Sonntag, 17. November 2024

Früchte des Zorns

Wird die „kränkende Enteignung“ des weißen Mannes in Amerika heuer oder später wahlentscheidend sein? Ein Gastbeitrag von Herwig Schafberg

„Früchte des Zorns“ ist in seiner deutschen Übersetzung der Titel eines Romans von John Steinbeck, den der Autor einer „Schlachthymne der Republik“ entnahm. In dem Kampflied aus dem amerikanischen Bürgerkrieg heißt es in Anlehnung an die biblische Offenbarung des Johannes (14, 19): „Mein Auge sah die Ankunft unseres Herrn in ihrem Ruhm; er stampfet aus die Kelter, wo des Zornes Früchte ruhn.“ Mit der Wahl dieses Titels wollte Steinbeck „an die demokratischen und revolutionären Traditionen des amerikanischen Volkes“ anknüpfen, wie Karl-Heinz Schönfelders in seinem Nachwort zu dem Roman schreibt.

Es waren – genauer gesagt – Traditionen der white anglosaxon Protestants (WASP), die von Anfang an die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft geprägt haben.

trump_and_rodman_2009In dieser WASP-Society haben native Americans (Indianer) , Afro- and Latinamericans, aber auch Katholiken, Juden und Andersgläubige, Homo- sowie Transsexuelle und Frauen bis vor kurzem mehr oder weniger am Rande gestanden, drängen seit geraumer Zeit jedoch in die Mitte sowie nach oben und manche von ihnen sogar an die Spitze des Staates.
Mit Barack Obama wurde zum ersten Mal ein Schwarzer zum Präsidenten der USA gewählt. Und das passte vielen WASP-Americans noch weniger als manchen ihrer Väter ein paar Jahrzehnte zuvor die Wahl des ersten Katholiken in Gestalt von John F. Kennedy. Zu dessen Nachfolgern fühlten sich übrigens allein die Brüder berufen, weder die Schwestern noch die Ehefrau.

Hillary Clinton ist die erste First Lady, die sich nicht mit der Rolle einer Frau an der Seite ihres Ehemannes begnügen mochte, sondern dessen Nachfolgerin im Amt des Präsidenten werden will und wird, falls Donald Trump ihr nicht mit Erfolg die Rückkehr ins Weiße Haus streitig macht.

Während Schwarze und Latinos, vermutlich auch Homo- sowie Transsexuelle und sicherlich Frauen mit großer Mehrheit hinter Clinton stehen, findet Trump bei weißen heterosexuellen Männern weit mehr Zustimmung als seine Gegenkandidatin.

Viele dieser weißen Männer sind zornig, weil ihnen die „kränkende Enteignung“ zusetzt, wie Michael Kimmel es in seinem Buch über „Angry White Men“ nennt.

Es sind weiße Männer, die im Laufe des letzten halben Jahrhunderts mehr als andere zu verlieren hatten; denn im Unterschied zu vielen Schwarzen, Latinos und Frauen steht für sie als hochqualifizierte Facharbeiter, selbständige Handwerker, Ladenbesitzer sowie Farmer eine Menge auf dem Spiel, wenn Unternehmen der Fertigungsindustrie ihre Produktion und damit auch Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, Handwerksbetriebe infolgedessen große Kunden verlieren, Ladengeschäfte der Konkurrenz von Handelskonzernen ebenso schwer standhalten können wie Farmen dem Druck der Agrarindustrie.

Es sind enteignete weiße Männer, die ebenso wenig wie seinerzeit in Steinbecks Roman die Farmer aus Oklahoma wissen, wen sie für ihre Verarmung zur Rechenschaft ziehen sollen.

In Oklahoma wie auch in Arkansas waren es Zehntausende Farmer, die als Folge der „Großen Depression“ und der langen Dürre in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihr Land an Banken und andere Finanzgesellschaften preisgeben mussten. Um ihrer aussichtslosen Lage daheim zu entkommen, machten viele von ihnen sich auf den Weg nach Westen, um sich in Kalifornien als Erntehelfer zu verdingen. Dort wurden sie aber von Plantagenbesitzern mit Hungerlöhnen ausgebeutet, soweit sie überhaupt Arbeit fanden, von Polizisten schikaniert, wenn sie aufbegehrten, und angefeindet von Einheimischen, denen die Massenzuwanderung so vieler „Okies“ nicht passte.

„Früchte des Zorns“ sind gewissermaßen das literarische Denkmal, das John Steinbeck diesen expropriierten sowie vagabundierenden Farmern aus Oklahoma in Gestalt der Familie Joad setzte.

fruchte-1Jim Casey, der sich den Joads auf dem Weg nach Kalifornien anschließt, ist – so Schönfelder in seinem Nachwort – das „Sprachrohr des Autors“. Der ehemalige Sektenprediger erkennt, dass „Hilfe für die Unterdrückten weder von himmlischen Mächten noch von irgendeiner irdischen Autorität zu erwarten“ sei, sondern dass diese „ihr Los nur dann verbessern können, wenn sie sich zusammenschließen.“ Daran wirkt er maßgebend mit und wird zum Streikführer der Saisonarbeiter auf den kalifornischen Obstplantagen.

fruchte-2Der profilierteste Vertreter der Familie Joad ist der Sohn Tom, wie Schönfelder hervorhebt: „Lassen die persönlichen Erfahrungen die Früchte des Zorns in seiner Brust wachsen,“ so begreift er in seinen Gesprächen mit Casey, dass „die kapitalistischen Produktionsverhältnisse weder durch bloßes Träumen von einem besseren Leben noch durch Aktionen eines einzelnen beseitigt werden können.“ Und er beschließt nach Casey`s gewaltsamen Tod, dessen Arbeit als Streikführer fortzusetzen.

Wie Plantagenbesitzer, Politiker und Polizei mit Hetze und Gewalt Streiks in den Reihen der Saisonarbeiter zu verhindern suchten, sollte auch die Verbreitung von Steinbecks Roman unterbunden werden.

Nachdem die „Früchte des Zorns“ 1939 auf den Buchmarkt gekommen und großes Aufsehen erregt hatten, wurde der Autor prokommunistischer Umtriebe verdächtigt und Buchexemplare seines Romans aus öffentlichen Bibliotheken entfernt, mancherorts sogar verbrannt. Doch alle diese in der Presse lebhaft diskutierten Versuche konnten nicht verhindern, sondern trugen – im Gegenteil – dazu bei, dass der Roman weltweit zum Bestseller wurde.

Die Große Depression führte zwar nicht zur Revolutionierung der Produktionsverhältnisse, wohl aber zu Reformen, die Präsident Franklin D. Roosevelt unter dem Namen New Deal zur Überwindung der Wirtschaftskrise und zur Linderung der sozialen Not durchführte.

Vollbeschäftigung wurde allerdings erst während des 2. Weltkrieges durch die Umstellung auf Kriegswirtschaft erreicht, in der Frauen großenteils die zum Militärdienst rekrutierten Männer am Arbeitsplatz ersetzen mussten. Und als die Männer aus dem Weltkrieg und dem bald darauffolgenden Koreakrieg zurückkehrten, wurde viel dafür getan, um Platz für sie auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen und Frauen zurück an den heimischen Herd zu locken.

Dazu ließ sich auch Hollywood manches einfallen: Etwa mit einem Film, der in deutschen Kinos unter dem Titel lief: „Was diese Frau so alles treibt“, als wäre sie vom Pfad der Tugend abgekommen. In dem Film geht es um eine von Doris Day gespielte Frau, die einen Job in der Werbung für eine Seifenmarke annimmt und mit ihrer Publicity sowie ihren Einkünften den Ehemann – einen angesehenen Gynäkologen – in den Schatten stellt. Der will seine Ehefrau wieder ganz für sich gewinnen und hat damit Erfolg; denn am Ende gibt sie ihre Karriere auf, will nur noch „eine kleine Arztfrau sein“ und ein weiteres Kind von ihm bekommen.

Es mag zum alten „amerikanischen Traum“ gehören, dass ein Mann aus eigener Kraft seine Familie ernähren kann; doch so leicht wie in der Traumfabrik Hollywood lassen sich Frauen heute nicht mehr ans Heim binden.

Nachdem das Realeinkommen eines weißen Mannes aus der Mittelschicht seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts kaum noch gestiegen war, ist es seit den neunziger Jahren sogar gesunken. Das Durchschnitteinkommen seiner Familie lag 2011 mit ungefähr 50 000 Dollar um rund 6000 niedriger als 1971. Und dass die Differenz nicht noch größer geworden ist, liegt daran, dass die Ehefrau – anders als 40 Jahre zuvor – heute mitarbeitet. Es braucht also im Durchschnitt zwei Verdiener in einer Familie, damit diese einigermaßen über die Runden kommt, noch etwas für die Kranken- sowie Alterversicherung übrig hat und das Schulgeld für die Kinder aufbringen kann.

Auf zwei männliche College-Absolventen in den USA kommen inzwischen drei weibliche. Und die Beschäftigungsquote von Frauen ist höher als die von Männern.
Drei Viertel aller Arbeitsplätze, die während der Finanzkrise 2007 verloren gingen, waren mit Männern in der Industrie sowie im Bauwesen und – nebenbei gesagt – auch an der Wall Street besetzt.

Es sind zudem enteignete Handwerker, Ladenbesitzer und Farmer, größtenteils Weiße, die unter dem weiter oben erwähnten Konkurrenzdruck ihre Bankdarlehen nicht mehr tilgen konnten, ihre seit Generationen von den Vätern an die Söhne vererbten Betriebe schließen und erleben mussten, wie ihr Besitz versteigert wurde, während auf der anderen Seite der gespaltenen Gesellschaft Banken mit Milliardenbürgschaften vor dem Niedergang bewahrt und hochbezahlte Manager für „ihre“ Bankensanierung auch noch mit Bonuszahlungen in Millionenhöhe belohnt wurden.

In der Weltwirtschaftskrise war der Verlust von Arbeitsplätzen und Eigenbetrieben ebenso geschlechtsspezifisch gewesen, aber nicht so demütigend wie heute empfunden worden, weil es nur einen Ernährer in der Familie gegeben hatte – den Mann.

Michael Kimmel zitiert in „Angry white Men“ Susan Faludi aus deren Buch über „Männer, das betrogene Geschlecht“: Viele amerikanische Männer hätten nicht mehr „die Möglichkeit, genug und verläßlich Geld für ein anständiges Leben nach Hause zu bringen, Anerkennung in ihrer Familie und respektvolle Behandlung durch die Welt außen“ zu finden. Sie fühlten sich gewissermaßen ihrer Männlichkeit beraubt und gedemütigt. „Das Versprechen ökonomischer Freiheit, grenzenloser Chancen und unbegrenzter Aufwärtsmobilität war die terra firma der amerikanischen Männlichkeit, der feste Boden, auf dem die amerikanischen Männer viele Generationen lang gestanden haben,“ meint Kimmel und fährt fort: „Heute haben sie das Gefühl, dass er ihnen unter den Füßen weggezogen wird.“

Wenn ein Mann – ein Weißer – früher daheim keinen Fuß auf den Boden bekam, zog er nach Westen. „Go West“ war die Devise, die im 19. Jahrhundert zur Erschließung des Kontinents bis an den Pazifik und dessen Besitznahme durch den „weißen Mann“ ausgegeben worden war. Man könnte auch weniger pathetisch sagen: „Die amerikanische Geschichte handelt von Verlierern, die in den Westen auswandern,“ wie Kimmel seinen Studenten erklärte.

Hatten die britischen Kolonialherren noch die Appalachen als Siedlungsgrenzen festgesetzt, wurden diese „frontiers“ nach dem Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) an den Mississippi ausgedehnt und die nomadisierenden Indianerstämme immer weiter zurückgedrängt. Wer es in Boston, New York oder Philadelphia zu Besitz und Wohlstand gebracht hatte, der blieb dort. Die Gescheiterten hingegen zogen nach Chicago oder St. Louis.

mountaintop_removal_mine_in_pike_county_kentuckyDie Regierung erklärte im 19. Jahrhundert weitere Gebiete – westlich des Mississippi – zu Territorien der USA und förderte deren Besiedlung mit Ausnahme derer, die den Indianern vorbehalten bleiben sollten. Dazu gehörte Oklahoma, das jedoch am Ende des Jahrhunderts ebenfalls für weiße Siedler freigegeben und im „Oklahoma Land Run“ von Kolonisten besiedelt wurde, die woanders nicht sozial arriviert waren. Dem ökonomischen Aufschwung nach der Entdeckung von Erdöl- sowie Erdgasfunden folgte aber die Große Depression. Diese Weltwirtschaftskrise wurde verschärft durch die lange Dürre und trieb viele „Okies“ wie die Joads weiter westlich nach Kalifornien.

Das war ihnen und vielen anderen zuvor und danach wie das „gelobte Land“ vorgegaukelt worden. Doch auf den Obstplantagen im Salinas Valley wuchsen lediglich bittere „Früchte des Zorns“, wie wir von Steinbeck wissen, der solche Verhältnisse persönlich erlebte. Und heute sieht es in Kalifornien perspektivisch für viele kaum besser aus. Im Silicon Valley wird anscheinend mehr für die Automatisierung sowie Digitalisierung von Arbeitsprozessen getan als für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Im einstigen „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ stößt man heute überall an Grenzen, die nur für Big Business offen gehalten werden.

Während Industrieunternehmen ihre Produktion und damit auch Arbeitsplätze nach Mexiko verlagern und daheim arbeitslos Gewordene nicht wissen, wohin sie gehen könnten, um sich sowie ihre Familien über die Runden zu bringen, gibt es auf der anderen Seite der Grenze Millionen Latinos, die es auf Schleichwegen in die USA schaffen wollen und hoffen, dort günstigere Lebensbedingungen zu finden als in Mexiko oder einem anderen Herkunftsland. In den USA werden diese Einwanderer allerdings von Einheimischen ebenso als unerwünschte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt empfunden wie einst freigelassene „Nigger“ von verarmten Weißen in den Südstaaten.

Der Wiederaufbau des verwüsteten Südens nach dem Bürgerkrieg (1861–1865) hatte mit dem wirtschaftlichen Aufschwung im Norden nicht standhalten können, so dass viele Menschen aus den Südstaaten ihr Glück bei der Industrialisierung des Nordostens oder der Erschließung des Westens gesucht hatten – nicht bloß Weiße, sondern auch Schwarze. Letztere waren zwar nach dem Bürgerkrieg aus der Sklaverei befreit worden, wurden aber auf Grund gesetzlicher Rassentrennung in den Südstaaten weiter diskriminiert.

Erst hundert Jahre nach diesem Krieg wurde die gesetzliche Diskriminierung beseitigt und zudem verfügt, dass staatliche sowie vom Staat finanzierte Arbeitgeber Menschen nicht mehr wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder anderer Identitätsmerkmale benachteiligen dürften (1965). Das kommt also nicht bloß Schwarzen, sondern auch Frauen und weiteren Gruppen wie etwa Homosexuellen zugute und geht zulasten weißer heterosexueller Männer; denn die „Affirmative Action“ bewirkte, dass seither Angehörige traditionell benachteiligter Gruppen im Ausbildungssektor sowie auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden.

Doch was kann ein weißer heterosexueller Mann von heute dafür, dass Frauen und Schwarze im Vergleich zu ihm früher benachteiligt waren? Er fühlt sich betrogen, wenn er sich um einen Job bewirbt, an seiner Stelle aber eine nicht besser qualifizierte Frau eingestellt wird, oder wenn er an einer Universität nicht angenommen wird, weil ein Schwarzer wegen seiner Hautfarbe bei der Vergabe der Studienplätze mehr Pluspunkte erhält und dann auch noch ein anderer Weißer als Sohn eines spendablen Absolventen dieser Hochschule bevorzugt wird. Und er ist beleidigt, weil er das Gefühl hat, dass die gesellschaftliche und politische Elite sich weniger um seine Nöte und Sorgen kümmert als um die der anderen, soweit die Elite nicht auf den eigenen Vorteil bedacht ist.

Besonders die Demokraten nimmt mancher zornige weiße Mann nicht mehr als Volkspartei wahr, sondern als Klientelpartei, der es nicht um die ganze, sondern um Teile der amerikanischen Gesellschaft geht, in denen ihm kein Opferstatus zusteht.

Wenn auf dem demokratischen Parteitag eine erfolgreiche Schauspielerin sowie Regisseurin Donald Trump des Sexismus bezichtigt und sich als Feministin vorstellt, die einen sexuellen Übergriff erlitten hätte, dann gehört sie zu den Opfern, die Hillary Clinton ins Zentrum ihres Wahlkampfes gestellt hat. Aber mancher weiße Mann sieht in beiden Frauen Angehörige einer Elite, deren Anliegen ihm im Vergleich zu seinen Existenznöten wie Luxusprobleme vorkommen, und er ist zornig, dass eine berühmte Feministin sich Gehör verschaffen kann und er es wie Joe, der Klempner, allenfalls zum geflügelten Wort bringt, das andere im Munde führen.

Diesen Klempner gab es wirklich. Als Barack Obama im Wahlkampf 2008 mit dem Slogan „Yes, we can“ Zuversicht zu verbreiten suchte, wollte Joe von ihm wissen, ob er steuerlich das Risiko eingehen könnte, sich beruflich selbständig zu machen, und wird seither häufig in Wahlkämpfen als „Joe the Plumber“ stereotypisiert.

Wer weiß denn, ob er tatsächlich den Schritt zur Selbständigkeit wagte, damit Erfolg hatte oder eine „kränkende Enteignung“ erfuhr? Oder ob er in der Firma, in der er damals einen Job hatte, geblieben ist, weil er das Risiko scheute und es vorzog, weiter mit seinen Kollegen zusammenzuarbeiten und festen Lohn zu beziehen, der von seiner Gewerkschaft ausgehandelt wurde?

Deren Einfluss schwindet allerdings mit der Deindustrialisierung. Und wenn seine Firma schließt, steht Joe ohne gewerkschaftlichen Schutz da und ist eventuell einer von den weißen Männern, die zornig sind, weil bei der Bewerbung um einen neuen Job eine Frau oder ein Schwarzer bevorzugt wird. Und wenn „die Früchte des Zorns in seiner Brust wachsen“, schließt er sich vielleicht der Tea Party oder einer anderen Bewegung an, die aber nicht auf dem Wege zur Revolutionierung der Produktionsverhältnisse ist, sondern lieber zurück zu den Verhältnissen will, in denen ein Mann noch durch anständige Arbeit seine Kinder ernähren konnte.

Im „amerikanischen Traum“ waren das Kinder, die nicht etwa wie Timothy McVeigh erleben mussten, dass der Vater durch die Schließung eines Stahlwerks arbeitslos geworden war. Dieser Timothy schrieb später an eine Zeitung: „Der amerikanische Traum ist fast völlig verschwunden, ersetzt durch Menschen, die zu kämpfen haben, um auch nur die Lebensmittel für die nächste Woche zu kaufen.“

1995 sprengte Timothy McVeigh in Oklahoma City ein Regierungsgebäude mit 168 Todesopfern in die Luft, als fühlte dieser zornige weiße Mann sich dazu berufen, die Rolle eines apokalyptischen Reiters aus der Offenbarung des Johannes (siehe Bild unten)  zu übernehmen.

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Wie unsicher die Perspektiven seit der längst noch nicht überwundenen Finanzkrise noch mehr als damals eingeschätzt werden, lässt sich daran ermessen, dass 2016 einerseits viele Millionen Amerikaner zum ersten Mal für einen bekennenden Sozialisten in Gestalt von Bernie Sanders bei der Wahl zum Präsidenten stimmen würden, wenn dieser im Wettbewerb geblieben wäre – dass andererseits aber viele von denen nun eher Donald Trump als Hillary Clinton wählen wollen. Der gehört zwar genau wie sie zur Elite, ist gewiss kein Sozialist, findet aber viel Beifall in seiner selbst gewählten Rolle als Volkstribun, unter dessen Führung „America great again“ werden soll.

Bekanntlich will er das unter anderem erreichen, indem an der Grenze zu Mexiko eine Mauer zur Verhinderung weiterer Einwanderung gebaut wird und Produkte von Unternehmen, die ihre Produktion nach Mexiko verlagert haben, mit hohen Importzöllen belegt werden – nicht zuletzt, um die verbliebene Industrie von einer möglichen Produktionsverlagerung ins billigere Ausland abzuhalten.

Wer im Zorn seine ganze Hoffnung auf Trump setzt, der nimmt diesem Narziss vermutlich die „sexistischen“ sowie „rassistischen“ Bemerkungen nicht übel, sondern empfindet vielleicht sogar Genugtuung, nachdem er oft genug erlebt hat, dass andere sich nicht genieren, weiße christliche heterosexuelle Männer durch hämische Witze herabzuwürdigen, jedoch empört reagieren, wenn einer von denen sich über Schwarze, Muslime, Homosexuelle und Frauen abfällig lustig macht.

Mit Donald Trump hat sich die Reaktion formiert und ist zum Gegenangriff aufmarschiert, um den alten amerikanischen Traum zu neuem Leben zu erwecken. Und es ist eine Frage der Zeit, wann der zornige weiße Mann ins letzte Gefecht geht: Heuer oder später?

Fotos: Vorschaubild © Gage Skidmore CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons – Trump und Rodman © OPEN Sports [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons; Appalachen: (c) By http://www.flickr.com/people/15648670 @N00 iLoveMountains.org, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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