Warum der Goldpreis bisher noch nicht explodiert ist. Und warum mit einer preistreibenden Flucht in das Edelmetall analog zur Weltfinanzkrise bereits in Kürze zu rechnen ist. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Kaufmann
Der Erwerb und Besitz von physischem Gold gilt als der Königsweg der Krisenvorsorge schlechthin. Schließlich ist die Kaufkraft des gelben Metalls in den letzten 2000 Jahren ungeachtet aller Revolutionen, Kriege, Katastrophen und Währungszusammenbrüche weitgehend gleich geblieben. So bekommt man heute für den Preis von einem Gramm Gold immer noch in etwa die gleiche Menge Brot wie zur Zeit von Christi Geburt.
Angesichts der deshalb zu konstatierenden Flucht ins Gold in Krisenzeiten wäre eigentlich zu erwarten, dass der Goldpreis in der gegenwärtigen Corona-Krise, die sich zu einer gigantischen Finanz- und Wirtschaftskrise auszuweiten droht, ähnlich drastisch steigt wie die Zahl der an Covid-19 Erkrankten. Doch das tut er nicht, und das trotz starken Kursstürzen auf den Aktienmärkten von bis zu 40 Prozent.
Zurückhaltung der Großinvestoren
Zwar kletterte der Preis für eine Feinunze, also 31,1 Gramm, Gold seit Ende November von rund 1400 auf aktuell gut 1600 US-Dollar, aber das ist keine wirklich gravierende Steigerung, wie sie etwa vor knapp neun Jahren zu konstatieren war, als im September 2011 für die Feinunze 1920 Dollar gezahlt wurden. Der Preisexplosion vorausgegangen waren damals das Tōhoku-Erdbeben an der japanischen Pazifikküste und der daraus resultierende Reaktorunfall in Fukushima.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Gründen dafür, dass ausgerechnet in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg der große Nachfrageschub auf das „Krisenmetall“ ausbleibt, sodass sich bei so manchen Goldbesitzern bereits Enttäuschung breitmacht. Die Ursache liegt nicht im Verhalten der Käufer kleinerer Mengen an Münzen und Barren. Die bombardieren Goldhändler wie Pro Aurum in München derzeit mit Bestellungen. Doch das sind Peanuts, um es mit einem Wort des damaligen Deutsch-Bank-Chefs Hilmar Kopper zu sagen. Dabei handelt es sich um eine Quantité négligeable, eine vernachlässigbare Größe, was die Bestimmung des Goldpreises angeht.
Dramatische Aktienkursverluste
Der Preis des Edelmetalls wird vielmehr von den spekulativ agierenden Großinvestoren bestimmt. Und die sehen sich derzeit durch dramatische Aktienkursverluste mit Nachzahlungsforderungen ihrer Banken und Finanzdienstleister konfrontiert. Sie müssen Sicherheiten hinterlegen, um überhaupt noch weiter am Börsenhandel teilnehmen zu können. Dafür brauchen sie Geld. Und deshalb verkaufen sie momentan auch größere Mengen Gold. Letzteres fällt ihnen umso leichter, als der Goldpreis ja wenigstens etwas zugelegt hat, sodass sie Gewinne realisieren können.
Allein am 13. März veräußerten Investoren Anteile an mit physischem Gold abgesicherten Schuldverschreibungen, sogenannten Gold-ETC, im Wert von 17 Tonnen Gold. Das war der höchste Umsatz dieser Art seit Dezember 2016. Insgesamt lag das Handelsvolumen bei Gold in der zweiten Märzwoche allein an der Londoner Rohstoffbörse bei 100 Milliarden US-Dollar pro Tag.
Diese Entwicklung entspricht der während des Höhepunktes der globalen Finanzkrise nach dem Zusammenbruch der US-Großbank Lehman Brothers im September 2008. Damals kam es ebenfalls zu keinen größeren Sprüngen beim Goldpreis, sondern eher zu zwischenzeitlichen Einbrüchen. Allerdings dauerten die nur wenige Wochen, bis der Tiefpunkt erreicht war. Dann setzte zur Mitte des Folgejahres ein kontinuierlicher Anstieg ein, der bis 2011 anhielt.
Rettungsversuche der Zentralbanken
Und so wird es wahrscheinlich auch diesmal sein. Momentan pumpen die Zentralbanken bei ihren Rettungsversuchen gewaltige Geldmengen in den Finanzkreislauf – bei extrem niedrigen Zinsen. Die Billionen dürften aber nur zum Teil in der Realwirtschaft ankommen und vielmehr wieder den Aktien- oder Goldhandel beleben. Je weiter man die Geldhähne angesichts der Corona-Krise aufdreht, desto wahrscheinlicher erscheint, dass der Wert des Geldes sinkt und der Preis des Goldes steigt.
Das wird möglicherweise schon bald der Fall sein. Potenzielle Anleger, die sich durch den Kauf des Edelmetalls absichern wollen, scheinen deshalb gut beraten, umgehend zu handeln – auch wenn das momentan wegen der oktroyierten Ausgangsbeschränkungen und Geschäftsschließungen organisatorisch schwierig ist und die Lieferzeiten der Edelmetallhäuser immer länger ausfallen.
Dabei gilt es auch zu bedenken, dass Staaten den Besitz von physischem Gold unter Androhung drakonischer Maßnahmen bis hin zur Todesstrafe verbieten und Zwangsaufkaufpreise festlegen können, die bei den Anlegern in aller Regel zu herben Verlusten führen. So geschehen beispielsweise in Russland 1918, Deutschland 1923, 1931, 1936 und 1945, den USA 1933, Frankreich 1936, China 1949, Polen 1950, Indien 1963 und Großbritannien 1966.
Der Beitrag erschien zuerst bei „PREUSSISCHE ALLGEMEINE“