Eine Wallfahrt nach Russland. Gastbeitrag von Eugen Abler
15 Tage pilgern für den Frieden, vom 28. Mai bis 11. Juni 2025, und damit beten für den Frieden war das erklärte Ziel einer international zusammengesetzten Gruppe bestehend aus überwiegend katholischen Christen, die sich auf den Weg nach Russland machten. 44 Personen waren der Einladung des katholischen Priesters Erich Maria Fink (Foto l. © Sceenshot yt), gebürtig in der Allgäugemeinde Gestratz, gefolgt, der vor 25 Jahren nach Beresniki an den Ural gegangen war, um dort eine Gemeinde, für die dort nach der Stalinzeit verbliebenen Katholiken, aufzubauen.
Die Pilger wollten mit ihrer Wallfahrt ein Zeichen setzen. Die Pilgergruppe setzte sich aus Österreichern, Schweizern, Deutschen und Spaniern zusammen, die sich aus der Überzeugung, dass nur das Gebet, nur Gott, die Kriegssituation zwischen Russland und der Ukraine entspannen und zum Frieden führen kann, auf den Weg an den Ural machten. Gleich zu Beginn begegnete uns ein Zitat des Philosophen Herodot: „Wenn Frieden ist, begraben Kinder ihre Väter, wenn Krieg ist, Väter ihre Kinder“.
Bedingt durch die europäischen Sanktionen war ein Direktflug von München nach Moskau nicht möglich. So gelangte die Pilgergruppe über Istanbul nach Moskau, wo man 2 Nächte im anlässlich der olympischen Sommerspiele 1980 gebauten und 1777 Zimmer umfassenden Cosmoshotel verbrachte.
Täglich wurde ein Heilige Messe gefeiert und ein Rosenkranz gebetet. Am Hochfest Christi Himmelfahrt wurde der Gottesdienst in der katholischen Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis in Moskau mit dem deutsch sprechenden Generalvikar gefeiert. Höhepunkte des Aufenthalts in der russischen Hauptstadt waren ein Gang über den Roten Platz vorbei am Kreml, dem Amtssitz des russischen Präsidenten Putin und eine Stadtrundfahrt, die einen ersten sehr guten Eindruck vermittelte. Eine besondere Begegnung mit der deutsch-russischen Geschichte hatten die Pilger beim Gottesdienst in der Kirche Sankt Ludwig, wo Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955 während den Verhandlungen mit den russischen Machthabern um die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen den Gottesdienst besuchte und betete. Die Gruppe besuchte mehrere russisch-orthodoxe Heiligtümer, die nach ihrer Zerstörung in der Stalinzeit oft wieder prachtvoll restauriert wurden und für die Geschichte Russlands von großer Bedeutung sind. Besonders beeindruckend war die Fülle an Ikonen, die in den orthodoxen Kirchen zu finden sind.
Mit dem Bus ging es Richtung Osten über Nischnij Nowgorod, circa eine Million Einwohner, nach Kasan, einer Stadt mit 1,3 Millionen Einwohnern, vorbei an unendlich scheinenden Birkenwäldern links und rechts guter Straßen, immer wieder unterbrochen von nur teilweise bewirtschafteten Wiesen und Äckern mit bester fruchtbarer Erde.
In Diwejewo besuchten wir das Grab des heiligen Seraphim von Sarow. An die Ausdehnungen mussten sich die Pilger erst gewöhnen. Oft blieb nur ein Staunen. In Kasan wurde die transsibirische Eisenbahn zu unserem Reisegefährt. In einer Nachtfahrt nach Perm, ebenfalls eine Million Einwohner, ging es vorbei an Wäldern, Dörfern mit den typisch-russisch kleinen Häusern mit häufig nur etwa 40 Quadratmetern, die als Lebensraum für eine Familie ausreichen müssen. Fast überall gehört ein kleiner Garten dazu, der bewirtschaftet wird und einen wichtigen Beitrag zur Selbstversorgung leistet. Der Schlaf fiel in dieser Nacht teilweise sehr kurz aus. Mit dem Bus besichtigten wir zunächst die Stadt, bevor es weiter nach Obwinsk ging, wo die Pilgergruppe am großen Pilgertag anlässlich der Erscheinung der Gottesmutter 1685 teilnahm. In Rebinina, der östlich gelegensten Pfarrei des europäischen Kontinents am Fuße des Urals, die von Pfarrer Fink betreut wird, übernachtete die Gruppe bei russischen Familien, was beide Seiten als große Bereicherung empfanden.
Der Autor dieser Zeilen und eine Reihe anderer Pilger wurden in die Geheimnisse eines Banja-Besuches, einer Dampfsauna, in Russland ein Kulturgut, eingeweiht, was uns und die Gastgeber schnell einander näherbrachte. Die Verständigung leistete ein Google-Übersetzer, sodass in unserem Falle eine passable Unterhaltung zustande kam. Vielfach wurde unserer Gruppe für ihren Mut gedankt, in dieser angespannten, schwierigen Zeit nach Russland zu kommen, um ein wertvolles Zeichen des Friedens zu setzen.
Auf der Fahrt ins ca. 170 Kilometer entfernte Beresniki, der Heimatpfarrei Pfarrer Finks besuchten wir ein Museum, das die Geschichte von Michael Romanow erzählt, der brutal zu Tode kam, bevor seine Familie eine 300 Jahre dauernde Herrschaft über Russland errichten konnten, die bis 1918 währte. Beresniki wurde 1932 als Industriestadt gegründet. Unter der Erde befinden sich große Kalisalzlager.
Im Museum des zweitgrößten Düngemittelherstellern der Welt mit 6,5 Millionen Jahresproduktion erhielten wir auf Nachfrage die Information, dass seit Inkrafttreten der europäischen Sanktionen gegen Russland die Anzahl der Exportländer von 69 auf 44 gesunken sei, aber mittlerweile der Eigenverbrauch in diesem Zeitraum von einem auf vierzig Prozent erhöht werden konnte, was sich auf die Produktion landwirtschaftlicher Güter positiv auswirken dürfte.
Unser Pfarrer, mit profundem Wissen zur Geschichte des Landes ausgestattet, konnte uns eine weitere Reaktion des russischen Staates zeigen. Eine Chemiefabrik am Fuße des Uralgebirges, die wir passierten, wurde in riesigem Umfang in diesen 3 Jahren erweitert und schon in Betrieb genommen. Die Holzindustrie hat dort eine große Bedeutung. Wir erfuhren, dass der Borkenkäfer dem Fichtenbestand erheblich zusetzt, auch für uns immer wieder sichtbar.
Auch in Beresniki waren wir für drei Tage Gast in russischen Familien. Eine Verwandte der Gastgeberin des Autors hatte ein Germanistikstudium absolviert, was eine sehr gute Konversation möglich machte. Wir konnten über die derzeitige Situation sprechen und feststellen, dass es viele Opfer in nächster Umgebung gab. In einer Gemeinde bei Perm, wo wir Gottesdienst feierten und zum Mittagessen eingeladen waren, sahen wir eine Wand auf der 55 gefallene Soldaten der Region zu sehen waren. Wir kamen an einem frisch angelegten Soldatenfriedhof vorbei, auf dem schätzungsweise mehrere tausende Soldaten, ihr Grab mit jeweils einer russischen Flagge geschmückt, ihre letzte Ruhe fanden.
Neben der pastoralen Arbeit hat Pfarrer Fink mehrere soziale Projekte ins Leben gerufen und aufgebaut. So finden Waisenkinder eine neue Heimat. Drogen- und Suchtabhängige werden einem halbjährigen intensiven Entziehungsprogramm unterzogen. Die Einrichtung nennt sich „Schule des Lebens“. Bis zu 22 Personen wurden schon gleichzeitig betreut.
Natürlich gibt es auch Rückschläge, aber die Erfolgsquote ist sehr beachtlich. Für die Personen, die eine erfolgreiche Entziehung hinter sich haben, gibt es mehrere Betätigungsmöglichkeiten. Auf einem Hof mit 146 Hektar und 39 Kühen sind 5 Personen beschäftigt, die uns voller Stolz von ihrer neuen Aufgabe berichteten und uns anschließend mit selbstgemachtem Kefir, Joghurt und verschiedenem Käse bewirteten. Auch im eben errichteten geistlichen Zentrum sind Personen beschäftigt, die sich von ihrer Abhängigkeit befreit haben. Am Pfingstsonntag wurde das 25-jährige Bestehen der Pfarrei gefeiert.
In den vielen anschließenden Grußworten wurde die überaus hohe Wertschätzung von Pfarrer Fink für sein leidenschaftliches Engagement in pastoraler und sozialer Sicht deutlich. Überrascht waren wir Pilger aus Deutschland von einer Ausstellung zur „Weißen Rose“, deren Vorstellung ein Doktorand übernommen hatte. Auch zur Situation der Russlanddeutschen gab es eine Ausstellung. Den Nachmittag rundete eine Tretbootfahrt auf einem See ab. Schließlich wurden ein Mitwallfahrer und meine Person in eine Altbauwohnung zum Abendessen eingeladen, das uns köstlich mundete. Dabei durfte das russische Nationalgericht „Borschtsch“ auf dem Tisch nicht fehlen. Wir konnten dabei eine Ahnung bekommen, wie die Lebensverhältnisse mehrerer Millionen Russen sind. Diese Tage empfanden beide Seiten als sehr bereichernd. Auf den rund 500 Kilometern nach Jekatrinenburg, einer Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern, machten wir Halt an der Grenze Europa-Asien. Eine Stadtbesichtigung in Jekatrinenburg hinterließ wie bei allen anderen Städten einen sehr sauberen, modernen Eindruck. Ein Besuch am Grab der ermordeten Zarenfamilie beendete unser unglaublich reichhaltiges Programm. In aller Frühe führte uns der Weg am nächsten Morgen zum Flughafen, zum Beginn eines langen Reisetages. Mit unfassbar vielen Eindrucken, großer Dankbarkeit und einem gewachsenen Verständnis für die Situation vor Ort und der Hoffnung einen Schritt zur Völkerverständigung getan zu haben, ging es wieder in die vertraute Heimat zurück.
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