Dienstag, 30. April 2024

Habemus papam callidum

Papst Franziskus ist eine einigermaßen wankelmütige Person. Er scheint seinen eigenen Weg nicht richtig zu finden – und biedert sich an einem Tag dem Liberalismus an, am nächsten wiederum dem Konservativismus. Ein Gastbeitrag von Dennis Riehle

Entsprechend sind seine Aussagen beispielsweise zum Thema Homosexualität, zum Zölibat oder zur Rolle der Frau in der Kirche von der Tagesstimmung abhängig. Gleichzeitig hat er mit Blick auf die Ukraine immer wieder deutlich Position bezogen. Und ihm wird dabei wiederkehrend eine Nähe und Sympathie für Russland unterstellt. Tatsächlich mag es auf den ersten Blick hin recht anmaßend wirken, wenn sich ein oberster Religionsführer in eine politische Frage derart eindeutig einmischt, dass es unweigerlich zur Empörung derjenigen kommen musste, die im Augenblick im Modus der Aufrüstung und Eskalation verfangen sind. Inwieweit der Heilige Vater tatsächlich zu einer Kapitulation von Kiew aufgerufen hat, das wird der letztlichen Interpretation seiner Worte zu entnehmen sein. Letztlich hat er einen sehr pragmatischen Kurs eingeschlagen, der die westliche Welt verständlicherweise zu echauffieren geeignet ist. Denn bei aller Nachvollziehbarkeit und dem Verständnis für eine mögliche Ursächlichkeit, Motivation und Dynamisierung dieses Konflikts, welche Moskau veranlasst hat, einen Überfall auf das Nachbarland zu starten, ist es zumindest im europäischen Kontext und unter Berücksichtigung der vergangenen Kriege auf diesem Kontinent eigentlich nicht hinnehmbar, dass Grenzen in imperialistischer Manier neuerlich mit Gewalt verschoben werden sollen.

Dass eine Rechtfertigung darin gesucht wird, die vor allem in den besetzten Gebieten immer wieder zutage tretende Russlandaffinität einer ethnischen Gruppe zu würdigen und die dortigen Bürger von der im Zuge der Maidan-Proteste von nicht wenigen Ukrainern im heutigen Frontbereich als Okkupation verstandenen Vereinnahmung in Richtung eines proeuropäischen Kurses zu befreien, kann letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Putin mit einem despotischen Schritt zur Verursachung von Leiden und Sterben bereit gewesen ist. Dass die NATO in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die zumindest mündliche Absprache und Zusicherung, keine weiteren Expansion des transatlantischen Bündnisses in Richtung Osten voranzutreiben, wiederkehrend gebrochen hat und damit den Zorn des Kreml auf sich zog, ist selbstverständlich ebenfalls in die Gesamtbetrachtung der Umstände einzubeziehen. Trotzdem gibt es für mich keine Legitimation für eine derartige militärische Auseinandersetzung. Und doch sind wir mittlerweile in einem Stadium angelangt, in dem man mit Weitsicht agieren muss. Eine bloße Rachsucht von Selenskyj am russischen Präsidenten darf nicht länger dazu führen, dass der Westen weiterhin seine eigenen Munitionslager leert – und die Ukraine damit an den Tropf hängt -, obwohl mittlerweile auch Experten davon überzeugt sind, dass es ein totgerittenes Pferd ist, welches im Augenblick durch weitere Waffenlieferungen zu reanimieren versucht wird. Man kann sich beharrlich auf die Hinterfüße stellen und die Argumentation vertreten, dass Putin diesen Abnutzungskonflikt jederzeit durch einen Rückzug seiner Truppen beenden könnte. Doch diese Sichtweise beruht allein auf einer Perspektive aus Richtung Washington, Paris oder Berlin.

Dagegen hat der Pontifex eine Metaebene eingenommen, auf der er einerseits zu würdigen weiß, dass es nicht rechtmäßig ist, was derzeit stattfindet. Dass es aber gleichermaßen Situationen in unserem Dasein gibt, in denen wir nicht nur hinsichtlich unserer individuellen Interessen handeln dürfen, sondern uns in einer übergeordneten Verantwortung sehen müssen, ist eine sehr vernunftorientierte Haltung. Denn er besitzt eine eigene Souveränität Autorität – und muss sich nicht auf die Überzeugung zurückziehen, die einige seiner Vorgänger eingenommen haben, und damit argumentierten, dass eine Verteidigung um jeden Preis mit der christlichen Friedensethik vereinbar oder gar geboten sei. Es braucht nicht einmal ein Bemühen des Gleichnisses von der linken und rechten Wange, um in unserem eigenen Leben oder im politischen Handeln zu der zweifelsohne verbitternden, ernüchternden und auch schwierigen Entscheidung zu gelangen, persönliche Belange hinter das Wohlergehen von Menschen und ihrem Anspruch auf ein Unterbruch und Ende der Kampfhandlungen zu stellen. Bereits in Römer 12,21 LUT steht geschrieben: „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“. Das bedeutet keinesfalls, dass wir jede Marter und Drangsal über uns ergehen lassen müssten.

Doch wenn es zu einer Situation kommt, wie auch der Papst es beschrieben hat, dass eine Schlacht entschieden ist – und uns das Ergebnis noch so kränkt, ärgert oder erzürnt -, hilft die Flucht in den Idealismus aus einer rein rationalen Betrachtung heraus nicht weiter. Im Augenblick sieht es nicht danach aus, als wolle der russische Machthaber in irgendeiner Weise zurückschrecken. Und so ist es gerade auch im Wissen darum, dass es bereits zu Anfang des Krieges eine Möglichkeit für Verständigung gegeben hat, letztlich nur mit der persönlichen Abneigung und dem Vergeltungswunsch von einigen politischen Funktionären in unseren Breiten zu erklären, dass das Säbelrasseln immer weiter fortgeführt wird – und möglicherweise dem Zweck und Ziel folgt, die Fokussierung der Aufmerksamkeit in Europa und Amerika hinsichtlich anstehender Wahlen entsprechend zu binden. Neben den Klimaapokalyptikern scheint es nun auch eine Gruppe an Todessehnsüchtigen zu geben, die es auf ein Märtyrertum angelegt haben, wenn sie die Spirale der immer weiteren, bisweilen gar atomaren Verstrickung antreiben. Es braucht eine gewisse menschliche Größe, eigene Belange für das Erreichen eines größeren Ansinnens für einen Moment zu vergessen – und persönliche Prinzipien trotz Frustration, Enttäuschung und Desillusionierung dem übergeordneten Anspruch an das Überleben unserer Zivilisation unterzuordnen. Niemand muss Putin sein Handeln vergeben oder vergessen. Dennoch kann es am Ende auch für das eigenen Seelenheil befreiend sein, über manche Egomanie, Ichsüchtigkeit und Narzissmus hinwegzukommen – und sich allein dem Verdienst der Entspannung, Beruhigung und Entschleunigung einer über den Einzelnen hinausgehenden Gefahr bewusst zu werden.

Dennis Riehle ist Journalist, Autor, Coach, Publizist, Politik- und Kommunikationsberater. Aktuelles finden Sie auf seinem News-Blog.

PP-Redaktion
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