Manche Geschichten aus dem linken Bremen sind so befremdlich, dass sie es schaffen, selbst langjährige Zaungäste wie mich in ungläubiges Staunen zu versetzen. Worum geht es? Um Sexismus, einer offenkundig gesellschaftlichen Geißel, die auch durch eine seit dreihundert Jahren währende Aufklärung nicht bezwungen werden konnte. Ein Gastbeitrag von Dr. Dr. Marcus Ermler
Und wer dieses Mal mittendrin statt nur dabei ist, hat selbst mich überrascht. Es ist nicht die AfD oder die CDU, denen das als vorgebliche Männerbastion ja gerne nachgesagt wird. Nein. Es ist die Bremer Linkspartei, die eigentlich als Hort der Emanzipatorischen Linken gilt. Was diese Vorfälle noch viel bizarrer anmuten lässt.
Denn bei der Emanzipatorischen Linken handelt es sich um eine Parteiströmung, die ihre Aufgabe bekanntlich darin sieht, „Schutz vor Diskriminierung, Unterdrückung, Repression und Gewalt“ zu implementieren, „um die individuellen und kollektiven Emanzipationsprozesse zu erleichtern“. Sie gilt so auch als Steckenpferd der Bundesparteivorsitzenden Katja Kipping.
Sexistische Kultur bei der Bremer Linkspartei
Was war also passiert? Am 9. und 10. November 2019, also an diesem Wochenende, hält die Bremer Linkspartei ihren 25. Landesparteitag ab, in dem es hauptsächlich um die künftige Themensetzung und Positionierung in der ersten westdeutschen r2g-Koalition gehen sollte. Der Leitantrag des Landesvorstandes konzentrierte sich dabei maßgeblich auf einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild.
Doch das nachträglich eingereichte Antragsheft II hat es in sich. In zwei Anträgen, der erste unter Anderem von zwei Bürgerschaftsabgeordneten, darunter die Fraktionsvorsitzende, und der zweite von einem gewichtigen Kreisvorstand, wird eine „sexistische Kultur im Landesverband beklagt“, die dafür sorgt, dass „der Landesverband dieser Partei zu oft kein sicheres oder freundliches Umfeld für Frauen* und LGBITQ* (lesbische, schwule, bisexuelle, inter, trans und queere* Personen) ist“.
Doch es bleibt nicht bei einem abstrakten Vorwurf. Eine Vielzahl von Einzelfällen werden benannt, die in der Summe ein erschreckendes Sittengemälde formen. Da die Autorinnen des ersten Antrags auch selbst davon sprechen, dass „in den vergangenen Monaten und Jahren […] einige Dinge passiert [sind], die uns zum Verfassen dieses Antrags und zur Einberufung des Frauen*plenums gebracht haben“, lässt darauf schließen, dass die Anträge nicht aus einer Laune heraus eingereicht wurden, sondern besagte Summe der Einzelfälle eine Veröffentlichung erforderte.
Nebenbei bemerkt: Wer nun meint, hier würden irgendwelche linken Snowflakes mit freundlichen Worten beziehungsweise Kritik von Männern nicht richtig umgehen können und nach Safe Spaces hecheln, dem wird bei den Schilderungen doch eher unbehaglich zumute werden.
Sexualisierte Grenzüberschreitungen männlicher Parteimitglieder
Der erste genannte Fall lässt einen bereits fassungslos zurück. Es geht hierbei um ein „krass übergriffiges, sexistisches und traumatisierendes Verhalten, sowie sexualisierten Grenzüberschreitungen durch ein männliches Parteimitglied“. Bedenklich hierbei ist das Verhalten der Partei, das sich in den folgenden Erzählungen immer zu wiederholen scheint: Der Täter wird zum Opfer, seine Tat bagatellisiert, er selbst weiter gefördert und das Opfer ignoriert wie marginalisiert. So schreiben die Antragstellerinnen im genannten Fall zum Ablauf weiter:
„[So] wurde dies jahrelang ignoriert, toleriert und verschwiegen. Es wurde nichts unternommen, um die betroffene Genossin z.B. auf Parteiveranstaltungen zu schützen. Kritik von weiteren Genossinnnen wurde ebenso ignoriert, heruntergespielt und abgewürgt. Der Täter wurde weiterhin gefördert und nachdem Betroffene das Verhalten thematisiert hatten verteidigt.“
Im zweiten Fall geht es um einen Kandidaten für den Vorstand eines Kreisverbandes, der durch „jahrelanges sexistisches und übergriffiges Verhalten aufgefallen“ sei. Doch der Kreisverband habe „enorme Bemühungen angestellt“ diesen nunmehr „gegen die Benennung dieses Verhaltens zu verteidigen und zu schützen“. Was dann so aussah:
„Dabei wurde suggeriert, dass ja der benannte Kandidat das Opfer der Aussprache gegen ihn und der Offenlegung seines Verhaltens wäre. Damit wurde das Verhältnis von Täter und Opfer umgekehrt und versucht diejenigen, die Sexismus angesprochen hatten, zum Schweigen zu bringen.“
Stalking und physische Gewalt gegen Frauen als linke Politik
Ebenso die weiteren Fälle stimmen nachdenklich. So gäbe es „Stalking/Nachstellung durch ein weiteres männliches Parteimitglied gegen eine Genossin – auch im Rahmen von Parteiveranstaltungen“, weiterhin kam es sogar zu „zu einem physischen Übergriff“ sowie „psychischer Gewalt“ gegen weibliche Parteimitglieder während „einer Demo vor der Bürgerschaftswahl […] durch ein männliches Parteimitglied […] ohne dass andere Parteimitglieder oder -gremien eingeschritten“ wären.
Ferner habe es „Grenzübergriffe durch Männer gegenüber Frauen*, inklusive Begrapschen und extrem grenzverletztenden ‚Anmach‘sprüchen“ gegeben. Schließlich sei es zudem zu grenzüberschreitendes Verhalten gegenüber „jungen Frauen* und Mädchen*“ beziehungsweise weiblichen „Minderjährigen“ gekommen.
Halten wir das fest: In der Bremer Linkspartei gibt es männliche Parteimitglieder, die Frauen, junge Frauen und selbst Minderjährige sexuell belästigen, dabei sogar übergriffig werden bis hin zu Begrapschen, Stalking sowie psychischer beziehungsweise physischer Gewalt. Die Partei selbst redet diese Vorfälle klein und unternimmt keinen offenkundigen Versuch zur Aufklärung. Nein, vielmehr solidarisiert man sich mit den Tätern und nicht mit den Opfern.
Da diese Anträge nicht von irgendwelchen Hinterbänklern eingereicht wurden, sondern von einem der wichtigsten Bremer Kreisverbände sowie einer Gruppe von Frauen um die Fraktionsvorsitzende, sollten sie für einige Unruhe auf dem Landesparteitag sorgen.
Befremdlich bleibt, dass ein solch „emanzipatorischer“ Landesverband der Linkspartei, wie es der Bremer nun einmal ist (beziehungsweise vorgibt zu sein), mit solch eklatanten Problemen im Bereich Sexismus, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen zu kämpfen hat. Und das im 21. Jahrhundert.
Keine gute Zeiten für die Bremer Linke.
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