Mittwoch, 30. Oktober 2024

Das Private ist politisch? Dieser Satz ist gefährlich und dumm

Einem starken Staat ist das Private heilig, weil er sich zum Schutz des Privaten überhaupt verfasst hat. Wo das Private politisch geworden ist, hat der Staat versagt. Ein Gastbeitrag von Aljoscha Harmsen

„Das Private ist politisch“ – ein alter Sponti-Spruch. Dieser Satz ist gefährlich und dumm. Er ist gefährlich, weil Menschen, die so etwas sagen, nicht zwischen „politisch“ und „Staat“ unterscheiden und mit dieser Leichtfertigkeit den Staat dazu einladen, in ihr Privatleben einzugreifen, und er ist dumm, weil er genau die sensible Membran durchtrennt, die es zwischen „privat“ und „politisch“ gibt. In einem freiheitlichen Staat haben wir das Recht darauf, dass uns politisch jeder Gedanke frei ist, aber der Staat uns in Ruhe lässt und sich auf seine Kernaufgaben beschränkt.

Ein Staat ist politisch, aber eine Person ist nicht per se Gegenstand eines Staates. Das Politische ist nicht der Staat, aber er ist seine Konsequenz. Der Eingriff ins Private gehört nicht zu den Aufgaben des Staates, und dazu sollte auch niemand einladen. Je weniger freiheitlich ein Staat ist, desto mehr greift er ins Private ein. Wenn tatsächlich das Private vollständig politisch geworden ist, dann leben wir in einem Staat, in dem wir keine Witze mehr erzählen dürfen. Nötig würden wir es allerdings haben, denn in so einem Staat gibt es nichts mehr zu lachen.

Es ist ein Staat, der Witze, die in aller Regel mit falschen Kausalverknüpfungen und Vorurteilen spielen, für verdächtig hält. Sie sind dann rassistisch, fremdenfeindlich, sexistisch und anderes mehr. Es ist ein Staat, der „Witz“, also Gewitztheit, das ist etymologisch auch „scharfe Beobachtung“, nicht mag.

Das Politische ist in der staatlichen Umsetzung die gewinnbringende Organisation und Verwaltung des gegenseitig fruchtbaren Zusammenlebens. Und die Verteidigung der eigenen Interessen gegen konkurrierende Interessen. Das Private ist etwas völlig anderes. Es ist das lebenslange Emporirren an sich und an einander, das außer den Freunden niemand zu bewerten hat. Es ist Skat und Mensch-ärgere-dich-nicht, es ist ein Wohnzimmerkonzert, kein Wokeness-Konzert.

Es klingt übergriffig und ist es auch

Das Private ist Wandern gehen, Computerspiele spielen, Witze erzählen, Tanzen, Sport machen, Essen gehen, Musik hören, Musik machen und vieles mehr. Das Private ist Spielen und Mensch sein, ohne dafür verbindlich bewertet zu werden. Es ist sich ausprobieren und vielleicht auch, dabei seltsam sein. Das Politische dagegen ist Kontrolle. Das Politische bewertet und unterscheidet seine Teilnehmer in „nützlich“ und „schädlich“ für seine Sache. Ob das rationale Staatsraison oder Klimagerechtigkeit ist. In beiden und allen Fällen: Das Politische ist mitunter nicht besonders menschenfreundlich. Es verhärtet und verformt sich bei dem, was es zu vertreten hat. Manchmal so sehr, dass sich die Vertretenen darin kaum noch wiedererkennen.

Das Politische hat gar nicht das Vermögen, privates Verhalten als das zu erkennen, was es ist: eine Sache, die den Staat nichts angeht. Den Staat geht an, was ihm nützt. Das klingt übergriffig und ist es auch. Den Staat geht an, wozu ihn sein Souverän beauftragt. Das – und nur das – darf er sein. Sein Eigenleben, das er in der Folge entwickelt, darf er nicht aufhören abzugleichen mit dem, wozu er beauftragt ist.

Wenn es einen Tatbestand wie „verfassungsschutzrelevante De-Legitimierung des Staates“ gibt, dann hat der Staat Angst vor dem, was sein Souverän privat über ihn sagt. Statt dass der Staat gegen diese Entfremdung demütig wird, delegitimiert er diese Entfremdung von ihm. Der geschützte Raum des Privaten ist einem angefassten Staat verdächtig. Wenn er so weit ist, muss er sich erneuern. Nicht verändern, sondern zu seinen Wurzeln zurückkehren. Seine Institutionen reparieren und verschlanken. Einem starken Staat ist das Private heilig, weil er sich zum Schutz des Privaten überhaupt verfasst hat. Wo das Private politisch geworden ist, hat der Staat versagt.

Der Beitrag erschien zuerst bei der „Achse des Guten“.

PP-Redaktion
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