Ein Gastbeitrag von Daniel Schweizer
Zum zweiten Mal findet am kommenden Sonntag (25.06.2017) in Wiesbaden die bekannte „Demo für alle“ statt. Sie richtet sich erneut gegen die 2016 in Kraft getretenen Sexualkunde-Richtlinien in Hessen.
Man kann zu den Positionen der „Demo für alle“ unterschiedlicher Meinung sein. So wie es zur Bildungspolitik immer unterschiedliche Meinungen gibt. Aber Herr Lorz, Ihre Kritik-Resistenz geht zu weit!
Sie können als Kultusminister nicht einfach neue Richtlinien in Kraft setzen und völlig lernresistent so stehen lassen, wenn bereits zum zweiten Mal Bürger dagegen auf die Straße gehen. Schon gar nicht, wenn Ihren Richtlinien für Sexualerziehung auch von juristischer Seite aus Bedenken entgegen treten.
Es ist zwar nicht alles schlecht in den von Ihnen 2016 neu erlassenen Richtlinien. Vieles liest sich durchaus wie ein normaler Sexualkundeunterricht, wie er schon vor 20 Jahren mit den üblichen Themen besetzt war. Und immerhin nimmt dieser Lehrplan in der Einleitung auch Bezug zu geltendem Recht und dem daraus abzuleitenden Elternrecht. Doch klingt dieser Bezug schnell unglaubwürdig aufgrund der Bestandteile, die gerade wegen der geltenden Rechtslage bedenklich sind: allen voran der Erziehung zu Akzeptanz:
„Ein schulisches Leitbild, das sich für die Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten einsetzt, kann sich demgegenüber positiv auf den Umgang der Schülerinnen und Schüler mit dem Thema sexuelle Vielfalt auswirken.“ (S. 4)
Es wurde in der Debatte immer und immer wieder deutlich: Im Sinne der Achtung vor der Freiheit des Gegenübers gehört Toleranz zum schulischen Erziehungsauftrag. Dagegen ist schulische Erziehung zu Akzeptanz ein Eingriff in die Meinungsfreiheit und ins elterliche Erziehungsrecht. Die Argumente wurden schon vielfach erläutert.
Herr Lorz, lesen Sie dazu einfach die Artikel „Bildungspläne – Warum der Staat nicht zur Akzeptanz erziehen darf“ und „Toleranz ja! Akzeptanz nein! Der Streit um die Bildungspläne“. Letzterer benennt auch sehr wohl Beispiele dafür, dass man nicht ALLE Forderungen der „Demo für alle“ teilen muss. Auch Sie müssen die neuen Richtlinien für Sexualerziehung sicher nicht in allen Punkten nach den Vorstellungen der „Demo für alle“ ändern. Lehrpläne für Schulen sollen ja in der Regel ein Kompromiss zwischen verschiedenen Interessen sein. Das gebietet schon das Neutralitätsgebot der Schule.
Dass Sie aber die Kritik an der Akzeptanz-Erziehung nicht ignorieren dürfen, das zeigen Ihnen doch längst verschiedene Rechtsgutachten. Besonders aktuell das Gutachten von Prof. Dr. Christian Winterhoff: Gerade dieses Rechtsgutachten hat auch dem Protest in Hessen nochmals neuen Schwung gegeben. Nun könnte man einem Rechtsgutachten noch entgegen halten, dass es auch unter Juristen unterschiedliche Auslegungen gibt. Ja, wir kennen es von Gerichtsverhandlungen: Zwei Rechtsanwälte vertreten für ihre jeweiligen Mandanten gegensätzliche Rechtsauffassungen. Und der Richter muss entscheiden, wer am Ende recht behält. Allerdings scheinen bislang weder Sie, Herr Lorz, noch Ihre Kultusminister-Kollegen der anderen Länder ein Gegengutachten vorzuzeigen. Mir jedenfalls ist davon nichts bekannt. Liegt das vielleicht einfach daran, dass Herr Winterhoff mit seinem Rechtsgutachten richtig liegt?
Dann kann man Sie nur dazu auffordern: Nehmen Sie sich an Ihrem bayerischen Amtskollegen Spaenle ein Beispiel. Er hatte zwar auch die Akzeptanz-Erziehung IN DEN ENTWÜRFEN der neuen Sexualkunde-Richtlinien in Bayern. Aber zumindest nahm er die Kritik der „Demo für alle“ zur Kenntnis, dass er diese aufgrund der Rechtslage nicht stehen lassen konnte.
Die Folge: In der ENDGÜLTIGEN FASSUNG sind die Richtlinien entschärft, der aufgrund des Winterhoff-Gutachtens rechtlich nicht haltbare Begriff „Akzeptanz“ fällt weg.
Auch die Wissenschaftlerin Karla Etschenberg äußerte sich in der FAZ kritisch zur Akzeptanz-Erziehung:
„Aus Sicht gläubiger Christen, die sich auf den Katechismus berufen, kann ich das verstehen. Akzeptanz bedeutet Billigung und Einverstandensein. Das kann bezüglich nicht heterosexueller Orientierungen von gläubigen Katholiken nicht erwartet werden. Sie sind nur zur Toleranz bereit.“
Herr Lorz, das Statement einer Expertin wie Karla Etschenberg sollte Ihnen zu denken geben! Denn Frau Etschenberg argumentiert stets auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse der Biologie und Entwicklungspsychologie. Sie vertritt weder die konservative einschränkende Sexualmoral irgendeiner religiösen Weltanschauung noch die progressive Ideologie des Genderismus. Kritik von seiten einer weltanschaulich so neutral argumentierenden Expertin sollten also einen Kultusminister zu der Größe bewegen, Fehler bei seinen eigenen Sexualkunde-Richtlinien einzugestehen.
Sehr gefährlich in den neuen Richtlinien für Sexualerziehung in Hessen ist außerdem noch ein Punkt: „kindliches Sexualverhalten – ich mag mich, ich mag dich“, für die Altersgruppe der 6- bis 10-jährigen.
Ist Ihnen bewusst, dass Sie damit Pädophilen ein Hintertürchen öffnen können?
Auch Karla Etschenberg wies darauf hin, dass „man gar nicht sicher sein kann, dass es etwas mit Sexualität zu tun hat“. Bei aller Kritik an Sie kann man davon ausgehen, dass Sie, Herr Lorz, Pädophilen NICHT die Hintertür offen halten wollen. Dann streichen Sie den Punkt mit dem kindlichen Sexualverhalten ersatzlos!
Und um eines klar zu stellen: Die Kritik richte ich an Sie gewiss nicht als Sprachrohr der „Demo für alle“. Wie bereits anfangs geschrieben: In einem der verlinkten Artikel können Sie sehr wohl lesen, dass ich mit vielen Forderungen der „Demo für alle“ nicht einverstanden bin. Ich selbst trete – wo immer ich meine persönliche Meinung äußere – auch für Akzeptanz und nicht nur für Toleranz von Homo-, Bi- und Transsexualität ein.
Als Baden-Württemberger erschrak ich selbst, als in unserem Bundesland die verbindliche Erweiterung des Sexualkundeunterrichts um LGBT-Themen Proteste auslöste.
Aber je differenzierter man sich mit der Debatte auseinander setzt, umso deutlicher wird: Die neuen Sexualkunde-Richtlinien in den verschiedenen Bundesländern – und auch in Ihrem Bundesland, Herr Lorz – weisen aus genannten Gründen in rechtlicher Hinsicht Mängel auf. Und auch wenn man – so wie ich – nicht allzu viel Sympathie für die „Demo für alle“ übrig hat, muss man einräumen:
Es ist notwendig, dass sich im Zuge der „Demo für Alle“ Eltern gegen diese Richtlinien wehren. Denn die besagten Mängel können so nicht stehen gelassen werden.
Natürlich ist es wichtig, dass auch über Homosexualität sachlich in der Schule gesprochen wird. Viel zu oft ertönen über den Pausenhof Schimpfwörter wie „schwule Sau“. Und nicht zu vergessen die nicht selten durch – nicht alle, aber viele – muslimische Schüler in die Schule importierte neue Form von Homophobie.
Das macht die – auch schulrechtlich legitime – Erziehung zu TOLERANZ umso notwendiger. Das ändert aber nichts daran, dass sich eine staatliche Schule an den rechtlichen Rahmen halten muss. Und dieser besagt eben deutlich, dass Erziehung zu AKZEPTANZ ein Eingriff in die Meinungsfreiheit der Schüler und ins elterliche Erziehungsrecht ist.
An einen solchen juristischen Rahmen von Verbindlichkeit muss sich die staatliche Schule halten. Denn wie soll der Bürger einem Staat noch trauen, der sich an seine eigenen Gesetze nicht mehr hält? Deshalb an Herr Lorz und auch die Kultusminister der meisten anderen Bundesländer:
Nehmen Sie entweder das Winterhoff-Gutachten zur Kenntnis und ändern entsprechend Ihre Bildungspläne! Klare Erziehung zu Toleranz, keine Vorgaben an die Schüler zur Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz!
Oder wenn Sie dieses Rechtsgutachten schon nicht als verbindlich erachten, dann belegen Sie wenigstens durch ein stichhaltiges juristisches Gegengutachten die Rechtmäßigkeit Ihrer Richtlinien!
Aber mit Ihrer Kritik-Resistenz muss ab heute – mit der zweiten „Demo für alle“ in Wiesbaden – Schluss sein!