Der Fall Norbert Bolz ist kein Ausrutscher. Er zeigt vielmehr, wie kritisch der Zustand von Freiheit und Demokratie in Deutschland bereits ist. Wenn nicht jetzt eine Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit, zur Freiheit der Äußerung und zur Klarheit im Strafrecht erfolgt, werden bald ganz andere Tonalitäten Alltag. Ein Gastbeitrag von Kristin Brinker.
„Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe“. Dieser Satz stammt vom damaligen britischen Premierminister Winston Churchill. Obwohl es in Deutschland keine Milchmänner mehr gibt, klopft es hierzulande in letzter Zeit oft am frühen Morgen an Türen. Was sagt das über den Zustand unseres Landes aus?
Am Morgen des 23. Oktober zum Beispiel klopfte die Polizei an die Tür des renommierten Publizisten und „Welt“-Kolumnisten Norbert Bolz. Grund: Eine Hausdurchsuchung auf Anordnung der Berliner Staatsanwaltschaft. Auslöser war ein Online-Beitrag vom Januar 2024 auf der Plattform X, in dem Bolz den Satz „Gute Übersetzung von ‚woke‘: Deutschland erwache!“ schrieb. Der Satz basiert auf dem Titel eines Artikels der „taz“ („AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“) sowie auf der deutschen Übersetzung von „woke“, nämlich “erwacht“, und er war ganz offensichtlich ironisch gemeint. Dennoch wirft ihm die Berliner Staatsanwaltschaft vor, mit der Parole „Deutschland erwache!“ eine NS-Losung verwendet zu haben, und leitete Ermittlungen wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ein.
Der 72-Jährige Norbert Bolz, emeritierter Professor für Medienwissenschaft und Autor zahlreicher Bücher, ist kein Unbekannter in der deutschen Debatte und ein scharfsinniger Kritiker gesellschaftlicher Trends. Diese honorige Persönlichkeit wurde mit einer Razzia konfrontiert, die nicht nur seine Privatsphäre verletzte, sondern auch ein weiteres alarmierendes Signal für die Meinungsfreiheit in Deutschland sendet. Denn dieser Vorfall ist kein Einzelfall, sondern Teil eines besorgniserregenden Trends: Die Einschränkung der freien Meinungsäußerung durch offensichtlich überzogene Justizmaßnahmen.
Die Staatsanwaltschaft Berlin sah in seinem Tweet einen Verstoß gegen § 86a des Strafgesetzbuches, der das Verwenden von Symbolen verbotener Organisationen unter Strafe stellt. Doch Bolz‘ Äußerung war eindeutig satirisch gemeint; ein Wortspiel, das die Absurdität aktueller Debatten betonen sollte. Dennoch: 21 Monate nach dem Post rückten Polizisten an, durchsuchten Räume und hätten wahrscheinlich auch Handys und Computer beschlagnahmt, wenn Bolz nicht sofort zugegeben und nachgewiesen hätte, dass der Tweet von ihm stammt.
Bolz selbst kommentierte den Vorfall gelassen, aber kritisch: „Es geht um Einschüchterung.“ Und genau hier liegt das Problem. Hausdurchsuchungen sind invasive Maßnahmen, die normalerweise schweren Verbrechen vorbehalten sein sollten, nicht ironischen Tweets. Viele Nutzer in den sozialen Medien kritisierten die Maßnahme denn auch, bezeichneten sie als weitere „Eskalationsstufe im Krieg gegen die Meinungsfreiheit“ und warnten, „Es kann jeden treffen, der sich kritisch mit dem linken-woken Wahnsinn auseinandersetzt.“
Auch aus Politik und Medien kam geharnischte Kritik. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki schrieb, „Das ist nur durch komplette Inkompetenz oder Böswilligkeit erklärbar“, „NIUS“-Chef Julian Reichelt erinnerte, „Klopfen an der Haustür im Morgenrauen, das war das Erkennungszeichen in gleich zwei deutsche Diktaturen. (…) Eigentlich waren wir uns einig, das nie wieder zu wollen in Deutschland. Doch das Klopfen ist zurück.“ Der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Nessler befürchtet „Wir sind auf der abschüssigen Bahn von einem Rechtsstaat hin zum Einschüchterungsstaat.“ Und der Kommunikationsberater Klaus Kocks stellt fest: „Eine Zensur findet statt“.
Bolz‘ „Welt“-Kollege Deniz Yücel schrieb, „Die Berliner Staatsanwälte, die die Razzia bei Norbert Bolz angeordnet haben, sind nicht bescheuert. Sie sind gefährlich.“ Und Jochen Bittner von der „Zeit“ kommentierte Yücels Posting mit den Worten „Richtig, und nicht nur das. Sowohl der Staatsanwalt, der diesen Antrag gestellt hat, wie der Richter, der ihm zugestimmt hat, gehören wegen Rechtsbeugung vor Gericht.“
Selbst von linker Seite gab es heftige Kritik:“: Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang schrieb, „Solche Razzien sind absurd. Und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“ Der ehemalige Bürgermeister von Bremen, Ralf Fücks (ebenfalls von den Grünen), schrieb, „Ihr habt sie nicht mehr alle. Das ist Missbrauch der Justiz gegen die Meinungsfreiheit.“ Und sogar die „taz“ „wundert sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, hält eine Hausdurchsuchung wegen eines solchen Tweets für unverhältnismäßig und fragt sich, warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der taz geklingelt hat, als wir titelten „Deutschland, erwache!““
(Anmerkung am Rande: Während der Fall Bolz quer durch die Medienlandschaft breit diskutiert wird, haben Zuschauer von ARD und ZDF bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Rundbriefs nichts, kein Wort davon erfahren. Weder „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ noch „heute“ und “heute journal“ hielten diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit bislang für berichtenswert. Die Anstalten, die nicht „Staatsfunk“ genannt werden wollen, haben es mittlerweile komplett aufgegeben, Kritik am Staat und an staatlichem Handeln zu üben oder wenigstens über solche Kritik zu berichten. Aber allein das wäre ein Thema für einen weiteren Rundbrief…)
Tatsächlich scheint die Justiz hier nicht dem Schutz der Demokratie zu dienen, wie es ihre Aufgabe wäre, vielmehr fungiert sie als Instrument der Abschreckung. Dieser Vorfall ist symptomatisch für eine breitere Entwicklung. In den letzten Jahren häufen sich Fälle, in denen Äußerungen im Netz zu drakonischen Reaktionen führen. Die Meinungsfreiheit, geschützt durch Artikel 5 des Grundgesetzes, wird unter dem Deckmantel des Schutzes vor „Hass“ oder „Hetze“ zunehmend relativiert. Doch was als Schutz beginnt, endet oft als Zensur.
Schauen wir uns zwei weitere prominente Beispiele von Razzien und Hausdurchsuchungen wegen Äußerungsdelikten an, die die Problematik unterstreichen. Der „Schwachkopf“-Fall drehte sich um einen 64-jährigen Rentner aus Unterfranken, der Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf X als „Schwachkopf Professional“ bezeichnete – eine Anspielung auf eine Shampoo-Marke. Der Post führte im November 2024 zu einer Hausdurchsuchung, offenbar initiiert durch einen Strafantrag Habecks. Die Staatsanwaltschaft Bamberg begründete die Razzia mit Verdacht auf Beleidigung und Volksverhetzung.
Kritiker warfen Habeck vor, dünnhäutig zu sein. Er selbst räumte später ein: „Schwachkopf ist nicht die schlimmste Beleidigung.“ Der Fall zeigt, wie harmlose Kritik an Politikern eine übereifrige (oder gar aktivistische?) Justiz zu invasiven Maßnahmen eskalieren lässt.
Ähnlich auch die Hamburger „Pimmel-Affäre“: 2021 nannte ein Nutzer den Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) auf Twitter „Du bist so 1 Pimmel“; eine Reaktion auf Grotes Corona-Politik. Grote stellte Strafantrag wegen Beleidigung, was zu einer Hausdurchsuchung führte. Die Aktion sorgte für Aufsehen: Hamburg wurde mit Penis-Graffiti übersät und der Fall ging als „Pimmelgate“ viral. Später urteilte das Gericht: Die Razzia war rechtswidrig. Dennoch stand der Betroffene monatelang unter Druck – Handy und Laptop waren beschlagnahmt, die Privatsphäre verletzt, ein Strafverfahren hing wie ein Damoklesschwert über ihm.
Diese Fälle illustrieren: Was als „Beleidigung“ beginnt, endet oft in überproportionaler Bestrafung. Die Justiz scheint hier nicht nur zu reagieren, sondern aktiv einzuschüchtern. Hinter diesen Vorfällen stehen Staatsanwälte und Richter, die zunehmend und anscheinend bedenkenlos Hausdurchsuchungen wegen Äußerungsdelikten vornehmen lassen. In Deutschland werden jährlich Tausende solcher Maßnahmen angeordnet, viele wegen Online-Posts.
Besonders deutlich wurde das in einer CBS-Dokumentation aus dem Februar dieses Jahres: Die US-Sendung „60 Minutes“ begleitete Staatsanwälte der „Zentralstelle Hasskriminalität“ in Göttingen bei ihrer Arbeit. Die Reporter filmten Hausdurchsuchungen wegen „Hass und Hetze im Netz“. Ein Staatsanwalt lachte im Interview offen: „Allein die Beschlagnahme des Handys ist schon eine Strafe – die Leute flippen aus.“ Und seine Kollegin ergänzte amüsiert: „Sie sind ohne ihr Smartphone verloren.“ Die Doku schlug hohe Wellen bis ins Weiße Haus: US-Vizepräsident J.D. Vance reagierte scharf: „Das ist Zensur, die die USA schockiert.“
Die Doku zeigte: Für diese Beamten dient eine Hausdurchsuchung nicht nur der Ermittlung, sondern als bewusste Sanktion, als Strafe ohne Gerichtsverfahren und ohne Urteil. Darf man solche Staatsanwälte als „furchtbare Juristen“ bezeichnen…?
Doch viele Richter bremsen den Bestrafungsdrang der Ankläger nicht etwa, sondern genehmigen solche Anträge routinemäßig, ohne ausreichende Prüfung. Im Bolz-Fall etwa ignorierte man komplett den satirischen Kontext. Als Motto scheinen sich diese Richter den Mao-Ausspruch „Bestrafe einen, erziehe Hunderte“ gesetzt zu haben.
Und es wirkt: Bürger zögern zunehmend, Kritik zu äußern, aus Angst vor Razzien. Nicht einmal mehr die Hälfte der Deutschen (46 %) glaubt noch, dass man seine Meinung hierzulande frei äußern kann – ein Alarmsignal für jeden Demokraten. So wird die Justiz, die die Freiheit schützen sollte, zum Werkzeug der Unterdrückung. Besonders in Niedersachsen, wo die Göttinger Zentralstelle sitzt, häufen sich Fälle: Handys und Laptops werden konfisziert, oft wegen banaler Posts. Das ist nicht Rechtsstaat, sondern Willkür.
Was die Berliner Justizbehörden und den Fall Bolz betrifft, fällt einem unwillkürlich die Aussage des damaligen rechtspolitischen Sprechers der Grünen im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, ein: „Wir haben die gesamte Führung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausgetauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht. Bei der Feuerwehr, der Polizei, der Generalstaatsanwaltschaft und auch beim Verfassungsschutz. Ich hoffe sehr, dass sich das in Zukunft bemerkbar macht.“ Man kann nur sagen: Mission erfüllt.
Eine gefährliche Rolle in diesem Themenkomplex spielen die staatlichen oder halbstaatlichen Meldestellen, die in letzter Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Ganz vorneweg ist dabei die „Amadeu-Antonio-Stiftung“, die ausgerechnet von einer ehemaligen Stasi-IM geleitet und mit Millionen EUR gefördert wird. Aber auch Bund und Länder setzen zunehmend auf Stellen, bei denen Denunzianten alles und Jeden verpetzen können, das oder der ihnen nicht in den politischen Kram passt. Selbst in unionsregierten Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern gibt es solche staatlichen Meldestellen. Es ist kein Zufall, dass der Fall Bolz ebenfalls durch eine solche staatliche Institution, nämlich „Hessen gegen Hetze“, in Gang gesetzt wurde, die Bolz‘ Posting an die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ beim Bundeskriminalamt weiterleitete.
Bei Politikerbeleidigungen ist ein Kernproblem der § 188 des Strafgesetzbuches, der „gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung“ höher bestraft als Beleidigungen gegen Normalbürger. Der Paragraf sieht bis zu fünf Jahre Haft (!) vor, wenn die Äußerung die politische Tätigkeit behindert – und falls Sie sich fragen, wie jemand durch eine Beleidigung an seiner politischen Tätigkeit gehindert werden kann: Ich habe keine Idee.
Das angebliche Ziel des Paragraphen: Politiker vor „Ehrabschneidung“ zu schützen. Doch warum sollten Politiker schutzbedürftiger sein als Supermarktkassiererinnen oder Bankberater? Politiker sind öffentliche Figuren, die Kritik aushalten müssen, das ist essenziell für die Demokratie. Und gerade wir von der AfD können davon ein Lied singen.
Der § 188 schafft Ungleichheit: Ein „Schwachkopf“-Post gegen Habeck führt zur Razzia, gegen einen Privatmann vielleicht nur zu einer Verwarnung. Kritiker fordern denn auch die Abschaffung, um die Meinungsfreiheit zu stärken und Gleichheit vor dem Gesetz zu schaffen. In einer freien Gesellschaft sollten Politiker robust sein, nicht durch Sondergesetze gepampert.
Grundsätzlich sollte die Strafbarkeit von Äußerungen ausschließlich nach dem konkreten Schaden beurteilt werden und nicht nach einer bloßen Beleidigungsempfindung. Es ist ein großer Unterschied, ob jemand öffentlich eine falsche Tatsachenbehauptung („XY hat Straftaten begangen“) verbreitet oder ob er eine beleidigende Äußerung von sich gibt. Der erste Fall kann tatsächlichen Schaden verursachen, er kann Reputation zerstören und wirtschafts- oder gar existenzgefährdend sein. Der zweite ist primär Ausdruck einer Bewertung, Satire, Protest oder Spott und gehört damit zum Kernbereich der Meinungsfreiheit. Wo kein Schaden entsteht, sollte auch keine Strafe folgen.
Meinungsfreiheit ist kein abstraktes Luxusgut. Sie ist die Grundvoraussetzung für eine lebendige demokratische Gesellschaft, in der Kritik, Satire, Spott und Protest Platz haben dürfen und müssen. Wird sie unter dem Vorwand von Ehrschutz, Schutz der politischen Klasse oder „Kampf gegen Hass“ immer weiter eingeschränkt, dann geht der demokratische Diskurs verloren, und mit ihm das Vertrauen in Staat, Justiz und Öffentlichkeit. Deshalb gehören auch sämtliche staatlichen Meldestellen „gegen Hass und Hetze“ abgeschafft, ebenso die Förderung von privaten Einrichtungen dieser Art und die Strafbarkeit von Äußerungsdelikten „gegen die Ehre“.
Der Fall Norbert Bolz ist kein Ausrutscher. Er zeigt vielmehr, wie kritisch der Zustand von Freiheit und Demokratie in Deutschland bereits ist. Wenn nicht jetzt eine Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit, zur Freiheit der Äußerung und zur Klarheit im Strafrecht erfolgt, werden bald ganz andere Tonalitäten Alltag. Das darf nicht unser Weg sein. Politik und Justiz müssen umdenken: Schluss mit der Einschüchterung der Bürger, Schluss mit totalitären Tendenzen.
Der Bolz-Fall ist ein Weckruf: Deutschland muss die Freiheit verteidigen, bevor es zu spät ist!
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Dr. Kristin Brinker (Foto l., zusammen mit PP-Macher David Berger) ist die AfD-Fraktionsvorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Text wurde gestern als „Brinkers Brief“ verschickt. Sie möchten den Brief regelmäßig erhalten? Er kann hier kostenlos bestellt werden: presse@afd-fraktion.berlin
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