Mittwoch, 16. Juli 2025

Wie weiter mit Russland?

 oder: Wie weiter mit Europa und Russland? Ein Gastbeitrag von Wulf D. Wagner.

Wer Alternative sein will – als alternative Medien, alternative Politik, alternatives Denken – muss Alternativen anbieten. Wenn die Alternativlosigkeit also die Maske der Gleichschaltung, Masseneinwanderung oder sogar den Krieg propagiert, muss sich die Alternative für das freie Gesicht, das Eigene und für den Frieden einsetzen.

Die AfD-Fraktion Brandenburg wurde diesem Anspruch einmal mehr in ihren „Potsdamer Gesprächen“ am Abend des 10. Juli gerecht. Sie lud den jungen russischen Historiker Filipp Fomitschow zum Vortrag in den Landtag, sie gab ihm die Aufgabe über „Wie weiter mit Russland?“ zu sprechen. Und es kann glücklicherweise gesagt werden, dass er einfache Antworten nicht bot. Vielmehr hob er seine Darstellung auf ein Niveau, das dem Nachdenken um Russland und Europa „als historisch kultureller Einheit“ entspricht bzw. entsprechen sollte.

Sich der ernsten Verantwortung, die Fomitschow seiner Rede unterlegte, bewusst zu sein, tut Not, damit sich nicht jene gedankenlos-vereinfachenden Bilder, wie etwa jene in der F.A.Z. vom 5. Juli 2025 (Seite 1), festsetzen: Da hieß es, dass die „Russen durch den Sommer flanieren, Selfies mit Stalin machen oder deutsche Neuwagen ausfahren“, dass „viele Russen“ Drohnen und Raketenangriffe auf die Ukraine „verdrängen“, „die Ukrainer“ dies aber nicht „können“. Nun, wer „die Ukrainer“ mit ihren dicken Neuwagen durch Deutschland fahren oder in neuester Mode auf dem Kudamm flanieren sieht oder von ihren sommerlichen Urlaubsreisen hört, der könnte auch anders formulieren – aber ein ausgewogenes Bild scheint in der „Qualitätspresse“ nicht mehr erwünscht zu sein.

Alles wird zweitrangig angesichts der Perspektive eines großen Krieges

Die Tragödie des Krieges ist natürlich beiden bewusst, Ukrainern und Russen. Auch „die Russen“ können den Krieg nicht verdrängen. Dieser Gedanken stand geradezu über Fomitschows Rede – auch wenn sie den Krieg in ihren Einzelheiten nicht zum Thema machte –, denn der junge Mann weiß natürlich um die schweren Verluste gerade seiner Generation – hier wie dort, und daher: „Alles wird zweitrangig angesichts der Perspektive eines großen Krieges, an dem die Armeen der EU-Länder direkt beteiligt sein werden.“ Lassen wir also billige Hass- und Hetze-Bilder der alternativlos regierungsnahen Presse und hören uns lieber die gedankenreiche Rede des sympathischen Russen an, die sich hier findet.

Filipp Fomitschow arbeitet in Moskau an einer Dissertation über konservatives Denken und konservative Denker in Deutschland nach 1945, er ist ein gründlicher Leser, Übersetzer von Grundlagentexten und trotz seiner Jugend ein wirklicher Kenner deutschen Geisteslebens vor allem der Zeit nach 1945. Wenn er seine Gedanken auf einer Veranstaltung der AfD vortrug, so weil er hofft, dass der Friedenswille und die Notwendigkeit und Freiheit des Gespräches „in Europa am klarsten von den politischen Kräften verstanden [wird], die man als rechts, konservativ, souveränistisch bezeichnen kann. Es sind politische Kräfte, deren Handeln nicht auf einer ideologischen Gesinnungsethik beruht, sondern auf einer Verantwortungsethik, die den oft unangenehmen Realitätsfaktor akzeptiert.“

An die gemeinsamen Herausforderungen Russlands und Europas glaubend fragte Fomitschow daher nicht „Wie weiter mit Russland?“ sondern vielmehr „Wie weiter mit Deutschland und Russland, mit Europa und Russland?“, denn: „Die Hauptaufgabe unserer Zeit [sollte] – auch wenn es banal klingt – der Frieden sein, […], die Verhinderung eines Krieges zwischen den EU-Ländern und Russland. […] Ohne ‚wenn‘ und ‚aber‘ wäre ein weiterer Krieg, der sich über ganz Europa erstreckt, eine echte, fatale Katastrophe – ein Aderlass, den unsere Völker und Kulturen nicht überleben werden.“

Auch in Russland Massenmigration

Hier die Zustimmung des Potsdamer Zuhörerkreises voraussetzend galten Fomitschows Ausführung daher außerdem jener zweiten Herausforderung, vor die er Europa wie Russland gleichermaßen gestellt sieht: die Austauschmigration. Das ungläubige Staunen des Publikums war groß: „Es geht um die Herausforderungen des ethno-kulturellen Drucks vom ‚Süden‘ und die damit verbundene Verschärfung der demographischen Krise. Ja, ich habe mich nicht falsch ausgedrückt – das sind gemeinsame Probleme von Russland und EU-Ländern. Zum Ghetto gewordene Bezirke deutscher Großstädte? Das gehört auch zur russischen Realität. Schulen, in denen kaum ein einheimisches Kind in den Grundschulklassen zu finden ist? Das gehört auch zur Realität der russischen Schulen. Ethnomafia, die nicht den deutschen Gesetzen unterworfen ist? Das gehört auch zur Realität des russischen Rechtsraums. […] Die sichtbare Islamisierung der Bundespolizei und anderer staatlicher Stellen? Das gehört auch zur Realität russischer Sicherheit. […] Die Unzulässigkeit des Remigration-Gedankens und der Schließung der deutschen Grenzen? Das gehört auch zur Realität der zentralasiatischen Grenzen Russlands.“ Dabei zeigte Fomitschow allerdings auch Unterschiede: „Und diese Masse der zentralasiatischen Migranten liegt nicht parasitär auf den Schultern des Sozialstaates, sondern ist in das Wirtschaftssystem eingebunden – vor allem im Dienstleistungssektor (von Konsum und Unterhaltung bis hin zu Medizin und Bildung).“

So ähneln sich die Zukunftsfragen in Westeuropa und Russland, verbinden sich. Daher fragt Fomitschow nach Möglichkeiten unseres Handelns, gerade auch, wenn „weltweit […] die Außenpolitik immer mehr auf das Recht des Stärkeren reduziert [wird], während die Innenpolitik zunehmend autoritäre Züge annimmt.“ – Wer wollte diese Entwicklung seit spätestens 2020 auch in unserem Land bezweifeln? – Ausführlich stellte Fomitschow daher verschiedene Denkströmungen innerhalb Russlands vor, die jenseits des aktuell Politischen zu Ideenwerkstätten geworden sind. Da hier wie da „eine echte Gelegenheit zum politischen Handeln“ fehlt, so „müssen wir auf einer informellen intellektuellen Ebene arbeiten. […] Die Grundlage dafür sollte heutzutage die Kommunikation auf der Vorfeld-Ebene sein, auch wenn sich Vorfeld-Strukturen in Russland und Deutschland aus objektiven Gründen stark unterscheiden. Über diesen Raum ist es möglich, […] gemeinsam nach Antworten und Lösungen zu suchen, Kontakte zu knüpfen und wichtige und sachliche Informationen an politische Akteure zu liefern.“ Ob schließlich – so ein zentraler Satz in Fomitschows Rede und zugleich Aufgabenstellung – „die ‚Kriegs-‘ oder die ‚Friedenspartei‘ in Berlin und Moskau die Oberhand gewinnt, hängt in hohem Maße davon ab, ob es gelingt, ein überzeugendes Bild von der Zukunft des Zusammenlebens von Russland und Europa zu entwickeln.“

Kultur als das Verbindende zum „heilsamen Dialog“

Der seinem Vortrag folgenden Diskussion mit dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Christoph Berndt und dem Fraktionsgeschäftsführer und Historiker Dr. Erik Lehnert stellte sich der Moskauer kenntnisreich und durchaus als würdiger „Botschafter“ Russlands, wobei er ausdrücklich selbstverantwortlich als freier Wissenschaftler agiert. So meisterte er auch Fragen aus dem Publikum, darunter die einiger weniger, die sich – wie auf dergleichen Veranstaltungen leider üblich – gerne selbst reden hören bzw. provozieren, mit ruhiger Wohlüberlegtheit und, was in einer fremden Sprache ja stets schwierig ist, mit gelungenem Witz. Auf die Frage Lehnerts, wie die russische Bevölkerung auf die zunehmenden Kriegsdrohungen aus Deutschland und die EU-Unterstützung der Ukraine reagiert, konnte Fomitschow berichten, dass davon zumindest die Liebe der Russen an der deutschen Kultur, Musik und Literatur nicht berührt wird. Derart den Reichtum Europas stets im Blick sieht er jenseits des Politischen im Kulturellen das uns Verbindende und hofft, dass „die intellektuelle und kulturelle Arbeit auf der Ebene des Vorfelds und seiner Institutionen […] zu einem zweiseitigen Portal des heilsamen Dialogs werden“ kann.

Der AfD Brandenburg ist zu wünschen, dass sie ihr Format „Potsdamer Gespräche“ weiter mit anspruchsvollen Gästen zu einer Plattform europäischer Zusammenarbeit ausbaut. Die Alternativen Medien müssten beginnen, mehr über Veranstaltungen schon im Voraus zu berichten, damit diese überhaupt eine breite Wirkung entfalten können. Für junge russische Intellektuelle aber ist zu hoffen, dass sie auf unserer Seite ähnlich ernsthafte und zugewandte Gesprächspartner ihrer Generation finden, denn manche Themen, das zeigten Fragen des älteren Publikums und die Antworten Fomitschows, muss wohl eine jüngere Generation angehen. Der von der F.A.Z. bemühte Stalin jedenfalls spielt, das konnte Filipp Fomitschow amüsant klären, dabei keine Rolle mehr.

Hinweis: Die Zitate stammen aus dem geschriebenen Manuskript.

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