Donnerstag, 28. März 2024

Politiker: Behaltet Eure Neujahrsansprachen

Gastbeitrag von Meinrad Müller

Werden wir wieder für dumm verkauft? Dieser Eindruck wird sich erhärten, sollten wir Zeit finden, uns diese hochherrschaftlichen Predigten anzuhören. Doch das Zuckerbrot in Form beschwichtigender Neujahrsansprachen steht im krassen Gegensatz zur Peitsche, die uns knechtet. Wir sollen eingelullt werden, damit wir stille halten und unsere finanziellen Nöte vergessen. Noch mal ein Jahr. Diese Neujahrsbotschaften, an sich eine gute Tradition, verfehlen jedoch ihre Wirkung. Sie werden zum Ärgernis.

Neujahrswünsche im privaten Bereich

Jedes Jahr das gleiche Ritual: Die erhaltenen Neujahrsgrußkarten werden auf dem Kaminsims zu Hause oder auf der Anrichte neben dem Büroschreibtisch aufgestellt. Sie sollen die große Anzahl der Freunde dokumentieren, die um unser Wohl besorgt sind und uns mit wohlgemeinten Wünschen überhäufen. Die 10, 20 oder mehr Neujahrskarten erinnern uns daran, wer uns auch dieses Mal Gutes wünschte. Besonders lieben wir zusätzliche handschriftliche Zeilen. Die Karten mögen wie ein geistiges Rosenspalier wirken, durch das wir etwas sicherer in das neue Jahr schreiten.

Ob allerdings die standardisierten aufgedruckten Wünsche für ein „Gutes Neues Jahr“ beim Empfänger die beabsichtigte Wirkung entfalten? Es sind einzig allein die individuell hinzugefügten Worte, welche die Verbindung zum Absender erneut mit Leben erfüllen. Die Macht des uns entgegengebrachten Wohlwollens berührt. Wir erleben ein kleines „Benedictus“, ein „gut (über uns) Reden“ auf persönlicher Ebene.

Ob der Wunsch, dass es jemandem im nächsten Jahr besser ergehen solle, sich auch erfüllt, das bleibt im Ungewissen. Die Absender sind sich ihrer Machtlosigkeit bewusst, dass ihre gut gemeinten Wünsche wohl konkret nichts ausrichten werden. Oder etwa doch? Sich im Bewusstsein zu wissen, dass Freunde uns nur das Allerbeste wünschen, kann uns helfen, die Lasten, die im kommenden Jahr auf uns zukommen, leichter  zu tragen. Wenn so viele Freunde in Gedanken bei uns sind, treten wir Neuem selbstbewusster entgegen, denn wahre Wünsche können Wunder wirken. Taschenbüchlein „Wenn wahre Wünsche Wunder wirken“:

 

Wer Wünsche ausspricht oder diese schriftlich mitteilt, „adelt“ sich auch selbst. Er tut anderen Gutes , auch wenn er das Gute für sich selbst nur schwerlich erreichen kann. Es fühlt sich einfach gut an, anderen Gutes zu tun, wenn auch nur in Gedanken.

Die Wünsche-Tradition weitertragen

Das neue Jahr „anwünschen“, so hieß es früher, verlangte das persönliche Erscheinen. Ohne sich zuvor per Telefon anzukündigen, wurden Verwandte, Freunde und Bekannte spontan besucht. Jene mit einem höheren „Rang“, wie z.B. Eltern, Großeltern, Geschwister zuerst, danach erst Onkel, Tanten, Neffen und Nichten. Die Zeitspanne bis Hl. Drei König (6. Januar) bot sich dafür an.

Dabei galt als ungeschriebenes Gesetz, dass die Jungen die Älteren zuerst beglückwünschten. Der Platz in der Verwandtschaftshierarchie gebot dies. Nicht der Onkel rief an oder besuchte den Neffen, sondern der Neffe ging zu seinem Onkel. Nicht der Vater rief bei den Kindern an, sondern die Pflicht der Kinder war es, sich entweder per Telefon zu melden – oder noch besser – ganz plötzlich und „überraschend“ zu erscheinen. Auf Vorrat gebackene Weihnachtsstollen lagen in der Speisekammer, so dass niemand in die Verlegenheit kam, die Überraschungsgäste nicht bewirten zu können.

„Zum Neuen Jahr wünsche ich Dir (bei Großeltern und älteren Verwandten hieß es „Euch“) alles erdenklich Gute, vor allem aber Gesundheit.“ Ob diese Wünsche nun ehrlich gemeint waren oder nicht, war nicht nachprüfbar, es „gehörte“ sich einfach. Wenn aber jemand die Neujahrswünsche vergessen hatte, blieb das lange Zeit in Erinnerung.

Gefahrlos wünschen

Das Schöne am Wünschen ist und bleibt, dass der Wünschende dies ohne Risiko tun kann. Er hat keinerlei Haftung, wenn sich seine Wünsche beim Empfänger nicht in der beabsichtigen Weise einstellen. Eine „Garantie“, dass das Gewünschte auch eintreten wird, gibt es nicht. Doch das Wünschen selbst führt zu positiven Emotionen. Wir wünschen insgeheim, dass sich die ausgedrückte Hoffnung auch erfüllt, was wir als angenehm wahrnehmen. Wer anderen „Frieden auf Erden“ wünscht, tut sicher nichts Verkehrtes. Doch schwingt etwas Bedauernswertes mit, da der Wünschende vermutlich nur im geringen Maße persönlich dazu beitragen kann.

Doch genau von diesen schalen Wünschen ohne Substanz wird diese Zeit geradezu überschwemmt. Eine Inflation missbrauchter Wunschfloskeln ergießt sich auf jeden Denkenden. Dass es dem Zuhörer politischer Neujahrsansprache dabei den Magen umdrehen mag, wird schamlos in Kauf genommen.

Lügen auf hohen Niveau

Die Neujahrsansprachen, die uns via Fernsehen erreichen und so nebenbei den Herstellern von Schlaftabletten großen Schaden zufügen, weil die Zuseher und -hörer bereits nach zwei Minuten einschlafen, haben es ihn sich. Das, was sich zehn hoch bezahlte Redenschreiber wochenlang  ausdachten, soll mit ernster Miene vorgetragen werden. Der Redetext liegt zur Dekoration auf dem Studiotisch, doch das Auge blickt angestrengt in den Teleprompter. Diese Glasscheibe vor der Kamera, die in großen Buchstaben die Ansprache zum Ablesen Zeile für Zeile anzeigt, soll dem Redner helfen. Tut sie aber meist nicht. Wir spüren die mangelnde Empathie und die fehlende persönliche Ernsthaftigkeit. Solche Ansprachen erreichen kaum den Verstand, schon gar nicht das Herz des Zuschauers.

Wer es bei über 20.000 Euro brutto Monatsgehalt nicht fertigbringt, eine fünf bis 15-minütige Ansprache frei vorzutragen, wer schlicht zu faul oder zu unfähig ist, sich diese kurze Rede einzuprägen, der wirkt unglaubwürdig. Millionen Bürger spüren dies, sind erneut enttäuscht und greifen zum Trost zum nächsten Schluck.

Doch die Sorgen der Menschen und der Wunsch nach einer „frohen Botschaft“ sind heute unüberhörbarer den je. Doch vom „Retter ist nah“, wie es noch vor wenigen Tagen zu Weihnachten hieß, fehlt jede Spur. Die persönlichen finanziellen Nöte, die gestiegenen Kosten, die Unsicherheit des Arbeitsplatzes und andere Unwägbarkeiten eines „diversen“ Alltags verlangen nach einer Hoffnung vermittelnden Neujahrsansprache. Wird eine Rede schon roboterhaft vorgetragen, dann wird in sie auch keine Hoffnung gesetzt – eher tritt das Gegenteil davon ein.

Wird etwa erwähnt, dass das mit den kälteren Wohnungen doch nicht so schlimm wäre, denn draußen sei es ja noch kälter, treibt dies die Menschen „auf die Palme“. Diese Palmen in natura zu sehen, darunter den weißen Sandstrand, ist für die meisten schon lange nicht mehr möglich. Das Einkommen zerrinnt zwischen den Fingern , wie der unerreichbare goldene Sand an fremden Gestaden.

Wünsche sollten Hoffnung spenden

Wünsche an sich sind vom Grunde her positiv besetzt. Wünsche lassen uns in Gedanken eine Zukunft erahnen, die uns motivieren sollte. Wie aber können wir Neujahrswünsche aus dem Munde derer ernst nehmen, die für den gegenwärtigen Zustand mitverantwortlich zeichnen? Sie spiegeln letztendlich die Ohnmacht ihrer politischen Kaste, die zu einer „Frohbotschaft“ schon mangels Kompetenz nicht fähig ist.

Behaltet Eure Neujahrswünsche, ihr reitet Euch selbst damit noch tiefer in den Graben.

Meinrad Müller
Meinrad Müllerhttps://www.amazon.de/-/e/B07SX8HQLK
Meinrad Müller (68), Unternehmer im Ruhestand, kommentiert mit einem zwinkernden Auge Themen der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik für Blogs in Deutschland. Seine humorvollen und satirischen Taschenbücher sind auf Amazon zu finden.

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