Eine neue Studie zu Antisemitismus in Deutschland zeigt, wie man mit Datenmassage zu einem politisch gewünschten Ergebnis kommt, aber der konträren Wahrnehmung der Betroffenen Hohn spricht. Das stellt jedenfalls die These des Instituts für Demoskopie Allensbach vor Augen:“DerAntisemitismus [in Deutschland] insgesamt nimmt ab.“ Wenn da bloß die AfD nicht wäre.Ein Gastbeitrag von Josef Hueber
Die allein wichtige Frage, an der auch die Selbstachtung unserer Nation hängt, ist: Wie wird diese Aggression, dieser Krieg gegen einen Teil unseres Volkes abgestellt? (Gerd Held, Der neue Antisemitismus und seine Relativierer, Jüdische Rundschau, Mai 2018)
Nicht nur der Papst beansprucht Unfehlbarkeit. Da gibt es noch andere, die sich selbst vielleicht noch höher in den Regionen der Wahrheit ansiedeln, zumindest in den Augen der Öffentlichkeit. Gemeint sind Meinungsforscher, deren statistische Ergebnisse in den Katechismus der objektiven Wahrheit aufgenommen sein wollen. Eine der obersten deutschen Glaubenskongregationen neben der Bertelsmann-Stiftung auf diesem Gebiet, verantwortlich für die Publikation dogmatischer Erkenntnisse, sitzt in Allensbach.
Zur Erinnerung: Eine Autorität war sie schon. Frau Noelle-Neumanns Aussagen waren präzise und sprachlich brillant, und sie hatten auch Hand und Fuß. Ihr bekanntestes Vermächtnis war wohl die Entdeckung und Definition der „Schweigespirale“, das Phänomen zunehmender Vorsicht bei der Kundgabe eigener Meinung, wenn sie vom Mainstream bzw. politisch korrekten Denken abweicht. Kein Zweifel, heute vielleicht aktueller als zu ihrer Zeit.
Man sollte sich jedoch nicht dazu verleiten lassen, aus dem hohen Ansehen des Allensbacher Instituts in der Vergangenheit auf die Qualität der Leistungen in der Gegenwart zu schließen.
Was die Institutsenkel von Noelle-Neumann zahlengestützt unlängst verlautbart haben, wird zwar auch heute noch andächtig angenommen. Zu Unrecht, wie man in deren neuester Veröffentlichung behaupten darf. Es ist die statistisch angeblich fundierte Realitätsermittlung zum Thema Antisemitismus in Deutschland. Ex cathedra beantwortet Dr. Petersen in der FAZ vom 20. Juni die Frage Wie antisemitistisch ist Deutschland? mit dem Ergebnis seiner Untersuchung, dass nämlich Antisemitismus in Deutschland insgesamt abnehme. Das ist ein (zumindest für in Deutschland lebende Juden)
Stirnfalten provozierendes Ergebnis. Und wer nicht nur ARD oder ZDF guckt und nicht nur Süddeutsche und FAZ oder Focus oder den SPIEGEL liest, wird erstmal Luft holen. Aber die Statistik beweist es. Sagt Allensbach.
Einleitend verweist der Autor des Artikels, Dr. Thomas Petersen, zwar auf das durch den Videobeweis im Internet schnell verbreitete Beispiel des in Berlin von einem syrischen Zuwanderer durch das Tragen der Kippa identifizierten, auf Arabisch beschimpften und anschließend mit einem Gürtel malträtierten Juden. Peterson spricht hier vom zugewanderten Täter als einem „Mann“(!), der in Begleitung anderer „Männer“(!), auch Zuwanderer, war.
Er rief auf Arabisch „Jude“ und schlug mit einem Ledergürtel auf einen jungen Berliner ein
Das Beispiel wird nachfolgend bagatellisiert und instrumentalisiert. Der Leser soll es glauben: Wachsender Antisemitismus in Deutschland ist nur eine gefühlte, also irrtumsbasierte Wahrnehmung. Die Statistik zeige eine andere Wirklichkeit, weil sie auf einer empirisch vorgenommenen Untersuchung beruht. Die These des deutschlandweit rückläufigen Antisemitismus könne somit mit dem Hinweis auf Ereignisse wie in Berlin nicht widerlegt werden.
Als Vorspeise zur Beurteilung dieses Forschungsergebnisses sei ein Hinweis auf ein Video von Udo Pollmer, den unbequemen und sehr unterhaltsamen Gegner von trendigen Ernährungsideologien, erlaubt. Anhand der bekannten Harvard-Alumni-Studie, die gerne als Referenz für die These von der lebensverlängernden Wirkung des Sports dogmatisch zitiert wird, zeigt er exemplarisch und unterhaltsam auf, wie Statistik manipuliert wurde, um zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen. Dies nennt Pollmer „Daten-Massage“.
Was hat dies mit Antisemitismus bzw. der – laut Allensbach – in Deutschland angeblich (im Umkehrschluss) zunehmend judenfreundlichen Atmosphäre zu tun? Nichts auf den ersten Blick. Auf den zweiten erkennt man aber, dass Statistik in beiden Fällen als Mittel zum Zweck von tendenziösen Denken fungiert.
Die sedierende Aussage aus Allensbach beruht letztlich auf dem Prinzip der gezielten Ausklammerung von relevanten Aspekten durch die Verengung des Blickwinkels. Bei Pferden spricht man von Scheuklappen, die anzulegen sind, damit die Tiere nicht so leicht durch Wahrnehmungen von rechts oder links erschreckt werden.
Die Allensbach-Methode in einzelnen: Fragen, welche die Sicht auf die aktuelle Wirklichkeit beschränken, eine gezielte Auswahl von Probanden, als auch die Ausklammerung der Brennpunkte anwachsender Aggressionen gegen Juden. So bekommt man beruhigende Ergebnisse, wenn auch auf beunruhigende Weise.
Die „richtigen“ Fragen
Sie beziehen sich allesamt auf möglichen Antisemitismus in den Ansichten der Probanden. Der Informationsstand der Befragten hinsichtlich ihrer Kenntnisse von Übergriffen an Juden in Deutschland ist unklar bzw. kommt nicht zur Sprache. Sie nehmen keinerlei Bezug auf aktuelle physisch und psychisch gewaltsame Aktionen gegen Juden.
Stattdessen soll beantwortet werden, ob (eine Auswahl)
· man weniger über die Nazizeit reden und einen Schlussstrich ziehen sollte
· der Holocaust übertrieben dargestellt wird
· negative Eigenschaften wie Geldgier/Machthunger/Radikalität häufiger bei Juden oder Muslimen vorkommen
· Juden zu viel Einfluss auf der Welt haben
Die Antworten fallen so aus, dass im Vergleich zu früherer Zeit insgesamt tatsächlich eine für Juden günstigere Entwicklung erkennbar ist.
Das Ausklammern der Brennpunkte
Wo in Deutschland Antisemitismus zunehmend deutlich wird, in Städten und No-go-Areas, dies ist für Allensbach irrelevant, da Regionen in der Befragung überhaupt nicht thematisiert werden. Es ist auch nirgends davon die Rede, aus welchen Gegenden, d.h. in welcher geographischen Nähe zu den Vorkommnissen, die Befragten kommen (siehe 2.)
Die Auswahl der Probanden
Hier fällt auf, dass Muslime und deren Einstellung zu bzw. Denken über Juden überhaupt nicht unter die Gruppe der Befragten fallen. Gehören sie, gemäß der Fragestellung der Untersuchung, nicht zu Deutschland? Die Kanzlerin würde widersprechen, weil sie alle als Deutsche sieht, die schon „länger hier leben“. Zudem ist es doch genau diese Gruppe, die für die Bestätigung oder Widerlegung der Behauptung eines zunehmenden Antisemitismus befragt werden müsste.
Die wirklichen Antisemiten können sich nicht verstecken
EIN Ergebnis darf jedoch nicht unterschlagen werden. Eine völlige Ausblendung von Wahrnehmungen in der Wirklichkeit ist, bei allen manipulativen Tricks, nicht möglich. Es gibt sie doch – die Antisemiten. Und man ahnt, wo sie zu finden sind, man braucht nicht dreimal zu raten.
Die ewig Gestrigen, die nicht Belehrbaren, finden sich unter den Anhängern der AfD.:
„Judenfeindschaft ist unter den Anhängern der AfD weiter verbreitet als in allen anderen Parteien.“
So Allensbach.
Dort also ist der braune Sumpf zu Hause. Denn es gilt doch die Lebensweisheit: Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage dir, wer du bist.
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