Das „gemeine“ Volk – in diesem Fall wirklich das gemeine – hat wieder was zu demonstrieren: Alte Statuen werden reihenweise gekippt, Denkmäler zerstört. Welch ein blinder Aktionismus! Ein Gastbeitrag von Peter Helmes
Dürfen wir nur tolerieren, was heute politisch korrekt ist? Vielleicht wäre es besser, kulturelle Werke der Vergangenheit in einen Kontext zu stellen und sie dem Publikum von heute zu erklären, statt in sturen Revisionismus zu verfallen.
Schließlich bieten Bücher oder Filme auch Informationen über die Gesellschaft ihrer Zeit, und durch Zensur berauben wir uns dieser Kenntnisse.
Und wir sollten im Kopf behalten, daß vielleicht auch Werke, die wir heute genial finden, in Zukunft in Ungnade fallen könnten.
Sollen unsere Erinnerungen gelöscht werden?
Denkmäler sind Ausdruck der sie darstellenden Zeit, also deren bildliche Wiedergabe. Die Zeit selbst wird kein bißchen besser oder schlechter, wenn man Erinnerungsstücke vernichtet. Eher im Gegenteil.Die Statue eines „bösen“ Herrschers von ehemals bietet den heutigen Zeitgenossen doch eher einen veritablen Anlaß, sich mit der Geschichte zu beschäftigen. Das wütende Umstürzen der Bilder hilft eher, die Erinnerung zu löschen. Kritische Bürger werden solcherart nicht gBösartig gestimmt könnte man auch argumentieren, daß mit der Vernichtung beanstandeter Zeugnisse gerade von den eventuellen Freveltaten der Gefeierten abgelenkt werden soll. Das aber ist wohl gewiß nicht im Sinne der Umstürzler von heute.
Und so muß man dem britischen Regierungschef zustimmen, wenn er die „Bilderstürmung“ als kriminell bezeichnet.
In Bristol wurde die Statue des umstrittenen britischen Sklavenhändlers Colston von Demonstranten vom Sockel gestürzt und ins Hafenbecken geworfen. Premier Johnson sprach von einer kriminellen Handlung, während Londons Bürgermeister Khan zusicherte, Statuen und Straßennamen in der Hauptstadt zu prüfen.
Auch anderswo auf der Welt gab es nach dem Tod von George Floyd viele heftige Reaktionen, und es wurde behauptet, das Bewußtsein über Rassismus und daraus resultierende soziale Ungerechtigkeit sei vielerorts gewachsen. In mehreren US-Staaten wurden in den letzten Tagen Statuen entfernt, und in Antwerpen wurde eine Statue von König Leopold II. aus Protest über seine Schreckensherrschaft im heutigen Kongo demoliert.
Das Thema ist heikel: Für manche ist eine versetzte Statue gleichbedeutend mit Geschichtsverfälschung, andere sehen darin den Weg zu einer besseren Zukunft. Es sollte möglich sein, zu einem klugen Umgang mit emotionsbeladenen Statuen zu gelangen. Statuen sind stumm. Es sind die Leute, die sprechen sollten.
Geschichtszensur
Ist es Geschichtszensur oder die dringend gebotene Entfernung rassistischer Symbole aus dem Straßenbild, wenn in vielen Ländern Statuen von Kolonialisten und Imperialisten von ihren Sockeln gestürzt und zerstört werden? Es gibt durchaus Gründe, solche Aktionen zu verurteilen:
Nicht zuletzt, weil sie zwar von hohem symbolischem Wert sein mögen, letztlich aber nichts an den Ursachen von Rassismus ändern. Aber man muß auch der Tatsache ins Auge sehen, daß viele dieser Statuen weit mehr sind als nur Denkmale. Sie ehren und feiern fiktive ‚Helden‘ und sind dabei plump und bedrohlich.
In unzähligen Monumenten zeigt sich die Glorifizierung vergangener, oft kriegerischer Epochen – Kolonisierung, Plünderung und Versklavung – Akte, die unbedingt zur Mahnung der heutigen Generationen erkennbar bleiben sollten. Gleichheit und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit; sie müssen erkämpft werden. Die Unruhestifter, die sie jetzt blind vernichten, treten die Freiheit ein Stück weit mit Füßen und bevormunden die Gesellschaft, statt den Dialog zu fördern.
Es ist ein Paradoxon. Die Welt prangert den Rassismus an, ersetzt ihn aber durch einen neuen „Gegen-Rassismus“ und bestätigt genau damit dessen Macht. Hier zeigt sich wieder einmal exemplarisch die Welt der Gutmenschen, die einäugig an jede Geschichte herangehen. Der neue Rassismus beginnt stereotyp mit der „Feststellung“: “Die Weißen sind böse“.
Nichts als linker, blinder Aktionismus
Aber man lernt nichts, wenn man die Geschichte zensiert, und am Ablauf der Ereignisse ändert sich auch nichts. Es zeigt nur, daß man die Geschichte nach heutigen Werten beurteilt.
Genau das ist auch der Fall, wenn man bei uns überlegt, Straßennamen zu ändern: nichts als linker, blinder Aktionismus. Denn ist eine solche Diskussion erst einmal angestoßen, will sie kein Ende nehmen
Nehmen wir ein plastisches Beispiel: Die Diskussion über die „Geschichtsbereinigungsaktionen“ macht selbst vor Winston Churchill nicht halt. Und in der Tat, es stimmt ja, daß Churchill ein Rassist war (und, nebenbei bemerkt, ein übler Deutschenfresser). Aber muß deshalb seine Statue weg?
Churchill hat sich eben auch für eine liberale Gesellschaft mit Meinungsfreiheit eingesetzt, die auch die heutigen Demonstranten für sich einfordern. Dafür wird er geehrt, nicht dafür, was er – typisch für seine Zeit – über die australischen oder amerikanischen Ureinwohner dachte. Es zeugt daher von Geschichtsvergessenheit, ihn auf einen simplen Rassisten zu reduzieren.
Auch in London mußte Churchill das Wochenende in einer Box verbringen, um Beschädigungen der Statue vorzubeugen. Doch der legendäre Premierminister gehört zum Nationalschatz Großbritanniens und damit in eine ganz andere Liga als ein Sklavenhändler. Churchill wurde sofort vom heutigen Amtsinhaber Johnson verteidigt. Die Anhänger der Konservativen Partei würden einem konservativen britischen Premier Nachsicht bei Angriffen auf solche Denkmäler niemals verzeihen.
Genauso kritisch darf man die Entscheidung des US-Streaminganbieters HBO werten, einige besonders beliebte und preisgekrönte Filme wie ‚Vom Winde verweht‘ aus seinem Angebot zu streichen.
Ich höre sie schon, die belehrenden „Unbelehrbaren“ von links, die die allgemeine Moral für sich gepachtet zu haben glauben, und mit verbissenem Eifer alles umstürzen, was ihrer Meinung nach „unmoralisch“ ist. Diese Freiheit haben sie, aber sie sind dabei, eben diese Freiheit empfindlich zu beschneiden – wenn nicht sogar zu beseitigen.