Ein Gastbeitrag von Daniel Matissek
Herbert Grönemeyer singt neuerdings auf Türkisch – sein jüngster bizarrer Beitrag zu jener fehlgeleiteten, anbiedernden Vorstellung von „Integration“ in Deutschland, der zum Soundtrack der gelebten Parallelgesellschaft taugt.
Mit „Doppelherz / Iki Gönlüm“ macht sich unser kommerziell erfolgreichster Barde nicht nur daran, die 3,5 Millionen ethnischen Türken in Deutschland als neue Käufer- und Zielgruppe zu erschließen, sondern kommt gleich wieder auf sein Kernanliegen zu sprechen: „Die Sehnsüchte im Kopf und die Sehnsüchte nach anderen Plätzen“.
Mit „anderen Plätzen“ ist in diesem Kontext jedoch nicht das Fernweh der Migranten gemeint, mit denen Grönemeyer sonst bei jeder Gelegenheit mitfühlt, für deren noch viel zahlreichere und intensivere Aufnahme in Deutschland er in Talkshows schonmal eine Sondersteuer für Reiche fordert oder sich aus Solidarität in orangenen Schwimmwesten ablichten läßt – sondern in dem Fall meinen die „anderen Plätze“ die zweite, die eigentliche Heimat der Türken und Türkischstämmigen: die Türkei selbst und sie Sehnsucht nach ihr.
„Urlaubsziel oder zweite Heimat“
Es mutet befremdlich an, dass Grönemeyer behauptet, ausgerechnet die Befassung mit Texten Denis Yücels habe ihn zu seinem türkischen Fremdsprachenexkurs beflügelt – jenem Deutschtürken, der just in der Türkei über ein Jahr lang eingeknastet wurde (ehe er in das Land zurückkehrte, das ihm Aufstieg und Existenz ermöglichte und dessen Volkstod Yücel in früheren Publikationen gleichwohl frenetisch herbeijubelte).
Dennoch ist die Türkei „Urlaubsziel oder zweite Heimat“, singt Grönemeyer in seinem Psychogramm der allezeit mit Samthandschuhen anzufassenden Doppelstaatsbürger und Migrationsstämmigen.
„Heimat“ – das geht in völlig Ordnung, ist menschennatürlich und wird von Grönemeyer daher einfühlsamst besungen – natürlich sofern diese Heimat die Türkei (oder irgendein anderes beliebiges Herkunftsland) ist und nicht Deutschland.
Hingegen sind die Sehnsucht nach Deutschland oder der Topos „Deutschland als Heimat“, wann immer sie zur Sprache kommen – und dann auch noch natürlicherweise auf Deutsch – für Zeitgenossen wie Grönemeyer verspottens- bis verachtenswürdige Ausflüsse eines vorgestrigen Nationalismus und dunkeldeutschen Dumpftums. Nur wenn das, was analog ebenso in deutschen Heimat- und Volksliedern gesungen wird, auf Türkisch daherkommt, dann ist es Ausdruck achtenswerter multikultureller Sensibilität. Da wird sogar Herbie zum Schnulzensänger.
Heuchelei monströsen Ausmaßes
An Herbert Grönemeyer lässt sich exemplarisch nachvollziehen, wo das Problem mit Deutschlands Vorzeigekünstlern liegt. Sie zehren noch immer vom Ruf der unverfälschten Rebellion, der kritischen Offenheit, der authentischen Antikommerzialität und scheinen ihr Herz wie eh und je auf der singenden Zunge zu tragen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Wie ihre Fanbase, die einst in linkem Lebensgefühl badete oder selbiges mit der Muttermilch aufgesogen hat und inzwischen wohlstandsfett in den Institutionen ankam, sind auch sie selbst zu millionenschweren bourgeoisen Genussbürgern mutiert.
Doch um dem Stigma des Seelenverkäufers entgegenzuwirken, um die Lüge zu kaschieren, sie wären sich selbst treu geblieben, vielleicht auch um Trauer über den Verlust der eigenen Jugend zu bekämpfen, lassen sie keine Gelegenheit aus, „Haltung“ zu zeigen, sich politisch zu geben und sich dort zu positionieren, wo sie Antireaktion und Anti-Establishment verortet wähnen.
Was dabei herauskommt, ist Heuchelei monströsen Ausmaßes – und zwar sowohl der Künstler selbst als auch ihrer Anhängerschaft, denen größtenteils dieselben Lebenslügen zu schaffen machen.
Grönemeyer, das ist seit langem bekannt, ist einer der unangenehmsten und geldgeilsten Exponenten der deutschen Popindustrie. Wenn es anderen finanziell ans Leder gehen soll, schreit er an vorderster Front mit; als der damalige Opel-Mutterkonzern GM 2012 beschloss, den Standort in seiner Heimatstadt Bochum zu schließen, attackierte er das Unternehmen scharf und wetterte gegen Globalisierung.
Er selbst denkt da pragmatischer: Seit 20 Jahren lebt er in England. Populismus pur. Als U2 ihr „Songs of Innocence“-Album via Apple kostenlos an eine halbe Milliarde Nutzer verschenkten, fürchtete Grönemeyer um einen Verfall der Künstlervergütung und tobte über soviel „Respektlosigkeit gegenüber hart arbeitenden Kollegen“, die für Musik Geld verlangen müssten. Weil Spotify zu wenig Geld für gestreamte Songs abdrückte und es hierüber zu Protesten von Taylor Swift und anderen Megastars kam, verkündete auch Grönemeyer Ende 2014 prompt mit lautstarkem Tamtam, seine Musik wäre dort fortan nicht mehr erhältlich – nur um schon kurz darauf wieder dabeizusein, worüber die Medien freilich dann nicht mehr berichteten.
Geht es um das eigene Geld wird der Bessermensch ganz schnell zum Unmensch
Geht es um Tantiemen, wird der Menschenfreund sowieso schnell zum Unmensch. Berüchtigt sind seine überzogenen Klagen gegen all jene, die seine Songs unangemeldet spielen. Nachdem sein Album „Schiffsverkehr“ 2011 erschien, beauftragte er eine berüchtigte Abmahn-Kanzlei damit, jegliche noch so bagatellhaften Fälle von Urheberrechtsverstößen gnadenlos zur Strecke zu bringen.
Wer auf BitTorrent, LimeWire, kazaa oder Emule unachtsam einen Grönemeyer-Song streamte, wurde von der Kanzlei prompt mit einer Unterlassungklage konfrontiert, von der er sich gegen Zahlung einer Vergleichssumme von EUR 1.200 pro Fall quasi freikaufen konnte. Das ist die kapitalistische Wahrheit hinter all dem pseudohumanen, toleranten und sensitiven Gesülze, das Grönemeyer in seinen Songs transportiert.
Diskussionen, die nicht ins politische Weltbild passen, verbieten
Diskussionen, die nicht in seine Weltsicht passen, will Grönemeyer am liebsten verbieten: Beim Jameler Festival vor zwei Monaten rief er von der Bühne herab wörtlich, alleine das bloße „Infragestellen der Seenotrettung“ sei „kriminell“. Wohlfeiles öffentliches Gejammer über zu geringe Solidarität der Deutschen mit Flüchtlingen, über noch immer zu geringe Aufwendungen der Steuerzahler für diese selbstaufgeladene Mammutaufgabe stehen für Grönemeyer nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass er im noblen viktorianischen Village-Viertel Primrose Hill seinen Erstwohnsitz hat, wo sich trefflich Steuern sparen lassen und er von der sozial-kulturellen Abwärtsspirale nichts mitbekommt, in die eine wahnsinnig gewordene deutsche Politik ihr Land hinabreißt.
Von realen Problemen läßt er lieber die Finger; insofern ist auch sein neuentdecktes Türkisch-für-Anfänger-Faible beispielhaft: Durchaus hätte er sich mit dem Problem des türkischen Faschismus in Deutschland in Gestalt von AKP-Anhängern oder der Bozkurt-Bewegung (Grauen Wölfe) auseinandersetzen können; mit der unguten Tendenz, dass die einst so säkularen Türken inzwischen zunehmend islamistischer auftreten, dass immer mehr Frauen in Kopftüchern oder verschleiert durch die Straßen wackeln, dass in Erdogan-hörigen Moscheen Hass und Intoleranz gepredigt wird.
Doch er flüchtet in die Mystik des linken Weltbürgers und beschwört pseudoempathischen Seelenschmerz der Türken in Deutschland, die ihm augenscheinlich als das Wahre Schöne Gute inmitten all der potenziellen Braunhälse und AfD-Wähler anmuten. Dünkel gegen die eigenen Landsleute war seit jeher das Elixier der Gewissenskünstler. Gegen die „rechte Szene“ ansingen ist die einzige politische Agenda, die vom einstmals so vielseitigen Ausnahmesänger noch bedient wird.
Hierin unterscheidet er sich nicht von seinen regierungsergebenen, öffentlich geadelten Kollegen Campino, der musikalisch mit Linksextremen gemeine Sache macht, von Konstantin Wecker, der „Sage Nein!“ singt, während er mit seinem SUV Münchner Feinkostläden abfährt, oder von anderen Interpreten seiner Generation. Positive Ausnahme ist hier Wolfgang Niedecken, der sich immerhin noch aktiv in der Afrika-Hilfe engagiert.
Das Image, das nach außen dringt, will Grönemeyer knallhart und um jeden Preis selbst kontrollieren. Flecken auf seinem Prachtkleid dürfen nicht sein. Als er vor einigen Jahren auf dem Flughafen Köln/Bonn körperlich auf einige Reporter des Bauer- und Springer-Verlags losging, führte er einen letztlich siegreichen Unterlassungsprozess gegen die Verlage und verbot diesen die Berichterstattung über den Fall.
Gestörtes Verhältnis zu Meinungs-, Kunst- und Gedankenfreiheit
Im Vorfeld der „Dauernd Jetzt“-Tour 2016 ließ Grönemeyer über sein Management gar allen Journalisten, die darüber berichten wollten, einen Knebelvertrag vorlegen, der jedes einzelne Wort ihrer Texte einer redaktionellen Endzensur durch den Künstler unterwarf, bei hohen Vertragstrafen. Das Ergebnis war, dass über die Tour kaum berichtet wurde. Auch das spricht Bände über das Verständnis von Meinungs-, Kunst- und Gedankenfreiheit dieses kalkulierenden Kopfmenschen, der sich als linke Ikone zelebriert.
Ob er auf Türkisch, demnächst vielleicht Farsi und Arabisch oder einfach nur auf Deutsch singt: Für mich ist Herbert Grönemeyer erledigt. Ich mochte ihn mal sehr, „4630 Bochum“ war 1985 die erste LP in meinem Leben, die ich gekauft habe, und bis „Mensch“ habe ich mir immer all seine Alben direkt besorgt. Das war einmal. Wenn man die moralinsaure Unaufrichtigkeit, dieser Gestus des sich-über-andere-Erhebens, diese so bequem daherkommende politische Altklugheit miterlebt, die Künstler wie er heute auf und außerhalb der Bühne verströmen, vergeht einem die Lust selbst an begnadetsten Liedern. Heute kann ich sagen: Ich mag seine Musik nur, wenn ich taub bin.
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