Freitag, 6. Dezember 2024

Warum der Kardinal von Köln in der Osternacht die Domportale öffnen wird

(David Berger) An Ostern feiern wir den Sieg Jesu über Leiden und Tod. Gerade in jener schweren Stunde scheint die katholische Kirche den Glauben an ihre Kernbotschaft staatlicher Gewalt zu opfern. Scheint, denn im Kölner Dom könnte in der kommenden Nacht auf Ostersonntag, die die heiligste Nacht der Christenheit ist, alles anders kommen…

Spazierengehen – das wussten schon die alten Philosophen – bringt uns auf die ungewöhnlichsten Gedanken und hin zu bisher nicht gedachten Ideen, die Träumen ähneln. Ein solcher Traum überfiel mich heute, als ich zunächst eine Runde durch den Park und dann, gelockt von den sommerlichen Temperaturen, die auch alte Männer leicht zum Übermut verleiten, weiter bis zum Kölner Dom lief – Um mich dort im vorgeschrieben Sicherheitsabstand ein wenig in der Sonne mit dem Blick auf dieses mächtige architektonische Glaubenszeugnis unserer Väter auszuruhen.

Die Mystik der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag

Halb in eine Art sanften Mittagsschlaf fallend, begann ein solcher Traum, von dem ich eben gesprochen habe, sich meiner Gedanken zu bemächtigen. In einem Zeitsprung war ich gedanklich in der kommenden Samstag Nacht an meinem Platz vor dem Kölner Dom angekommen. Um mich herum standen, in dem verpflichtenden Sicherheitsabstand, an den wir uns längst gewöhnt haben, hunderte an Menschen auf den riesigen Plätzen rund um den Kölner Dom bis zum Hauptbahnhof. Still schweigend, einige Frauen- in meiner Phantasie vermutlich inspiriert durch die Bilder von Pariser Gläubigen, die sich fast genau vor einem Jahr in der Nähe der noch rauchenden Kathedrale Notre Dame versammelt hatten –  leise vor sich hin den Rosenkranz betend.

Wer hatte sie hierher gerufen, wer den eigentlich illegalen Auflauf organisiert? Heimliche Verschwörer gegen einen Staat, der derzeit den Bürgern zeigt, wie weit er zu gehen bereit ist. Und ihnen demonstriert, wie leicht sie zu brechen sind? Katholiken als Revolutionäre und Unruhestifter im Namen der Freiheit? Ein Traditionsbruch wäre das in der jüngeren Geschichte des Katholizismus bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein sicher nicht.

Oder eine übernatürliche engelgleiche Kraft, die sie hier geradezu besessen hergeleitet hatte? Ideen, die nur in Träumen jener Menschen erlaubt sind, die um solche Kräfte wissen, ohne esoterischem Unsinn hinterherzulaufen …

Alle Glocken der Kathedrale verkünden: Christus ist auferstanden

Eines aber ist in jenem Augenblick allen klar: Eine unheimliche angespannte Stimmung liegt in der Atmosphäre, der sich keiner entziehen kann und die sich von Minute von Minute bis zu jenem Augenblick steigert, als in der Kathedrale der Kardinal das Ostergloria angestimmt hat und allen Kölnern das gesamte Geläut dieses Domes verkündet, dass die heiligste Nacht des Christentums angebrochen ist.

Jene Nacht, über die der Diakon zuvor im Schein der Osterkerze, die bei unserer Taufe und ersten heiligen Kommunion gebrannt hat und die brennen wird, wenn uns die Kirche das letzte Geleit gibt, gesungen hat:

„Dies ist die Nacht,
die heute auf der ganzen Welt alle, die an Christus glauben,
scheidet von den Lastern der Welt,
dem Dunkel der Sünde entreißt,
ins Reich der Gnade heimführt
und einfügt in die heilige Kirche.“

Die letzte Glocke der Kölner Domtürme ist noch nicht in den Jubel des Geläuts eingefallen, als ein junger Mann mit etwas ängstlicher Stimme zu dem Ruf ausholt: „Christus ist auferstanden, Christus ist wahrhaft auferstanden!“

Das ist der Glaube für den unsere Vorväter Verfolgung und Tod in Kauf nahmen

Der Ruf breitet sich wie eine Woge durch die Reihen der Gläubigen aus. Menschen, die zum ersten mal auf einem offenen Platz ihren Glauben bekennen, weil sie zum ersten mal existentiell angesichts einer der schwersten Krisen, die sie bislang über ihr Privatleben hinaus miterleben, spüren, wie dringend sie diesen Glauben brauchen, wie groß ihre Sehnsucht nach jenen Mysterien des Christentums ist, für die ihre Väter und Vorväter Tod und Verfolgung (im Kulturkampf, dem  Dritten Reich und der DDR-Diktatur) hingenommen haben. Und den sie fast über den immer vollen Regalen ihrer Supermärkte vergessen hätten.

Der Ruf schwillt an, selbst durch die fest verschlossenen Türen des Domportals dringt er – in einer Art Chor mit den Osterglocken und dem Gesang des Glorias – bis ans Ohr des Erzbischofs, der spätestens seitdem der Diakon im Exsultet sang:

„Auch du freue dich, Mutter Kirche,
umkleidet von Licht und herrlichem Glanze!
Töne wider, heilige Halle,
töne von des Volkes mächtigem Jubel.“

…sichtbar unruhig auf seiner Cathedra herumgerutscht war.

Und auch er muss sich nun eingestehen, dass die Stunde geschlagen hat, zu der ihn das Blutrot seines Kardinalspurpurs ruft – erinnert es doch an das Blut, das die vom römischen Staat hingerichteten Märtyrer für das Bekenntnis ihres Glaubens gelassen und so den Samen für die Christianisierung des römischen Reiches und damit auch Kölns ausgestreut haben.

„Töne wider, heilige Halle, töne von des Volkes mächtigem Jubel“

Mit einem ungewohnt angstfreien und entschlossenen Gesicht gibt der Kardinal die Anweisung, die verschlossenen Domtüren für die Gläubigen zu öffnen. Noch während ihr Ruf, der den Sieg Christi über Leiden und Tod feiert, erschallt, betreten sie geordnet die riesige Kathedrale. Auch wenn dies jetzt nur noch wie eine unbedeutende Randerscheinung wirkt: Keiner, der nicht im sicheren Abstand bis spätestens zur Erneuerung des Taufbekenntnisses und der Besprengung mit dem Osterwasser, einen Platz rund um den Altar und die brennende Osterkerze gefunden hat.

Dies ist die Nacht, von der geschrieben steht:
“Die Nacht ist hell wie der Tag”,
und “wie strahlendes Licht wird die Nacht mich umgeben.”

Der Glanz dieser heiligen Nacht
nimmt den Frevel hinweg,
reinigt von Schuld,
gibt den Sündern die Unschuld,
den Trauernden Freude.
Weit vertreibt sie den Haß,
sie einigt die Herzen
und beugt die Gewalten.

Das ist die Stunde der Kirche, des katholischen Frühlings

Als der Erzbischof den Gläubigen in der Präfation das „Sursum corda!“ (Erhebet die Herzen!) zuruft und ihm die versammelten Gläubigen antworten „Habemus ad Dominum“ (frei übersetzt: „Wir haben sie längst beim Herrn!“), weiß er, wie recht diese treuen Gläubigen haben.

Und in den Geschichtsbüchern wird über den Kardinal stehen:

„In jener Osternacht haben die Schafe den Hirten belehrt. Und er hatte ab diesem Augenblick verstanden, dass in jener schweren Krise der Kairos, die Stunde der Kirche und des christlichen Abendlandes geschlagen hat…“

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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