Ein Gastbeitrag von Andreas Reinhardt
Worte münden in Sätze, verdichten sich zu Sprache, die uns Identität und Ausdruckskraft verleiht. Auf nichts gilt es mehr Acht zu geben, besonders in Zeiten sprachlicher Verarmung und Verirrung durch die Flutung mit (Pseudo-)Anglizismen, die bis ins Groteske simplifizierende Smartphone-Revolution oder die maßlose Genderisierung.
Verlieren wir den Reichtum der deutschen Sprache, die einstmals Fundus unserer Dichter und Denker von nachhallendem Weltruhm war, so verkümmern unsere nationalen Wurzeln vollends. Die Deutschen würden letztlich nur noch ein Volk von orientierungslosen Konsum-Zombies und aggressiv geifernden Identitätslosen mit rudimentären Sprachfertigkeiten sein.
Doch anstatt dieser Verarmung konsequent entgegenzuwirken, weht ein kooperativer Sprachwind direkt aus dem Bundeskanzleramt hinüber. Für Wortakrobatik im Dienste eines gleichgeschalteten solidarischen Verhaltens ist dort nämlich eigens eine Projektgruppe im Verbund mit dem Referat „Medienberatung“ angesiedelt. Und weil man so famos mit den Mediengiganten Bertelsmann, Springer, Holtzbrinck und Burda harmoniert, können die Wortkreationen dem dauerkonsumierendenVolk quasi noch ofenwarm in homöopathischen Dosen verabreicht werden, 24 Stunden am Tag an 365 Tagen im Jahr.
So wird nur noch von Geflüchteten fabuliert, wo es in der Hauptsache um Wirtschaftsmigration, unberechtigte Asylsucher und illegale Einreise auch von Kriminellen und Terroristen geht – schließlich schafft Mitleid kritiklose Akzeptanz. Statt Gastfreundschaft heißt es nun Willkommenskultur, um das Volk darauf einzuschwören, dass die „Geflüchteten“ eben keine vorübergehenden Gäste sein sollen, sondern dass diese dauerhaft bleiben werden. Und zum Thema EU heißt es nicht etwa Euro-Krisenfonds, wie es der Realität entspräche, sondern hoffnungsvoll EURO-Rettungsfonds, um jede berechtigte Skepsis und Vorsicht auch des deutschen EU-Volkes einzuschläfern.
„Postfaktisch“ gehört auch zu den verbalen Ergüssen und wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) sogar mit dem Prädikat „Wort des Jahres 2016“ geadelt, unmittelbar nach „Flüchtlinge“ im Jahr 2015. Wenig überraschend ist es da, dass die Begriffe „Lügenpresse“ und „Gutmensch“ es lediglich zu „Unworten des Jahres“ gebracht haben. Doch zurück zum Postfaktischen: Die Einschränkung individueller Meinungsbildung anhand gezielter Diskreditierung ist also etwas Gutes? Klar, warum eigentlich nicht, diktatorische Regime pflegten kritische Geister zu jeder Zeit gerne in Gulags oder geschlossene Anstalten zu entsorgen. Wir hingegen leben in einem Rechtsstaat, der die freie Meinung hochhält und schützt. Genau aus diesem Grund hat die Stigmatisierung als etwas Postfaktisches eben gut und richtig zu sein.
Je mehr ich mich in das Thema hineinschreibe, desto intensiver muss ich an George Orwells „1984“ denken:
„Krieg bedeutet Frieden! – Freiheit ist Sklaverei! – Unwissenheit ist Stärke!“
Habe nur ich gerade ein Déjà-vu-Erlebnis? Schon klar, in unserer realen Gesellschaft von heute geht es selbstverständlich deutlich subtiler zu: ‚„Rechts“ ist schlecht, „Links“ ist gut! – „Hatespeech“ und „Fakenews“ bedrohen die Demokratie! – Geschichtsunkenntnis macht frei! – Frühsexualisierung bildet!‘
Zu Orwells Roman heißt es in der deutschen Zeitschrift „Monat“, August-Ausgabe 1949:
„… und der Weg in die globale Hölle von ‚1984‘ ist nicht mit den Präzepten einer bestimmten politischen Anschauung, sondern mit den menschlichen Schwächen – vom Machtfieber zu Feigheit – gepflastert.“
Mit dieser hellsichtigen Erkenntnis können wir sogleich der Frage auf den Grund gehen, wie eine Sprachinquisition nebst fortschreitender Verarmung der Sprache selbst in einer als „aufgeklärt“ definierten Gesellschaft derart verfangen kann.
Es gibt eine Heerschar von Menschen, die sich selbst aufzuwerten versuchen, indem sie sich über andere erheben. Teil eines Inquisitionssystems zu werden, scheint für jene das probate Mittel zu sein. Was ihre Mitmenschen sagen dürfen oder nicht, was gesellschaftlich anständig ist oder ethisch verwerflich, was als mitfühlend und weltoffen zu gelten hat und was als populistisch und rassistisch, das gilt es mit erhobenem Zeigefinger, Denunziation, Rufmordkampagnen oder Abnicken eines NetzDG zu erzwingen. Längst werden schon wieder Bücher boykottiert oder umgeschrieben. Was haben wir als nächstes zu erwarten, Bücherverbrennungen à la Bebelplatz 1933?
Die Umbenennung von Straßennamen ist auch so ein Erziehungsprojekt. Dabei stehen zwei Themenfelder ganz oben auf der Hitliste der selbsterklärten Vormünder: Das erste umfasst alles, was auch nur annähernd nach deutscher Kolonialzeit als Sinnbild deutschen Größenwahns und vorauseilenden „Nazitums“ riechen könnte. Wir kämen ja auch auf den Köter, Entschuldigung Hund, würden wir Mohrenstraße, Lüderitzstraße oder Nachtigallplatz weiter dulden … – Konsequenterweise erfasst das zweite Themenfeld insbesondere preußische Generäle, Könige und Staatsmänner, die besonders gerne als Ausgeburt des Militarismus, der Kriegstreiberei oder kurz des Bösen betrachtet werden. Ja genau, Ludwig Graf Yorck von Wartenburg, August Neidhardt von Gneisenau oder Otto von Bismarck waren auch ganz sicher mit dem Leibhaftigen im Bunde …
Nein, wundern muss einen so langsam gar nichts mehr. Die eifrigen Sprachstrategen wollen uns ja sogar die Mohrentorte verleiden. Doch, wirklich, die Politische Korrektheit macht es möglich. Ab in den „Neusprech“-Giftschrank der verbalen Entgleisungen, gleich neben „Negerkönig“ und „Zigeunerschnitzel“.
Im Deutschland dieser Tage wird es sogar als statthaft erachtet,dass Akteure des politischen Kabaretts von Fernsehmachern und Medien angegangen werden, sobald sie Tabus der Politischen Korrektheit brechen, anstatt ausschließlich die gewünschten Feinde zu diskreditieren. Im Mittelalter hatte der Narr bei Hofe mehr Freiheiten.
In der Tat scheinen die Lehren und intellektuellen Errungenschaften der abendländischen „Aufklärung“ fortschreitend hinter uns zu liegen, und das orwellsche „1984“ erfasst selbst das närrische Korrektiv.
Mich dünkt, das Mittelalter liegt durchaus nicht in grauer Vorzeit, es tut sich vor uns wieder auf. Vielleicht dürfen dann ja wenigstens die Narren wieder tacheles reden – natürlich nur im Rahmen der deutschen Sprache, die ihnen dann noch geblieben sein wird …
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Andreas Reinhardt ist Roman- u. Drehbuchautor.
Sein aktuelle Roman Großstadtmelancholie … mit Pfiff (urbanes Roadmovie) des Roman- und Drehbuchautoren erschien im November 2017 im NIBE Verlag. Er kann hier bestellt werden.
Sein Debütroman Operation Reiner Tisch (Politthriller) erschien im November 2015 im EWK-Verlag.
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