Immer öfter ist davon die Rede, die konservativ-bürgerliche Bevölkerungsmehrheit müsse den Kulturkampf gegen die Linken aufnehmen, um einen neuen sozialistisch-woken Totalitarismus zu verhindern. Doch ist das Bürgertum dazu überhaupt noch in der Lage? Ein Gastbeitrag von Frank Steinkron.
Stille Bewunderung für antibürgerliche Kräfte
Im 19. Jahrhundert erlangte das Bürgertum in Wirtschaft, Kultur, Bildungswesen und Verwaltung eine immer größere Bedeutung. Durch die Industrialisierung entstand sogar eine neureiche Bourgeoisie, welche die alten Eliten, allen voran den Adel, ablöste. Doch trotz ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zeigten sich Teile der Bourgeoisie von Anfang an von der sogenannte Boheme fasziniert: von einer Schicht unkonventioneller Künstler und avantgardistischer Freigeister, die sich dezidiert antibürgerlich gaben.
Diese stille Bewunderung steigerte sich bisweilen zur Affinität. Nachdem die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise 1929 das Bürgertum in seinen Grundfesten erschüttert hatten, ließen sich weite Kreise desselben von den radikalen Strömungen des Faschismus (Italien, Spanien) und des Nationalsozialismus (Deutschland) mitreißen. Der Rest hatte den totalitären Systemen kaum mehr etwas entgegenzusetzen. Der Wille zur Selbstverteidigung war erlahmt.
Teile des Bürgertums driften nach links
Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich – mit alliierter Hilfe – in der alten Bundesrepublik ein neues Wohlstandsbürgertum. Zwar lehnte es die Studentenrevolte von 1968 ab, doch fehlte auch ihm die moralische Kraft für eine dauerhafte Auseinandersetzung. „Bildungsbürger“ wie Heinrich Böll oder Günter Grass, die sich von der Selbstgefälligkeit ihrer spießigen Mitbürger abgestoßen fühlten, ergriffen sogar Partei für die radikale Linke, die sich ihrerseits aus bürgerlichen Familien rekrutierte.
Die liberalen Kreise des Bürgertums wollten von den Linken sogar gemocht werden und biederten sich entsprechend an. Zugleich wollten sie sich von einer unheilvollen Vergangenheit lösen: Das NS-Braun sollte überdeckt werden – am besten durch ein kräftiges Rot. Dass dieses Rot letztlich ein Blutrot war (man denke an die Verbrechen des Stalinismus und des Maoismus), wurde naiv übersehen oder gar verdrängt.
In den 1980er Jahren zogen die Konservativen nach. Wegweisend wurde die Konsenspolitik Richard von Weizsäckers, der sogar drei RAF-Terroristen begnadigte. Angela Merkel führte sein Werk fort, indem sie die CDU deutlich nach links rückte. Den Schlussstein setzte Friedrich Merz, der seit seiner Wahl zum Kanzler völlig willenlos nach der Pfeife des kleineren Koalitionspartners SPD tanzt.
Das konfliktscheue Bürgertum
Den Linken dagegen war es seit jeher völlig gleich, was die Bürgerlichen über sie dachten. Im Gegenteil, sie lieben die Provokation. Und sie verachten das Bürgertum, das sie mit aller Energie und Raffinesse bekämpfen. Denn dieser Kampf ist für sie identitätsstiftend.
Das Bürgertum hingegen scheut die Auseinandersetzung. In seiner Saturiertheit ist es träge geworden. Statt für seine Interessen zu kämpfen, sucht es den Ausgleich, nicht bedenkend, dass jeder Kompromiss, von dem es glaubt, er sei langfristig tragfähig, für die Gegenseite nur ein Etappensieg ist. Der Linken geht um den Endsieg, um die totale Durchsetzung ihrer Ideologie.
Asymmetrische Kriegsführung
Der Konservative denkt hingegen pragmatisch und ist völlig unideologisch. Doch leider hat er auch keine Ideale. Dies wiederum macht ihn noch anfälliger für linke Ideen. Vor allem aber ist er mental und geistig wehrlos. Mental, weil er immer fair und wohlanständig sein will, geistig, weil er längst die gesellschaftspolitische Diskurshoheit verloren hat.
Daher hat er der aggressiven Agitation der Linken nur wenig entgegenzusetzen. Er kann sich allenfalls empören. Doch selbst die Empörungskultur haben ihm die Linken mittlerweile abgenommen. Eine asymmetrische Kriegsführung!
Unterwerfung als Tugend
Um sich seine Schwäche nicht eingestehen zu müssen, verschließt der Konservative die Augen vor der akuten Bedrohung. Hauptsache, er muss sich seiner kognitiven Dissonanz nicht stellen und kann in seiner Komfortzone verweilen. Um sich die Dinge schönzureden, übernimmt er bereitwillig linke Narrative: Alle Migranten sind geflüchtete Fachkräfte, die später unsere Rente bezahlen, alle Afghanen sind Ortskräfte. Die Lobbyisten der Pharmakonzerne sind „Experten“, die Propaganda der Regierung beruht auf Erkenntnissen „der Wissenschaft“. Bei entgegengesetzte Meinungen handelt es sich selbstverständlich um „Verschwörungstheorien“.
Es erübrigt sich zu sagen, dass dieses Bürgertum dieselbe Schwäche auch gegenüber dem politischen Islam an den Tag legt. Wenn muslimische Fanatiker in aller Öffentlichkeit „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ grölen, blickt der deutsche Gutmensch verschämt weg, so wie 1938, als die Synagogen brannten.
Die moralische Selbsterhöhung der nützlichen Idioten
In letzter Konsequenz kollaborieren die braven Bürger sogar mit ihren linken und islamistischen Gegnern – im sogenannten „Kampf gegen rechts“ beziehungsweise im „Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Das Angebot, das ihnen von der anderen Seite gemacht wird, lautet:
Wenn ihr mitmacht, dürft ihr euch endlich auch einmal moralisch überlegen fühlen. Dann geht es (vorerst) nicht mehr gegen euch, sondern gegen die anderen. Feigheit und Mitläufertum avancieren zu staatsbürgerlichen Tugenden. Und endlich kann der Konservative sich einbilden, von den Linken doch noch gemocht zu werden, wenngleich er letztlich nur deren nützlicher Idiot ist.
Das Dodo-Bürgertum
Das in den „guten Jahren“ der Bundesrepublik kraftlos gewordenen Bürgertum erinnert an die Dodos, also an jene Vögel, die auf der Insel Mauritius lebten, wo sie lange Zeit keine Feinde hatten. Allmählich verlernten sie das Fliegen und wurden fett und träge. Als Seefahrer auf die Insel Ratten und wilde Haustiere einschleppten, waren sie außerstande, ihre Brut oder auch sich selbst zu verteidigen, was ihr Aussterben zur Folge hatte.
Nur echte Patrioten können den Kulturkampf gegen links führen.
Es versteht sich von selbst, dass ein Kulturkampf gegen den sozialistischen Totalitarismus und den islamischen Fundamentalismus mit diesem Dodo-Bürgertum nicht zu führen ist. Vielmehr bedarf es überzeugter Patrioten, die sich dem Dominanzgebaren der Gegenseite offen entgegenstellen und sich nicht von geifernden „Omas gegen rechts“, von hasserfüllten Antifanten und von fanatischen Salafisten einschüchtern lassen. Ebenso bedarf es vernünftiger Denker, die imstande sind, die linken Narrative zu dekonstruieren und mittels neuer Schlüsselbegriffe die Diskurshoheit zurückzugewinnen.
Die Drecksarbeit machen die anderen
Diese Patrioten bilden gleichsam die neue Avantgarde. Anders als die bürgerlichen Dodos werden sie von den Linken wirklich gefürchtet und von den Islamisten wirklich gehasst. Für sie völlig ungewohnt, geraten die Linken auf einmal in die Defensive. Völlig unerwartet stoßen Islamisten auf Menschen, die sich mutig zu ihrer abendländisch-christlichen Identität und den Werten der Aufklärung bekennen. Diese Hilflosigkeit erklärt auch die Forderung nach einem Parteiverbot der AfD und die sich stetig verschärfenden Repressalien gegen Dissidenten.
Wenn es den Patrioten gelingt, das Land zu retten, retten sie letztlich auch die bürgerlichen Biedermänner. Dank werden sie dafür freilich nicht ernten. Welcher Gutmensch will schon in seiner Feigheit entlarvt werden? Welcher wohlanständige Bildungsbürger spielt schon mit den Schmuddelkindern, die für ihn die „Drecksarbeit“ machen?
Aber für die Dodos kämpfen wir auch nicht. Wir kämpfen für unsere Kinder und Enkel – und letztlich für eine bessere Welt.
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