Sonntag, 24. November 2024

Die Zukunft und der Sonntagsbraten waren früher einfach besser

Die Sonntagsbraten anno 1960 sind dem Autor noch in lebendiger Erinnerung. Fünfzehn Personen am Tisch, so viele daran gerade Platz hatten. Deren Lebensmut spürten auch wir Kinder. Ein Gastbeitrag von Meinrad Müller

Bessere Zeiten wurden von Eltern und Verwandten geplant, erarbeitet und auch verwirklicht. Der Zukunft gingen alle optimistisch entgegen, wenn auch von ganz einfachen Verhältnissen aus. Das gebratene Schweinchen auf dem Porzellangeschirr hatte allerdings seine Zukunft bereits hinter sich.

Zukunft hieß mitmachen, mittun und mitgestalten

Kinder von drei Jahren, kaum dass sie ein Holzscheit tragen konnten, wurden zur Holzhütte im Garten geschickt, um Brennholz zu holen. Erst Kleinholz zum Anzünden, dann große Fichten-, Tannen- und Eichenscheite für eine lange Brenndauer. Zum Starten des Feuers im großen Küchenofen nahmen wir alte Zeitungen, was diese durch die Todesanzeigen quasi unentbehrlich machte, genau wie heute. Widerspruch war unbekannt, wir gehorchten freiwillig, weil unsere kleine Arbeit in den Optimismus der Alten passte.

Dennoch, Lob im heutigen Sinne gab es nur selten. Doch die Aussicht auf einen neuen Anbau mit größerem Kinderzimmer, ein neues Dach, „richtige“ Hosen aus dem Geschäft statt Hosen aus Großvaters Kiste, motivierte uns ganz von selbst.

Die Zukunft sollte uns neue Hosen bescheren.

Zukunftstaugliche Technik aus 1844

Der eiserne, breite Holzofen in der Küche wurde morgens angeheizt. Er hatte fünf Kochplatten und ein „Schiffchen“, einen eingebauten zehn Liter fassenden Wasserbehälter, der so nebenbei immer Heißwasser bereithielt. Die große Bratrohr-Eisentüre war so schwer, dass Kinder diese nicht öffnen konnten. Im „Rohr“, so hieß die Bratröhre früher, entstand der knusprige Schweinebraten. Doch sie durfte natürlich nicht zu heiß werden, um den kostbaren Braten nicht zu verbrennen. Lebenserfahrung und nicht zuletzt Omas Geduld, garantierten das Gelingen.

Während die gesamte Familie zur Sonntagsmesse ging, passte Großmutter auf den Braten auf. Und ganz nebenbei diente der Herd auch noch als Heizung der Küche, die zugleich Esszimmer war. Die Küche wurde wohnlich warm, denn das silbern glänzende Ofenrohr schwang sich durch den halben Raum.

Zukunft braucht emotionale Wohlfühloasen

Die „gute Stube“, das Wohnzimmer, wurde nur dann beheizt, wenn sich Besuch ankündigte. Das war öfter der Fall als gedacht, an Namenstagen aller Familienmitglieder, einschließlich aller Omas und „weitschichtiger“ (über 10 Ecken noch verwandten) Tanten und Onkeln. Namenstage wurden größer gefeiert als Geburtstage. Auch an den jährlichen Kirchenfesten strömte die Verwandtschaft samt Kinderschar in die gute Stube. Die Möbel, vom Großvater eigenhändig geschreinert, waren nicht fürs Ansehen geschaffen. Sie waren stabil und fürs ganze Leben konzipiert.

Im Wohnzimmer stand ein hoher, mit gusseisernen Platten verzierter Ofen. Nach und nach mit zehn großen Buchenholzscheiten bestückt, verbreitete er den ganzen Nachmittag wohlige Wärme. Von CO2 war damals keine Rede. Das brauchten schon damals die Blätter der Bäume, um zu wachsen.

Auf deutschen Feldern wuchsen und wachsen auch bis heute keine Kaffeebohnen, weswegen wir die Bohnen im örtlichen Kolonialwarengeschäft erstanden, jedoch nur zu besonderen Feiertagen. Der sonntägliche Frühstückskaffee war das Hochlicht (neudeutsch: highlight) der Woche. Er erfüllte das ganze Haus mit unvergesslichem Aroma. Eine Kaffeemaschine existierte nicht.

Mit einer Handmühle, zwischen die Knie gespannt, durften die größeren Kinder die Bohnen mahlen. Dann wurde der gemahlene Kaffee in einem großen Topf aufgekocht, schließlich abgeseiht und in eine verzierte Kaffeekanne umgefüllt. Wir Kinder durften zwar den Kaffee nicht trinken, doch wir ahnten, dass etwas „in der Luft lag“, das bessere Zeiten ankündigte.

Schweinebraten = Fleisch gewordene Zukunftsgewissheit

Nach dem späten Frühstück gingen alle in die Kirche und der Schweinebraten ging ins Rohr. Dieser war jedoch just dann fertig, wenn wir spirituell gestärkt an Geist und Seele, vom Gottesdienst zurückkamen. Zum Gaumenschmaus hinzu kam alles, was auf den Feldern wuchs und nicht in einem Geschäft gekauft werden musste. Zum knusprigen Schweinebratenstück gehörten auch Kartoffelknödel vom „Kartoffelknödelbaum“ und Salate von grünen Köpfen aus dem Vorgärtchen.

Von Mutter selbst gemachte Bandnudeln, die ihren Umweg über den Acker, Weizenkörner und Mühle nahmen, gehörten zur Soße einfach dazu. Planerfüllend legten die Hühner, die frei auf dem Hofgelände herumliefen, ein Ei, zur Feier von Parteitagen auch mal drei, sofern sie nicht von einem wilden blauen Hahn aus dem Konzept gebracht wurden. Kurzum, der Beweis, dass Zukunft machbar ist, lag zum Greifen nah auf dem Teller und zu unseren Füßen.

Zukunft: Gewissheit statt Hoffnung

Die Erkenntnis, dass Zukunft immer und unweigerlich immer wieder eintritt, gibt uns die Chance, diese zu begleiten oder dieser ungläubig hinterherzuhecheln, wie einer gerade abgefahrenen Straßenbahn.

Das Weizenkorn, das auf den Acker gesät wurde, trug Zukunft für 10 – 20 neue Körner in sich, die Mutterkartoffel, aus der sich 10 bis 20 neue Kartoffeln entwickeln, ist ein Zeugnis des Zukunftsrealität.

Wir geben uns überheblich gegenüber einer überwältigenden Natur, die gut und gerne auch ohne uns weiterlebt. Die Natur weist uns den Weg in unsere Zukunft. Begleiten wir diesen von Gott gewollten Optimismus, was uns wohliger stimmen wird als das Einstimmen in den Chor der Zukunftsverweigerer.

Die zukünftigen Sonntagsbraten, zwei Schweinchen namens Lisa und Elsa, suhlten sich derweilen in ihrem Stall gemütlich im Stroh, nicht wissend, dass auch sie demnächst – von Knödeln, Nudeln und Soße begleitet- die Familie an Sonn- und Feiertagen erfreuen würden.

Die langfristigen Folgen der sonntäglichen Bratenorgien, kann man noch heute beim Besuch des Autors in der Abteilung für Herren-Übergrößen bewundern.

Die Zukunft war früher einfach besser, die Cholesterinwerte auch.

Meinrad Müller
Meinrad Müllerhttps://www.amazon.de/-/e/B07SX8HQLK
Meinrad Müller (68), Unternehmer im Ruhestand, kommentiert mit einem zwinkernden Auge Themen der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik für Blogs in Deutschland. Seine humorvollen und satirischen Taschenbücher sind auf Amazon zu finden.

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