Denkmale, besonders jene im Zentrum einer Hauptstadt, sollen den Idealzustand eines Landes oder einer Gesellschaft widerspiegeln. Gelegentlich werden sie aber zum ungewollten Offenbarungseid einer gescheiterten politischen Elite. Ein Gastbeitrag von Franz Steinkron.
Das alte Nationaldenkmal
Am 9. November 2007 beschloss der Bundestag, vor der Westseite des Berliner Schlosses, auf der ehemaligen Schlossfreiheit, ein neues National- und Einheitsdenkmal zu errichten. Eine Teilrekonstruktion des historischen Nationaldenkmals, das die DDR-Diktatur 1950 zusammen mit dem Schloss zerstört hatte, wurde kategorisch ausgeschlossen.
Dieser Entschluss stieß auf vielfache Kritik. Denn zumindest die Kolonnaden, die das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. säumten, bildeten einen wichtigen städtebaulichen Widerpart zur Schlossfassade. (Foto © Alfred Gotthold Meyer, Public domain, via Wikimedia Commons)
Außerdem hätten sie in rekonstruierter Form ein malerisches Pendant sowohl zur Pfeilerhalle von David Chipperfields James-Simon-Galerie am Neuen Museum als auch zu den Kolonnaden Friedrich August Stülers an der Alten Nationalgalerie gebildet.
„Bürger in Bewegung“
Stattdessen entschied sich die Politik für die Ausschreibung eines Wettbewerbs. Als dessen Sieger ging 2011 der Entwurf „Bürger in Bewegung“ des Stuttgarter Büros Milla und Partner hervor.
Er sieht eine begehbare Schale vor, die sich je nachdem, wie sich die Besucher auf ihr verteilen, nach der einen oder der anderen Seite neigt. Mehrere Politiker priesen dieses Projekt als Sinnbild einer lebendigen Demokratie – trotz, oder vielleicht auch gerade wegen seiner recht eingängigen (um nicht zu sagen simplen) Symbolik.
Will die Politik überhaupt noch den freien Bürger?
Indes ist das Projekt – wie so vieles in Berlin – längst ins Stocken geraten. Nach 14 Jahren verhindern technische Probleme noch immer die Aufstellung der Schale. Und die Kosten steigen – wie könnte es anders sein? – weiter. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die derzeit herrschende Klasse von der politischen Botschaft des Projekts überhaupt noch überzeugt ist.
Schon während des Corona-Regimes waren „Bürger in Bewegung“ unerwünscht. Vor allem aber definieren sich die Altparteien neuerdings allesamt als die „demokratische Mitte“. Wie aber soll eine Schale sich bewegen, wenn alle brav in der Mitte stehen?
Die „falsche Seite“ – eine Frage der Perspektive
Neuerdings schließlich gälte ein Ausschlag nach „rechts“ sogar als verfassungsfeindlich. Man müsste also eine Sperre einbauen, damit die Schale sich grundsätzlich nicht nach der „falschen Seite“ neigt.
Doch stellt sich dann ein neues Problem. Von Osten, also von der Schlossseite her betrachtet, liegt das, was offiziell als die „falsche Seite“ definiert wird, ganz woanders, als aus westlicher Perspektive. Damit steht das Denkmal letztlich nicht für die Einheit, sondern für die Uneinigkeit der Nation.
Wenn Politik den Bürger „verschaukelt“.
Im Volksmund wird die Schale längst als „Wippe“ und als „Schaukel“ verspottet. Vermutlich erfasst diese Bezeichnung die eigentliche Symbolik des Denkmals am besten: der Bürger wird verschaukelt; aus Sicht der neofeudalen Herrscherkaste ist er ohnehin nur ein Störfaktor.
Vielleicht wäre es am besten, den Bereich vor dem Schloss einfach freizulassen. Das Volk braucht keine Politiker, die es belehren, in welche Richtung es uns denken und zu gehen hat. Und mit dem Blick auf die historische Schlossarchitektur könnte es sich immerhin ein wenig über die schlechte Politik der Gegenwart hinwegtrösten.
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