Montag, 6. Januar 2025

Ein 80 Jahre alter Schwur – ein Panzerschrank des deutschen Patriotismus?

… unter dieser Frage steht im Folgenden die Betrachtung eines Schwurs aus der zweiten Juliwoche des Jahres 1944, des Schwurs von Claus Graf von Stauffenberg, des Hitler-Attentäters vom 20. Juli 1944. Es ist ein Schwur, der von ihm und auch von seinem inneren Zirkel am 10./11. Juli feierlich signiert wurde. Gastbeitrag von Dieter Gellhorn.

Dieser Schwur war auf dringenden Wunsch von Claus von Stauffenberg, von dem Schriftsteller und Germanistikprofessor Rudolf Fahrner und von Berthold von Stauffenberg, seinem Bruder, einem hervorragenden Juristen, in mehrwöchiger gemeinsamer Arbeit formuliert worden.

Die Stimme des Gewissens

Claus von Stauffenberg erachtete dessen Tradierung an die Nachwelt als kaum weniger wichtig als die Durchführung seines Attentats, von dessen Gelingen – wie besonders auch von dem des ihm folgenden Umsturzversuches – er im Vorhinein nur wenig überzeugt war. Es musste aber trotzdem so gehandelt werden, so hat er es in Gesprächen mit seinen Mitverschwörern im Juli 1944 mehrfach formuliert, weil man sonst ein Verräter an seinem Gewissen geworden wäre.

Obwohl das Attentat, das Claus von Stauffenberg am 20. Juli um 12 Uhr 42 bei einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier in Ostpreußen mit einer mit Sprengstoff gefüllten Aktentasche auf Hitler verübte, diesen nicht tötete, entwickelte sich Dank einer langen und ausgeklügelten Vorbereitung und Dank der Tat- und Entschlusskraft von Claus von Stauffenberg im Anschluss daran ein Putschversuch, dessen Erfolg bis in die Abendstunden des 20. Juli hinein möglich erschien.

Das Fortschreiten des Umsturzes konnte letztendlich nur durch die Ankündigung einer mitternächtlichen Radioansprache Hitlers gestoppt werden. Deutschlandweit kündete diese Ansprache dann aber nicht nur vom Misslingen, sondern auch vom Geschehen des Attentats.

Diese Tatsache allein wirkte wie ein Schock auf die mehrheitlich immer noch regimetreuen Hörer in der Heimat und darüber hinaus ebenso auch auf die in Frankreich und in Russland in harte Abwehrkämpfe verwickelten deutschen Truppen. Das Erkennen des Aufstehens eines gefährlichen Widerstandes im engsten Umkreis des Führers fungierte bei dieser Radioansprache – wie der Verfasser dieser Zeilen von seinem Vater hörte – zusätzlich zu den immer schlechter werdenden Kriegsnachrichten wie eine Erschütterung. Trotz aller staatlichen Propaganda war nun die immer übermächtiger werdende, äußere und eben auch innere Gegenwelt zur eigenen Führung plötzlich nahezu greifbar geworden.

Was aber besagt nun dieser Schwur, dessen Niederschrift dem (Atten)-Täter Claus von Stauffenberg so sehr wichtig war und dessen dort ausformulierte Überzeugungen von ihrer Tiefe her ihn wohl ganz besonders zu dieser Tat motivierten?

Stringente Wir-Gruppenbildung

Der Schwur der Verschwörer wurde in seiner vollen Länge von 191 Worten 1992 erstmals in Peter Hoffmanns Biografie „Claus von Stauffenberg und seine Brüder“ auf den Seiten 396 und 397 in Form einer Fotokopie veröffentlicht. Auf ihr sind noch die zuletzt von Claus von Stauffenberg vorgenommenen Korrekturen kenntlich.

Formal ist auffällig, dass hier achtmal ein Wir – herausgehoben durch eine ihm nachfolgende Pause – einem Folgesatz zugeordnet wurde. Es ging in diesem Schwur also klar erkennbar um eine stringente Wir-Gruppenbildung.

Vier der acht Wir-Sätze sollen im Folgenden in sinnwahrender Kürzung zitiert werden. Eine vollständige Analyse des Schwurs muss Fachhistorikern überlassen bleiben. In diesem Artikel soll nur ein erster Zugang versucht werden.

Der erste Wir-Satz lautet:

♦ „Wir glauben an die Zukunft der Deutschen.“

Welch ein Glaubensmut war hier aktiv, trotz der seit dem 6. Juli 44 täglich erfolgreicher werdenden alliierten Invasion in der Normandie!

Der dritte Wir-Satz lautet:

♦ „Wir bekennen im Geist und in der Tat, dass durch die Verschmelzung hellenischer und christlicher Ursprünge im germanischen Wesen das abendländische Menschentum
(erstand).“

Hier erscheint Kritik angebracht. Warum war Kaiser Wilhelms des II. unseliger Spruch, dass am deutschen Wesen die Welt genese, nicht längst ad acta gelegt?

Der fünfte Wir-Satz lautet:

♦ „Wir wollen ein Volk, das im Wirken in den gegebenen Lebenskreisen sein Glück und sein Genüge findet und in freiem Stolze die niederen Triebe des Neides und der Missgunst überwindet.“

Mit diesem Satz wurde einem antiquarischen Daseinsgefühl das Wort geredet, was zwar heute ein wenig hausbacken klingt, aber nichtsdestoweniger geeignet ist, einer Vielzahl von Menschen Halt zu geben.

Der sechste Wir-Satz lautet:

♦ „Wir wollen Führende, die aus allen Schichten des Volkes wachsend, verbunden den göttlichen Mächten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer den anderen vorausgehen.“

Vielleicht spricht sich hier am deutlichsten die Motivation Claus von Stauffenbergs für seinen Putschversuch aus. Es war doch wohl gerade der hohe Sinn, den er an Adolf Hitler vermisste, der nicht nur, wie er seit 1942 wusste, für millionenfachen Judenmord verantwortlich, sondern der schon 1934, beim sogenannten Röhm-Putsch, auch eigenhändig zum Mörder geworden war.

Unter einer heutigen Perspektive erscheinen die oben gegebenen vier Zitate dieses Schwurs in eine sehr rechte nationalkonservative Ecke zu gehören, vielleicht sogar in die identitäre.

Die AfD und Stauffenberg

Keine im bundesdeutschen Parlament vertretene Partei, auch nicht die AfD, würde so unbedenklich das deutsche Wesen zum alleinigen Geburtshelfer des abendländischen Menschentums aus hellenischen und christlichen Ursprüngen erklären, wie in diesem Schwur geschehen.

Dennoch ist zu erkennen, dass am ehesten noch die AfD, die für ihren bisweilen verzweifelt anmutenden Versuch bekannt ist, eine die deutsche Kultur erhalten wollende Politik zu betreiben, Berührungspunkte zu den obigen Auffassungen aufweist.

Um so mehr verwundert, dass Winfried Kretschmann, der amtierende Ministerpräsident von Baden-Württemberg, bei einer der letzten Jahresfeiern der Stauffenberg-Gesellschaft mit Vehemenz sagen zu müssen glaubte, dass gerade der AfD ein Traditionsbezug zu Claus von Stauffenberg zu bestreiten sei.

Widerstand aus konservativem Geist

Wenn auch in Form und Inhalt weitgehend aus den Fortschritten der Zeit gefallen, so bietet dieser Schwur des inneren Zirkels der Stauffenberggruppe aber doch eine auch für uns Heutige wichtige Erkenntnis: DER Widerstand gegen Hitler, der aufgrund seines relativen Erfolgs zu einer weltweit beachteten Tatsache wurde, war von konservativem Geist beseelt.

Außerdem war eines seiner Hauptanliegen, den Judenmord zu beenden, wie die Funde bereits vorbereiteter Regierungserklärungen der Verschwörer belegen. Auch für Claus von Stauffenberg hatte der systematische Judenmord, über den er im Mai 1942 ausführliche Berichte von Hans Heinrich Herwarth von Bittenfeld gehört hatte, zu einem der Hauptbeweggründe, sich dem Widerstand anzuschließen, geführt.

Schon Helmut Kohl hat 1984 in seiner Rede zum 40. Jahrestag des 20. Juli festgestellt, dass sich die der deutschen Ehre verpflichteten und damit auch rechtsstaatlichen Gesinnungen der Attentäter aus ihrem Patriotismus speisten.

Trotz der Patina der Formulierungen des Schwurs im Einzelnen wagt der Verfasser dieser Zeilen daher zu hoffen, dass dieser Schwur bei weitergehender Betrachtung doch noch zu einem Panzerschrank des deutschen Patriotismus wird.

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PP-Redaktion
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