Keine Meinung ist so harmlos, dass sie nicht irgendwer zu Hass und Hetze erklären kann. Allein schon deshalb sollte man einem Staat nie die Macht geben, Meinungen zu sanktionieren, denn Mächteverhältnisse ändern sich ständig und von einem Tag auf den anderen kann die eigene Meinung als gefährlich eingestuft werden. Ein Gastbeitrag von Gerd Buurmann.
„Wir leben die freie Meinungsäußerung, aber niemand möchte in einer Gesellschaft leben, in der man vermeintlich anonym & ungestraft gegen Menschen hetzen & Hass verbreiten kann. Deshalb werden wir alle strafrechtlich relevanten Antworten konsequent verfolgen. #HassistkeineMeinung“ – so die Berliner Polizei am 1. Dezember 2022 auf Twitter.
Der Satz erinnert ein wenig an denn Spruch: „Ich bin ja kein Nazi, aber …“
Generell gilt, alles, was vor einem „aber“ steht, stimmt nicht. Die Berliner Polizei schreibt:
„Niemand möchte in einer Gesellschaft leben, in der man vermeintlich anonym & ungestraft gegen Menschen hetzen & Hass verbreiten kann.“
Ist das so? Im Iran kann es für eine Frau tödlich enden, wenn sie ihren verständlichen Hass auf die diktatorische, unterdrückende und frauenfeindliche Regierung artikuliert. Manche Frauen artikulieren daher ihren Hass auf das Regime anonym.
Nicht selten stürmt die iranische Polizei die Wohnungen der mutigen Frauen, die ihren Hass artikulieren. Auch die Polizei im Iran kann „konsequent verfolgen“.
Auf welcher rechtlichen Grundlage handelt die Berliner Polizei überhaupt?
Im ganzen Strafgesetzbuch taucht der Begriff „Hass“ nur in §130 StGB auf und dort wird auch nicht der Hass als solches geahndet, sondern die Aufstachelung zum Hass, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Welchen Hass also meint die Polizei?
Ich zum Beispiel hasse Nazis, Vergewaltiger, Mörder, Rassisten und viele andere Menschen, die anderen Menschen Gewalt antun. Ich hasse auch Doppelmoral und Machtmissbrauch. Ich hasse aber auch weniger schlimme Dinge.
Ich hasse zum Beispiel, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mich mit der Waffengewalt des Staates zwingen dürfen, ihre Sendungen zu finanzieren, vor allem, wenn es Sendungen sind, die anderen Menschen schaden zufügen, sie beleidigen oder Fake News verbreiten.
Ich hasse es, wenn eine liberale Partei, ihre liberalen Prinzipien verrät, nur um an der Macht zu bleiben. Ich hasse es, wenn ich zu gewissen Fragen der Zeit in fast allen Medien, eine synchronisierte Meinung lese. Ich hasse es, wenn die Regierung Geld dafür ausgibt, Organisationen zu finanzieren, die dann darüber autoritär entscheiden, was ein richtiger Fakt sein soll. Ich hasse Faktenchecks von bewaffneten Autoritäten.
Ich hasse es, mit welcher Selbstverständlichkeit mir der Staat unter dem Geheul verängstigter und besorgter Bürger in den letzten Corona-Jahren die Freiheitsrechte genommen hat, weil mir unterstellt wurde, ich sei eine gefährliche, ansteckende und die Menschheit in Gefahr bringe Person, einzig und allein weil ich so existiere, wie ich geboren wurde, nämlich ungeimpft. Ich hasse es, dass ich zur Impfung genötigt wurde, um mein Leben weiter führen zu können.
Ich hasse es, wenn sich Familienmitglieder und langjährige Freundschaften zerstreiten, weil sie in politischen Angelegenheiten unterschiedliche Meinungen haben.
Stürmt die Polizei jetzt mitten in der Nacht auch meine Wohnung?
Ich hasse es, wenn Menschen nicht verstehen können, warum es manchmal gute Gründe dafür gibt, den Hass anonym zu artikulieren. Wenn sich der Hass gegen Menschen richtet, die deutlich stärker bewaffnet sind, als man selbst, wenn sich der Hass zum Beispiel gegen eine Regierung richtet oder gegen eine mafiöse Organisation, die einen bedroht, dann ist Anonymität lebenswichtig.
Hass ist eine menschliche Leidenschaft. Hass kann gefährlich sein, aber unter Umständen auch das eigene Leben retten. Hass ist gewiss nicht ständig gut, aber eben nicht immer schlecht. Eins ist Hass aber ständig, nämlich eine Meinung! Und einem Menschen zu verbieten, seine Meinung und seine Gefühle zu artikulieren, kann schlimme Konsequenzen haben.
Es wird behauptet, Meinungsfreiheit schließe keine Hassreden ein, aber genau das tut sie. Es ist die exakte Definition von Meinungsfreiheit, dass auch falsche Meinungen geäußert werden dürfen. Es gibt kein Zuviel an Meinungsfreiheit. Entweder gibt es Meinungsfreiheit oder es gibt sie nicht. So einfach ist das.
Es gibt jedoch ein Zuviel an Angst und ein Zuviel an Beleidigtsein. Gegen Hass, der schmerzt, möge der Hass nun berechtigt oder unberechtigt sein, hilft die Gegenrede als zivilisierte Form der Verteidigung. Eine Beleidigung, die in die Richtung eines Menschen gefeuert wird, beleidigt den Menschen nur, wenn er die Beleidigung in seinem Kopf auch annimmt. Eine Faust oder eine Kugel jedoch, die in die Richtung eines Menschen abgefeuert wird, verletzt oder durchlöchert den Kopf unabhängig von der Haltung des Menschen. Wer eine Beleidigung nicht hört, lebt. Wer eine Kugel nicht hört, stirbt. Das ist der Unterschied.
Meinungsfreiheit gilt auch für die Hassrede, denn sonst hätte der Koran und manch andere religiösen Schriften schon längst verboten worden müssen. In der Sûre 5 zum Beispiel steht im Absatz 8:
„Euer Hass gegen einige Menschen soll Euch nicht dazu verleiten, ungerecht zu sein. Seid gerecht, so kommt ihr der Frömmigkeit am nächsten.“
In der selben Sûre steht an späterer Stelle:
„Der Lohn derer, die gegen Allah und seinen Gesandten Krieg führen und Verderben im Lande zu erregen trachten, soll sein, dass sie getötet oder gekreuzigt werden und dass ihnen Hände und Füße wechselweise abgeschlagen werden oder dass sie aus dem Lande vertrieben werden. Das wird für sie eine Schmach in dieser Welt sein, und im Jenseits wird ihnen eine schwere Strafe zuteil.“
Diese Worte können problemlos unter dem Begriff „Hass“ subsumiert werden, und dennoch stürmt die Polizei nicht jede Moschee.
Die fünfte Sûre im Koran erinnert ein wenig an die Berliner Polizei, denn die Berliner Polizei spricht von „Hass und Hetze“ und dass sie konsequent verfolgt werden müssten, ohne jedoch zu definieren, was Hass und Hetze sein soll. Ähnlich macht es der Koran. Dort ist von einem „Verderben im Lande“ die Rede. Das ist genauso ungenau definiert wie „Hass und Hetze“. Weniger ungenau und geradezu konkret werden Koran und Berliner Polizei jedoch, wenn es darum geht, was mit den Leuten geschehen soll, die ein „Verderben im Lande“ anrichten oder „Hass und Hetze“ verbreiten. Die Berliner Polizei verfolgt konsequent und der Koran sieht Vertreibung, Kreuzigung oder wechselweise Hände und Füße abhacken vor, je nach Stimmungslage und ortsüblicher Tradition.
Meinungsfreiheit ist ein präventiver Schutzmechanismus
Ich habe kein Problem damit, dass der Koran veröffentlicht wird, denn so weiß ich, womit ich es zu tun habe. Nur durch die Artikulation der Gedanken lerne ich das Innere eines Menschen kennen und kann so rechtzeitig entscheiden, ob ich mich vor ihm schützen sollte oder von ihm lernen kann. Bei der Verleihung des Böll-Preises im Jahr 2015 an Herta Müller sagte die Preisträgerin:
„Wenn Hassparolen spazieren gehen, dann geht auch irgendwann ein Messer spazieren.“
Ich muss da der Nobelpreisträgerin widersprechen. Messer gehen nicht spazieren, weil vorher Parolen spazierten, sondern weil jene, die die Parolen grölen, die Messer bereits in ihren Hosen haben, um sie in genau dem Moment herauszuholen, da sie in der Lage sind, die Parolen der Anderen zum Schweigen zu bringen. Das Problem ist nicht die Meinungsfreiheit, sondern der Wille der Hassenden, die Meinungsfreiheit mit Gewalt abzuschaffen. Gedanken verschwinden nicht, nur weil sie nicht mehr gesprochen werden.
Aus Worten werden Taten. Das stimmt. Aber Worte müssen nicht gesprochen werden, um zu Taten zu werden. Es reicht, wenn sie gedacht werden. Daher bringt es gar nichts, Taten dadurch verhindern zu wollen, dass man die Artikulation der Worte verbietet. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Wer die Artikulation von gewissen Worten verbietet, verhindert dadurch nicht, dass die Worte zu Taten werden. Er verhindert jedoch, dass die Tat rechtzeitig erkannt und gebannt werden kann.
Meinungsfreiheit nutzt dem Gehassten immer mehr als dem Hassenden
Der Mensch, der in den Augen eines anderen Menschen ein Schwein ist, bleibt für ihn ein Schwein, auch wenn er es nicht mehr sagen darf und auch das Messer in der Hose verschwindet nicht, wenn einem der Mund verboten wird. Worte können zu Taten werden. Gerade deshalb müssen auch die Worte des Hasses artikuliert werden dürfen.
Das Problem in der Zeit des Nationalsozialismus war nicht, dass „Der Stürmer“ zu erwerben war, sondern die Tatsache, dass sich die Nationalsozialisten zunächst die persönliche und später auch die staatliche Gewalt nahmen, andere Meinungen und Zeitungen zu verbieten, die ohne Probleme die Ideologie der NSDAP hätten entlarven können. Die Nationalsozialisten nutzen nicht die Meinungsfreiheit, um das Messer zu ziehen, sondern sie zogen die Messer, um die Meinungsfreiheit zu attackieren.
Nichts fürchten jene, die Unrecht haben, mehr als die Meinungsfreiheit
In ihrem 25-Punkte-Program erklärten die Nationalsozialisten unter Punkt 23:
„Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse. Um die Schaffung einer deutschen Presse zu ermöglichen, fordern wir, Zeitungen, die gegen das Gemeinwohl verstoßen, sind zu verbieten. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen vorstehende Forderungen verstoßen.“
Aufgrund des „Gemeinwohls“, Meinungen kriminalisieren, Veranstaltungen schließen, Bücher verbieten und Zeitungen abschaffen. Das ist die Gedankenwelt der Nazis. Sie erklärten alles, was sie hassten zu Hass, der verboten gehört.
Keine Meinung ist so harmlos, dass sie nicht irgendwer zu Hass und Hetze erklären kann. Allein schon deshalb sollte man einem Staat nie die Macht geben, Meinungen zu sanktionieren, denn Mächteverhältnisse ändern sich ständig und von einem Tag auf den anderen kann die eigene Meinung als gefährlich eingestuft werden. In den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts sang die Punkband „Die Ärzte“ dieses Lied:
„Es macht die Runde in der Koalition, selbst Rita Süssmuth weiß es schon, Hannelores Tag ist grau, denn Helmut Kohl schlägt seine Frau. Neulich ließ die Hannelore mal etwas auf dem Teller, zur Strafe lud sie Helmut ein in seinen Folterkeller. Er ist ein Mann wie ich und du und Helmut Kohl schlägt wieder zu. Hannelore ist allein. Sie wollte doch nur glücklich sein. Niemand hat davon gewusst. Er beißt ihr in die rechte Brust. Er ist ein Mann genau wie wir, tief in ihm, da steckt ein Tier und nachts hinter verschlossenen Türen, kriegt seine Frau den Wolf zu spüren. Er ist ein Mann wie ich und du und Helmut Kohl schlägt wieder zu.“
Es gibt Länder, da sortiert die Regierung solche Texte unter Hass, Hetze oder ein Verderben im Land ein und verfolgt dafür die Künstler konsequent. Als das Lied über Hannelore Kohl in den achtziger Jahren herauskam, da stürmte die Berliner Polizei nicht die Wohnungen der Ärzte, um die Künstler konsequent zu verfolgen. Ich frage mich, ob es heute anders wäre.
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Zum Verfasser: Gerd Buurmann spielt, schreibt, inszeniert, ist Bühnenmensch, Comedian, Erfinder von „Kunst gegen Bares“, schreibt „Tapfer im Nirgendwo“ und moderiert „Indubio“.
Der hier zweitveröffentlichte Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog „Tapfer im Nirgendwo“. Fotomaterial wurde von PP (David Berger) eingefügt.
Hier geht es zu seinem Twitter-Account.
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