Donnerstag, 26. Dezember 2024

12- Kapitel – Flucht nach Akademgorodok

Marko Wild

I

Am nächsten Morgen war meine erste Handlung, einen Blick hinunter in den Innenhof zu werfen. Der Bus stand noch da. Unversehrt. Ich wandelte durch die wie verlassen ruhende Wohnung. Kein Gernot. Keine Dunja. Hier gab es nichts mehr für mich. Wieder wollte ich nur noch weg. Zum Glück wusste ich, wohin. Hoffentlich hatte Krischan meine SMS erhalten…

Im Kühlschrank war noch eine Flasche Schwarzbier, der Rest des Hefezopfes und die selbstgemachte Marmelade meiner Frau. Ich stopfte alles eilig in den Rucksack. Frühstücken konnte ich woanders. Als ich meinen Waschbeutel aus dem Bad holte, hörte ich Stimmengemurmel. Die Schlafzimmertür stand einen Spalt weit offen. Gernot und Dunja waren also wach. Ich fasste mir ein Herz. Ihnen zu begegnen, bedeutete Stress. Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper, den sie unbedingt loswerden wollten. Doch die beiden kamen nicht heraus. Das Gemurmel blieb im Schlafzimmer. Trotzdem mussten sie mich hören. Ich gab mir keine Mühe, mein Gehen zu verbergen. Im Gegenteil – ich produzierte eindeutige Geräusche: Schnallen klickten, Reißverschlüsse schnurrten, Gepäckstücke wurden hochgehievt und wieder abgestellt. Gernot und Dunja kamen demonstrativ nicht heraus. Als ich Rucksack und Matratze an die Garderobe schleppte, hielt ich diese neue Frechheit nicht mehr aus und schaute ins Schlafzimmer.

„So also sieht dein viel gepriesener Anstand aus – dass du einen Gast nicht einmal verabschiedest wenn er geht?“, fragte ich Gernot. „Mein Verständnis von Gastfreundschaft sieht anders aus.“ An Herzdrücken wollte ich seinetwegen nicht sterben. Gernot saß – in kurzen Schlafhosen – offenbar schon länger auf dem Bettrahmen und schien sich nicht überwinden zu können, aufzustehen und herauszukommen. Er schwieg und sah mich nicht an.

Weil ich nicht nochmals in die Wohnung zurück kommen wollte, brachte ich mein gesamtes Gepäck zunächst ins Treppenhaus: großer Rucksack, kleiner Rucksack, Matratze, Schlafsack, Decke und ein langes, flaches Flightcase, in dem ich einige wertvolle Dinge aufbewahrte. Als Gernot hörte, dass die Wohnungstür aufgeschlossen wurde, überwand er sich endlich, kam und schaute ausdruckslos zu, wie ich die Sachen ins Treppenhaus wuchtete. Kurz darauf schwebte auch Dunja herbei, schwebte eine zeitlang suchend in der Wohnung herum und stellte sich dann unsicher neben Gernot.

„I leave“ – ich gehe – sagte ich und schaute fragend: Habt ihr etwas dazu zu sagen?

Hatten sie nicht. Dunja nickte nur. Ich dankte für die Unterkunft und reichte beiden die Hand. Gernot ließ seine Hände da, wo sie waren. Zu Dunja sagte ich auf Russisch: „Doswidanija“. Sie erwiderte den Gruß. Dann trat ich ins Treppenhaus. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss.

Nachdem ich alles im Bus verstaut hatte kam der große Moment: ich hielt die Luft an und drehte den Zündschlüssel um. Der Motor sprang an. Ich war gerettet – für den Moment. Nun, da die Maschine unter mir tuckerte, konnte ich Pläne schmieden. Plan 1: VW Center Nowosibirsk ausfindig machen, hinfahren, Auto überprüfen lassen. Im Wörterbuch suchte ich mir einige Begriffe, anhand derer ich das Problem beschreiben wollte. Warm / kalt / anspringen / drehen. Gegen halb Zehn fuhr ich in der Uliza Kirowa, Nummer 274, eine kleine, gepflasterte Auffahrt hinauf und parkte den Bus. Volkswagen Nowosibirsk quetschte zwischen zwei anderen Häuserblöcken, direkt an der dieselverrußten Hauptstraße und war nicht einmal halb so eindrucksvoll, wie das blitzeblanke, weitläufige VW Tomsk. Auch die Mitarbeiter unterschieden sich. Hatte man mich in Tomsk freundlich, ja servil empfangen und stets korrekt behandelt, so sahen hier alle irgendwie großstädtisch-genervt aus. Junge Damen saßen hinter Bildschirmen, kauten auf Stiften herum, tippten in ihre Smartphones oder schauten gelangweilt zum Fenster hinaus. Niemand nahm Blickkontakt mit mir auf. Vielleicht lag es am Vormittag.

Der erste Eindruck täuschte. Man führte mich zu einer (laut Namensschild) Maria Garilowa. Zunächst schien es ihr peinlich zu sein, Englisch sprechen zu müssen. Doch sie war die einzige, die das konnte – taute, als sie merkte, dass ich sie tatsächlich verstand, immer mehr auf und bemühte sich sehr um mich. Sie sprach sogar ein little Deutsch. Zusammen mit meinem technischen Wörterbuch definierten wir das Problem und gaben es an einen Mechaniker weiter. Während dieser sich den Bus ansah erklärte Maria mir, wie und wo ich Geld auf meine russische Simkarte aufladen konnte. Ein entsprechender Automat stand in einem Geschäft auf der anderen Straßenseite. Sie bot mir an, mitzukommen und mir dabei zu helfen. Ich versuchte es allein.

Zurück teilte mir der Mechaniker mit, dass die Fehlerdiagnose nichts ergeben hatte. Ich bat ihn, das Auto anzulassen. Bingo: der Motor sprang nicht an. Der Mechaniker hielt genau wie ich den Zündschlüssel auf Rechtsanschlag. Nach ein paar Sekunden kam der Anlasser. Wir versuchten es ein zweites Mal. Der Bus sprang sofort an. Der Mechaniker zuckte die Schultern. Vielleicht sei der Motor im Stadtverkehr zu warm geworden, meinte er. Was sollte ich mit dieser Information anfangen? Wirklich hilfreich war das nicht. Maria Garilowa wusste auch nichts weiter zu sagen, gab mir aber wenigstens ihre Karte und wünschte mir alles Gute.

Auf nach Akademgorodok, zu Krischan. Ich war sehr gespannt auf das „akademische Städtchen“, das 25 Kilometer südlich von Nowosibirsk am Obstausee liegt. Es war in den späten 1950ern eigens für die Wissenschaftselite des Landes erbaut worden, um sie samt Kind und Kegel an einem Ort anzusiedeln, an dem sie möglichst weit weg von Bomben und fremden Armeen waren und sicher und ungestört arbeiten konnten. Ich hatte einmal ein langes Radio-Feature über Akademgorodok gehört. Besonders spannend fand ich, wie sich in den 1960ern Jazz- und Mathezirkel in den Studentenkellern gebildet hatten, in denen nach Herzenslust diskutiert, musiziert und philosophiert wurde. Eine Oase des freien Geistes. Fast wie im Westen. Bis es der politischen Führung zu heiß geworden war und sie das Treiben unterbunden hatte. Zu Spitzenzeiten lebten und arbeiteten in Akademgorodok 65.000 Wissenschaftler – zusammen mit ihren Familien rund 200.000 Menschen. Im Laufe der Jahre schrumpfte die Einwohnerzahl um drei Viertel. Wie würde es heute dort aussehen, ein halbes Jahrhundert nach der großen Zeit? Würde ich jenen Wissenschaftler ausfindig machen, der aus Meteoritengestein eine Bohrspitze geschaffen hatte, die angeblich die x-fache Härte von Diamant besaß und gegenwärtig das härteste bekannte Material sein sollte? Wenn ich mit einem solchen Interview in der Tasche zurückkäme. . .

II

Krischan war der erste gewesen, der mir seine Adresse mailte und schrieb, ich könne bei ihm übernachten. Ich hatte das als Fingerzeig verstanden; als Bestätigung, dass ich diese Reise machen sollte. Entsprechend freute ich mich darauf, Krischan endlich kennen zu lernen. Laut seiner Homepage war er Ökonom und hatte vor seinem Leben in Nowosibirsk Lehraufträge in New York und London gehabt. Laut Foto und Mailverkehr schien er ein ganz lockerer Typ zu sein. Und siehe da: geantwortet hatte er jetzt auch: Kannst kommen.

Mit meinem neuen, über 100-seitigen Stadtplan von Nowosibirsk, der die Hausnummern bis runter nach Akademgorodok zeigte, war es ein Kinderspiel, Krischans Wohnung zu finden.

Akademgorodok bestand aus einer Mischung vielgeschossiger Plattenbauten, einzeln stehender Gebäuden mit einem oder wenigen Geschossen – Supermärkte, Behörden, Sporthallen, Schulen, Forschungsstätten, und Einfamilienhäusern in den Randbezirken. Auf eine nostalgische Weise gefiel mir die Anlage der Stadt. Denn ich erkannte das menschliche Bemühen hinter all der Grauheit. So waren beispielsweise die Hauptstraßen fünfteilig: zu beiden Seiten der eigentlichen Straße gab es einen durchgehenden Grünstreifen mit Bäumen; hinter dem dann jeweils eine zweite, verkehrsberuhigte Straße folgte. Diese war so breit, dass die Autos auf ihr im Schatten der Bäume parken konnten und gleichzeitig immer noch sehr viel Platz für einfahrende PKW, Fußgänger und Radfahrer blieb. Dann kamen die Plattenbauten. Die Möglichkeit, das Auto schattig, weg von der Straße parken zu können, weiß jeder Städter zu schätzen. Es gibt die Meinung, der Mensch ansich sei in Russland / in der Sowjetunion nie besonders viel wert gewesen. Als wäre der Gulag das Grundprinzip dieses Landes. Akademgorodok erzählte eine andere Geschichte. Zugegeben, Akadem war für die Intelligenzija errichtet worden – für Halbleiter- und Kernphysiker, Mathe- und Informatiker, Geo- und Mineralogen, Chemiker und Biologen. Bei den Nowosibirskern soll Akademgorodok als Wohnalternative bis heute beliebt sein. Verständlich. Es war ruhig, es war alles da – Ärzte, Apotheken, Schulen, Kindergärten, Grundversorgung, Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Ein urbaner Kosmos aus Plattenbauten. Rundherum Wälder und nicht weit der Obstausee als Erholungsgebiet. Man konnte es hier sicher gut aushalten.

Ich klingelte. Keine Antwort. Weil ich mir schon gedacht hatte, dass Mittag nicht die günstigste Zeit sein würde, um bei ihm aufzukreuzen, hievte ich mein Rad aus dem Bus und beschloss, das akademische Städtchen ein wenig zu erkunden.

Akadem erinnerte mich sehr an die DDR. Es war heiß, trocken und staubig. Frauen gingen einkaufen mit Baumwollbeuteln oder Netztaschen und trugen bunte Kleider statt Hosen. Zwischen den Plattenbauten verliefen Sandwege durch’s Grün – Abkürzungen, die nicht am Reißbrett geplant, sondern von den Leuten ausgetreten worden waren. Einige Nebenstraßen bestanden aus Betonplatten; es holperte, wenn man darüber fuhr. Manche Instituts-Außenstelle meinte ich an den stacheldrahtbewehrten Mauern zu erkennen, die sie umgaben. Doch nicht alles schien noch genutzt zu werden. Einiges sah verlassen und dem Verfall preisgegeben aus. Ich versuchte, die alten Schilder zu entziffern – emaillierte Tafeln, die von verrosteten Schauben in Fassaden aus Kiesbeton-Fertigteilen gehalten wurden. Davor wucherte hartes, dürres Gras. Schon ein bisschen trostlos…

Weiter oben, eine sanfte Steigung hinauf über die holperige Betonplattenstraße, dann ein völlig anderes Bild. Hier stand ein Gebäude, das modern, ja futuristisch aussah. Zwei kubische, versetzte Türme aus rostbraunem Stein, mit blaugrünen, spiegelverglasten Fensterzeilen. Ganz oben waren die beiden 14-Geschosser durch einen gläsernen Lichtgang verbunden. So bildete das Konstrukt eine Art hohes Tor, durch das die Straße verlief. Der Akadempark (auch Technopark Nowosibirsk), Spitzname Silicon Forrest, ist eine Art Versuchsort für Ideen. Alles, womit sich in Zukunft Geld vrdienen lassen würde, konnte hier sein geeignetes Entwicklungs-Biotop finden. Ich besah mir das Areal aus der Nähe, setzte mich auf eine Bank im Außenbereich und rief meine Frau an. Zum ersten Mal seit Tagen hatte ich die nötige Muße. Die Verbindung klappte. Zu Hause war die Mannschaft eben erst aufgestanden. Ich war froh, wieder einmal ihre Stimmen zu hören. Auf der Bank hatte ich mir mein Hemd mit Harz beschmutzt. Meine Frau gab mir sogleich einen Tip, wie ich es wieder heraus bekommen könnte. Alltägliches. Trotz der großen Distanz. Dann brach die Verbindung zusammen. Ich fuhr weiter, ließ mich von der Intuition leiten, und landete im Hinterhof Akademgorodoks: einer Garagenanlage, fast schon im Wald. Ölverschmierte Jungs schraubten an Karossen herum um und probierten ihre Maschinen aus. Die Grill- und Bastelmeile. Beneidenswert. Ich empfand alles unmittelbar und von seiner besten Seite aus: wenn ich einer dieser Jungs wäre, hier leben würde und dies mein Hobby wäre… es musste ein herrliches Leben sein. Was immer ich mir auch vorstellte, wohinein immer ich mich auch dachte – ich sah nur noch das Schöne. Dass diese Jungs sicher auch Probleme hatten, dass auch ihr Leben schwer sein mochte, dazu hatte ich keinen Zugang. Vielleicht lag das daran, dass ich selbst gerade in einer besonderen Verfassung, dass meine eigene Brille, den Sorgen von zu Hause entledigt, ein wenig rosa geworden war. Vielleicht aber sah ich das Leben seit Langem auch endlich wieder einmal in seiner wahren Gestalt: als das faszinierendste, wunderbarste Ereignis überhaupt.

Auf dem Rückweg kam ich an einem Campus vorbei. In die zweistöckigen Gebäude strömten gut gekleidet und zielstrebig die Jungen, die Ehrgeizigen, die etwas erreichen wollten in ihrem Leben. Auf dem Parkplatz standen dutzende Autos. Auch aus anderen Teilen Russlands. Ein, zwei ausländische Nummern sah ich ebenfalls. Aber keine deutschen. Deutschland war weit weg.

III

Beim zweiten Versuch, gegen 14 Uhr, antwortete jemand durch die Gegensprechanlage.

„Ah, du. Ja. Komm hoch! Nimmst am besten den Fahrstuhl.“

Wie in Gernots Quartier war dieser auch hier ein Fossil aus der Eisenzeit. Wer konnte sagen, wie viele Touren er schon gemacht hatte. Aber verrichtete seinen Dienst. Der die Türe öffnete, musste Krischan sein. Dünn seine Statur, flink Motorik und Mundwerk. Sein lockiges Haar wirkte wie ein zu lange nicht geschnittener Afro. Er trug eine kleine Nickelbrille, hatte Boxershorts an, ein weißes Rippenunterhemd und sah aus, als wäre er gerade aufgestanden.

„Hast Glück, dass ich da bin“, empfing er mich. „Normalerweise sagt man ein paar Tage vorher Bescheid. Nicht erst kurz vor knapp.“ Krischan war Ende 40, eher klein und ging in wuseliger Unrast vor mir her.

„Ich habe dir schon vorgestern geschrieben. Aber da kam nichts zurück“, erwiderte ich.

„Ah ja, das kann sein. Hab schon eine Mail gesehen. Ist das die Adresse von Deiner Frau?“

„Ja.“

„Mensch, das ist ja unprofessionell. Sowas schreibt man über die eigene Adresse. Haste keine eigene Mailadresse oder was?“

„Natürlich habe ich eine. Das ist doch jetzt egal. Hauptsache, du hast sie gekriegt, oder?“

„Trotzdem, unprofessionell. So, hier ist mein … na, siehst ja selber.“

In der Tat: die „Wohnung“ war winzig.

„Deine Wohnung?“

„Nö. Von ’ner Freundin gemietet. Einer guten Freundin.“ Er zog ein Augenlied mit dem Zeigefinger herunter. „Quasi vorübergehend umsonst gemietet. Weil ich ihr bei was geholfen habe.“

„Ich denke, du hast eine eigene Wohnung?“

„Ja, zwei. Aber die sind alle beide vermietet. Von irgendwas muss ich ja leben – als ‚Privatier‘.“

„Und, kann man davon hier leben?“

„Kann man. Wenn man nicht zu anspruchsvoll ist. Jetzt muss ich bloß mal meine Freundin anrufen. Die wollte nämlich eigentlich schon längst vobeigekommen sein. Deswegen haste auch Glück, dass ich da bin. Wenn die dann noch herkommen sollte, muss ich dich leider für ein paar Stunden rausschmeißen.“

Ich verstand. „Kein Problem.“

Krischan setzte sich im Lotussitz auf sein Bett und telefonierte, erreichte seine Freundin aber nicht. Ich fragte ihn, woher er so gut Russisch könne. Er wäre mal mit einer Russin zusammen gewesen, als er noch in Europa lebte. Und so sei das alles ins Rollen gekommen.

„Und jetzt“, meinte er, „muss ich’s halt mal bei der anderen versuchen, weil die erste nicht ran ging.“

Ich grinste. „Wieviele hast du denn?“

Krischan zählte nach: „Irina, dann die Katja, und dann noch eine in Nowosibirsk in der Stadt drin. Man ist ja nicht immer hier. Da ergibt sich schon immer was, wenn man mal bumsen will. Das Hauptproblem ist das logistische: sie dürfen sich nie über den Weg laufen.“

Wow, der Typ war ja direkt. Er sagte das verschmitzt, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Aber irgendwie sah er nicht besonders gesund aus. Ein wenig abgewrackt. Wie die Wohnung – die überhaupt nicht wohnlich eingeräumt war. Spartanisch, wie die Stube in einer Kaserne. Im größten Zimmer, das vielleicht 10 qm hatte, stand ein Bett, ein kleines, altes Pressspan-Schränkchen mit Fernseher, ein Tischchen mit zwei einfachen Stühlen und ein Regalschrank. Auf dem Bett lag sein aufgeklapptes Notebook, an dem er anscheinend gerade gearbeitet hatte: endloser Zahlensalat in einer Tabelle, grüne Ziffern auf schwarzem Grund.

Anstatt die andere anzurufen, wandte er sich dem Notebook zu, und tippte weiter, als wäre ich gar nicht da. „Sorry, muss noch’n bisschen was arbeiten“, meinte er.

„Was machst’e denn?“

„Ich schreib‘ ein Programm. Was für Versicherungen.“

„Aha…“

„Sag‘ mal“, sprang er auf – offenbar wollte er nun doch nicht weiter machen – „haste Hunger? Wollen’mer was essen?“

„Ich hab‘ mein ganzes Zeug noch im Auto. Müsste eh mal was hoch holen. Aber ich würde auch was einkaufen.“

„Na los, dann, komm, geh’mer einkaufen. Ich brauch auch was.“

Wir nahmen die Treppe. Krischan zeigte mir eine Luke im Treppenhaus. Da könne man alles an Abfall hineinwerfen, sogar Zigaretten. Mich erinnerte das an einen Packetschacht auf alten Poststationen: oben rein, unten raus.

Schräg gegenüber befanden sich zwei Supermärkte. Wir überquerten die Straße. „Komm, wir nehm‘ den hier. Der hier ist zwar besser, aber der hier ist günstiger. Manches muss man auch in dem hier einkaufen. Aber das für das meiste genügt der andere.“

Ich kaufte für 430 Rubel ein. Das waren knapp 7 Euro. Ein wenig Käse, Brot, Fleischtomaten, Lachspaste, russischen Senf und Majonnaise. Krischan kaufte eine Flasche Wodka, eine Wurst und einen Saft. „Hier“, er zeigte auf das Etikett des Tetrapack, „das musste kaufen. Das andere Zeug schmeckt wie Chemie. Kannste nich trinken.“

Am Bus wollte ich noch etwas von meinem Essen mit hochnehmen und stellte fest, dass ich offenbar einiges bei Gernot im Kühlschrank vergessen hatte. Darunter Lebensmittel, an denen ich – das wurde mir jetzt bewusst – richtig hing: meine Butter aus Deutschland zum Beispiel, auch ein Glas Spreewaldgurken und selbstgemachter Honig aus Löwenzahn. In der Küche schrieb ich deshalb schnell eine sms an Gernot, in der ich ankündigte, diese Sachen noch abholen zu wollen. Ich bat um einen Termin, wann es ihm passen würde. Dann machte Krischan Tee, wir setzten uns zusammen und aßen. Oder richtiger: ich aß, denn ich hatte heute noch nichts gehabt. Ich aß Brot mit Tomaten und Lachspaste, Tomaten mit Majonnaise, Käse mit Senf, Käse mit Majonnaise, Käse mit Tomaten und Majonnaise oder Lachspastete. Krischan nahm ein bisschen was von mir, den Rest aus dem Kühlschrank. Da gab es auch selbst gemachtes Pesto. Von einer anderen guten Freundin, aus der Schweiz. Auch lecker. Und kiloweise Schweizer Käse – auf Vorrat gekauft. Krischan gab alles frei. Es würde eh viel zu langsam verbraucht.

Er goss mir Tee nach.

„Biste überhaupt schon registriert?“ fragte er.

„Wie – registriert?“

„Na du muss ‚doch angemeldet sein, sonst gibt’s Ärger. Oder sagen wir so: Es kann Ärger geben, wenn es dumm läuft.“

„Ich bin doch im Bus unterwegs. Wo soll ich mich denn da anmelden?“

„Deine Sache. Ich wollt‘ es nur gesagt haben. Normalerweise muss man sich anmelden. Vielleicht, ich will jetzt nicht zu viel versprechen, vielleicht habe ich auch noch so’n Formular hier.“ Er began auf seinem Notebook herumzuscrollen. „Die große Scheiße ist nämlich jedes Mal, die Dinger auszufüllen. Das muss in Russisch geschehen und da darf auch nicht das Kleinste falsch sein. Ich habe schon mal Uliza abgekürzt. Haben die nich akzeptiert. Das ist alles ganz genau vorgeschrieben bei den Towarischtschi.“

„Dann hat aber so jemand wie ich überhaupt keine Chance, das korrekt auzufüllen…“

„Ebend..!“

„Also wenn du mir dabei helfen würdest …“

„Wie gesagt: ich schau mal, aaaaaaber …. Das sieht nich gut aus. Doch, da ist noch eines. Der Scan von einem, das schon ausgefüllt ist – damit ich weiß, wie es geht. Jetzt müssen wir es nur noch irgendwie ausdrucken. Aber heute wird das nix mehr. Oder, du holst dir ein Formular, das füllen wir dann hier aus, und morgen gibst du es wieder ab.“

„Und wo?“

„Mensch, weißt du gar nix? Auf der Meldebehörde?“

„Ich meine: wo ist die hier?“

„Straße vor, links, und dann immer geradeaus. In der Kurve kommt so eine Baracke. Da steht meistens eine lange Schlange Ausländer. Dort.“

„Und was muss ich sagen? Wie heißt das Ding?“

„Du musst nach ‚Blankza Registratura‘ fragen.“

„Blankza Registratura?“

„Gönau.“

Ich nahm wieder das Rad. Schon vor der Meldebehörde, die wirklich nicht mehr als eine Baracke mit Mauersockel war, standen mehrere Gruppen Ausländer unter Bäumen und unterhielten sich. Sie schienen vor allem aus Innerasien und dem kaukasischen Raum zu kommen. Drinnen eine Schlange, die mich augenblicklich die Lust verlieren ließ. Wer weiß, ob diese Massen nicht mehr als ein Blankza Registratura wollten. Vielleicht konnte man mir das Formular einfach so geben? Ich ging ganz nach vorn, klopfte an eine offenstehende Tür und sagte mein Sprüchlein: „U was jehst blankza registratura?“

Zwei Minuten später hatte ich das Formular und konnte wieder gehen.

Bei Krischan war immer noch keinen Damenbesuch eingetroffen. Es schien heute nicht sein Tag zu sein. Er hatte sich aber bereits damit abgefunden. „Brauchst du Internet?“, empfing er mich. Selbstverständlich – immer her damit! „Müss’mer mal sehn, ob das geht.“ Krischan nahm sich mein MacBook zur Brust, richtete den Zugang ein. Wenig später war ich drin, setzte mich in die Küche und las die nächsten Stunden Nachrichten. Genial. Krischan schrieb derweil im Bett an seinem Programm. Einmal schaute er herein und fragte, ob alles okay wäre. Ich sagte: „Ja, alles wunderbar“.

„Wann willst du das Interview machen?“

„Jetzt noch nicht. Am Abend. Muss erst noch’n bisschen lesen.“

„Okay, kein Problem.“ Er verschwand wieder. Nach drei Stunden war ich wieder auf dem Laufenden. Ich hatte einige Mails geschrieben, unter anderem an meinen nächsten Gastgeber und hoffte, er würde mir bis morgen antworten. Ich duschte, machte mich frisch und meinte zu Krischan, wir könnten jetzt. Er hatte nämlich eine Bemerkung über die Staatsverschuldung Russlands gemacht, die ich interessant fand und wozu ich ihn interviewen wollte. Russland gilt ja im Westen als weitgehend schuldenfrei. Die Wirklichkeit sah aber wohl anders aus. Krischan kochte wieder Tee, ich bereitete die Audioaufzeichnung vor. Dann starteten wir.

IIII

Der Punkt mit der Staatsverschuldung sei, meinte Krischan, welche Gebietskörperschaften man einbeziehe. Im Endeffekt sei Staatsverschuldung eine Definitionsfrage:

„Nimmt man beispielsweise die reine Verschuldung des Staates und vergleicht Deutschland mit Frankreich, dann steht Deutschland besser da. Bezieht man aber die Verschuldung Länder und Kommunen mit ein, dann steht auf einmal Frankreich besser da. Weil da viel mehr zentral gesteuert wird und die Kommunen einen weitaus geringeren Etat haben.

In Russland gehört dem Staat fast alles, die ganzen Länderein, die ganzen Liegenschaften. In den USA hingegen ist fast alles privat. Außer ein paar Parks. Das heißt: der Staat in den USA hat überhaupt nichts mehr, was er noch verkaufen könnte. Nix mehr da, alles schon weg. Der Staat ist im Prinzip arm wie eine Kirchenmaus. Russland steht in diesem Punkt finanziell wesentlich besser da.

Alle reden immer von Russlands Bodenschätzen. Aber ein großes Plus sind ja – besonders im Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung – die gigantischen landwirtschaftlichen Anbauflächen. Die noch lange nicht alle genutzt werden.“

„Du sagtest aber, dass die Provinzen hoch verschuldet seien?“

„Ja, da die Provinzen sind alle verschuldet in Russland. In China übrigens genau so. Ich hab‘ mal gehört, in China ist jede Provinz so hoch verschuldet, wie Griechenland. Weiß nicht, ob’s stimmt. Wird aber in Russland ähnlich sein. Letztens habe ich ein Video gesehen, wo einige leicht bekleidete Frauen an einer Straße neben einem See saßen. Der See – das war eine Pfütze in einer Straße. Dass die so leichtbekleidet waren, sollte angeblich ein ‚Protest‘ sein. Weil die Straßen nicht repariert werden. Und warum? Weil Putin den Provinzen kein Geld gibt. Das steckt er alles in seine Raketen. Ich sag‘ immer: Sibirien ist nicht nur das Land der Weite des Landes, sondern auch das Land der Tiefe der Pfützen. Es ist unglaublich, was es hier für Pfützen gibt.“

Ich erzählte ihm von dem Wolkenbruch in Ufa und der versagenden Kanalisation.

„Ja, sag‘ ich doch: die Tiefe der Pfützen. Sehenswert, echt sehenswert.“

Er kicherte.

„Stichwort China“, versuchte ich auf ein anderes Thema zu lenken.

„Ja, China. Es ist ganz klar, dass die Russen versuchen, in eine Position zu kommen, wo sie immer mehr vom dominierenden Westen unabhängig werden. Sie würden gerne eine Institution sein, die verhindert, dass die Amerikaner die Leitwährung der Welt bestimmen. Das geht aber nur mit China. Wobei China zur Zeit ganz klar der stärkere Partner ist und es gnadenlos ausnutzt, dass Russland sich mit dem Westen überworfen hat. Nicht nur in der Gasgeschichte. Da gab’s eine andere Geschichte, hab ich irgendwo gelesen. Panzerlieferung glaub ich. Oder nicht Panzer. Kampfjets. Es ging um Kampfjets. Die Russen sollten zuerst 48 an die Chinesen liefern, und am Ende lieferten sie noch 12. Hier ist die Geschichte: die liefern einen dahin. Dann nehmen die Chinesen dieses Teil, zerlegen es und klauen die ganze Technologie. Deswegen wollten die Russen natürlich gleich ’ne große Stückzahl liefern. Weil sie genau wissen, wenn wir den Chinesen etwas liefern, müssen wir an einer neuen Technologie arbeiten. Aber es wurden nur 12. Obwohl 48 vereinbart waren. Haben die Russen sich runter kriegen lassen. So ist es eben: die Chinesen nutzen den Konflikt knallhart aus.“

Ich fragte, ob denn wegen der Wirtschaftssanktionen eine echte Krise spürbar sei. Auch darüber gäbe es in Europa widersprüchliche Meldungen.

„Ja definitiv ist das spürbar.“ Er erzählte von einer seiner Freundinnen – einer bildhübschen Kasachin – Architektin, der das Gehalt bis auf die Armutsgrenze gekürzt worden war, weil die Aufträge im Bausektor ausblieben. Nach Krischans Ansicht sei die Ölkrise nur ein Vorreiter der eigentlichen Krise, die noch komme – der großen Krise im Immobiliensektor. „Weil zuviel gebaut wurde. Es gibt gar nicht die Menschen, die in all die Wohnungen ziehen könnten. Das lief ja früher richtig gut: Makler haben die Wohnungen günstig gekauft, als sie noch gar nicht gebaut waren. Später haben sie sie dann mit Gewinn verkauft. Da sind Leute zu richtig Geld gekommen. Es gibt ja reiche Leute in Russland. Kein Thema. Heute? Ist das vorbei. Klar, für ’n Appel und ’n Ei kannste immer verkaufen. Aber dann machste halt Verlust. Und die Preise fallen. Sie fallen. Einzimmerwohnung in der höheren Lage letztens noch für 3,4 Millionen Rubel. Aber jetzt? Die Leute wollen verkaufen, schnell verkaufen. Und dann geht sie halt für 2,7 Millionen weg. Also: Wohnungspreise können fallen. Das wissen die Russen noch nicht. Aber es ist so. Ich hab‘ schon einige Immobilienkrisen mitgemacht, England Anfang der Neunziger, später New York.

Das andere Problem: Die Russen denken, die Krise ist so eine temporäre Geschichte. So in zwei drei Jahren ist es wieder vorbei, wie 2008. Aber so ist die moderne Krise nicht. Die Ursache sind die faschistischen Regime. Und die hören erst auf, wenn der letzte Faschist tot ist. Lebend gehen die da nicht raus. Aber das wissen die Leute hier noch nicht. Die Russen sind halt relativ abergläubisch. Da gab’s mal irgend so eine Geschichte mit dem Ende der Welt. Am 21. Dezember oder so. Nirgendwo haben so viele daran geglaubt, wie in Russland, sag ich dir. Und die Chinesen, die sind auch abergläubisch.“

„Ah ja?“

„Klar! Die Zahl 8 ist die Zahl für Reichtum. Ich habe mal in einem Hotel übernachtet in China, das hatte die Nummer 888. Reichtum. Ich war mal in einem Auktionshaus in New York. Da kannste dir umsonst Kunstwerke ansehen. Originale, die man sonst überhaupt nie mehr sehen würde. Da gingen echt super dolle Dinger weg. Und einer der Tricks, die das Auktionshaus gemacht hat, war, sie hatten so Lock-Nummern für jedes Werk. Und sie haben einem, das war wirklich – 180 Millionen oder so – das haben sie auf Nummer 8a gesetzt, weil sie wussten, dass drei oder vier interessierte Bieter aus China da sein würden. Mit solchen kleinen Tricks machen die noch Millionen. Millionen!“ Sein Flüstern überschlug sich beinahe.

Wir gossen uns Tee nach.

Ich erzählte von Gernot und dessen Ausführungen über das Bankenzentrum Nowosibirsk, nach Moskau mittlerweile die zweitwichtigste Bankenstadt Russlands. Die Banken interessierten Krischan weniger, als der Name Gernot.

„Und das war’n Deutscher?“

„Schleswig-Holsteiner.“

„Schleswig Holsteiner? Echt? Sowas haben wir hier?“

„Ist mit einer Russin verheiratet.“

„Jaja, das sind die meisten. Die kommen hierher. Ich sag immer: Jeder weiß, Japan ist das Land der aufgehenden Sonne. Aber keiner weiß: Sibirien ist das Land des aufgehenden Schwanzes.“

Wir lachten.

„Oft isses aber auch so, dass die Frauen jemanden nehmen, weil sie einfach keinen besseren finden. Es ist einfach so: die Männer sterben aus.“

„Ist das so?“

„Natürlich ist das so. Natürlich ist das so!“

„Was ist denn mit den russischen Männern?“

„Also: die saufen. Es gibt Aggression. Und es gibt Risiken im Job. Verkehrsunfälle. Schlechte Sicherheit. Das ist ja das Gute für Männer – sie sterben weg. Es gibt zu wenige. Frauenüberschuss. Trotzdem: für Freizügigkeit ist es besser in New York zu leben. Hier herrschen immer noch ein bisschen altmodische Meinungen. Meine Hauptfreundin weiß zwar von der anderen. Und die zwei wissen auch von der dritten. Aber… is halt so… sie mosern immer ’n bisschen rum. Aber es hilft halt nichts. Auch wenn Frau zu lange schmollt, is halt irgendwann trotzdem mal wieder ’n Mann angesagt. Vor allem, weil es hier in Russland so eine Propaganda gibt, dass Frauen häufig Geschlechtsverkehr haben sollten…“

Ich lachte: „Von der Krankenkasse verordnet?“

„Nee wirklich. Meiner Freundin hat man in der Klinik, wo sie wegen eines krebsartigen Geschwüres war, erzählt … öhhhm jaaa (er ahmte den Arzt nach) … einer der Grünnnde wärö also auch das Ausbleibön eines rögölmößigen Geschlechtsverkährös… öhmm…“

„Vielleicht will die russische Regierung einfach mehr Kinder…“

„Ja, klar. Irgendwie müssen sie ja den leeren Raum ausfüllen.“

Ein passendes Schlusswort. Ich drückte auf Stop, speicherte und kontrollierte die Aufnahme.

Alles im Kasten…

V

Anschließend saßen wir in der Küche, mixten Wodka mit Saft und erzählten. Zu etwas anderem, als ihn mit Wodka zu mischen, war auch dieser Cок (sprich: Sok) nicht zu gebrauchen. (Was wirklicher, 100%iger Saft ist, sollte ich erst in ungefähr einer Woche herausfinden.)

Als Krischan sich niedergelegt hatte, dachte ich nach. Ob es am Stress der vergangenen Tage lag? Oder daran, dass ich seit meiner Abreise keinen wirklichen Komfort gehabt und auch nach fünf Tagen Russland noch nicht das Gefühl hatte, angekommen zu sein? Ich verspürte mit einem Mal eine große Einsamkeit. So lässig Krischan war – irgendwie führte auch er das Leben eines Außenseiters. Und dieses Leben war kein besonders soziales. Es schien mir hart, schnell und kalt. Ein Jäger, der allein im Plattenbau lebt und hin und wieder Frauen erbeutet. Das war nicht das, was ich im Moment brauchte. Das war … zu wenig. Ich sehnte mich nach geordneten Verhältnissen. Nach normalen Menschen – was auch immer normal bedeuten mochte. Doch ich spürte, dass die vergangenen Tage alles andere als normal gewesen waren. Dass ich erschöpft war. Dass mich nach Entschleunigung, Ruhe und Einkehr verlangte. Nach Heiterkeit und ungezwungenem Beisammensein. Zu viel Kraft hatten mich diese anderthalb Wochen in Russland gekostet. Wie weggeblasen war plötzlich jeder Wunsch, irgendjemanden, der aus Meteoritengestein Bohrspitzen herstellte, zu interviewen. Alles nebensächlich, uninteressant. Auch das Blankza Registratura. Es würde auch ohne gehen. Ich musste wieder Mensch werden, einmal nicht permanent unter Druck stehen.

Krischan war nirgends wirklich eingebunden; er wohnte, ja hauste hier nur. Mehr zufällig. Wie ein einzelgängerisches Tier, das seine Höhle nur zur Nahrungsaufnahme verließ. Der Ort ansich spielte dabei keine Rolle. Es lag nicht an Akadem Gorodok. Es wäre auch anderswo so gewesen. Eigentlich hatte ich Krischan gesagt, ich wolle zwei oder drei Tage bleiben. Doch das konnte ich nicht mehr. Ich empfand überdeutlich, dass ich austrocknen und am Ende wohl k.o. gehen würde. Krischans im Grunde existenzielle Ausgeschlossenheit (ob er sich ihrer selbst bewusst war?) verstärkte meine eigene ungeheuer. Ich warf alle Pläne um. Morgen würde ich wieder abreisen.

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Bestseller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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