sich Deutschland niemals wieder selbst an Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt. Einem Exit Deutschlands aus der NATO könnte ich aber nicht zustimmen. Denn die Bundeswehr allein könnte derzeit angesichts ihres schwachen Standes einem bewaffneten Angriff auf Deutschland nur wenige Tage standhalten. In einem solchen Fall wären wir also auf den Beistand durch Bündnispartner angewiesen. Umso mehr muss aber Deutschland klare rote Linien ziehen, wofür unsere Bundeswehr überhaupt zur Verfügung steht und wofür nicht – und auch eine Vorbildwirkung für Bündnispartner erzielen. Das kann Deutschland aber nur durch eine Position der Stärke. Dazu gehört vor allem, die eigene Armee für Verteidigungsfähigkeit (und für keine sonstigen Zwecke) stark genug zu machen. Das ist kein Widerspruch zur Friedfertigkeit. Denn gerade Staaten, die durch traditionelle Neutralität allen anderen Staaten besonders friedfertig gegenüberstehen, haben für den ausschließlichen Zweck der Landesverteidigung fähige Armeen.

Ein wieder verteidigungsfähiges Deutschland wäre auch unter Bündnispartnern mehr Verhandlungspartner, kein Bittsteller. In einer solchen Position der Stärke könnte Deutschland deutlicher an seine Bündnispartner signalisieren: Für völkerrechtswidrige Handlungen stehen unsere Streitkräfte auf keinen Fall zur Verfügung. Denn die Einhaltung des Völkerrechts steht an erster Stelle. Vordergründig steht die Bundeswehr nur zur Landes- und Bündnisverteidigung zur Verfügung. Einsätze, die zwar mit dem Völkerrecht im Einklang wären, aber über die Landes- und Bündnisverteidigung hinausgingen, müssen unter klaren Vorbehalten stehen: nur wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit unsere Sicherheit erhöhen und in Konflikten deeskalierend wirken.

So könnte Deutschland durch Einhaltung von Völkerrecht seinen Teil zum Frieden in der Welt beitragen und aus einer Position der Stärke auch auf andere Staaten einwirken, diesem Grundsatz zu folgen.

PP-Redaktion
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Eigentlich ist PP nach wie vor ein Blog. Dennoch hat sich aufgrund der Größe des Blogs inzwischen eine Gruppe an Mitarbeitern rund um den Blogmacher Dr. David Berger gebildet, die man als eine Art Redaktion von PP bezeichnen kann.

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