(David Berger) Schnell werden derzeit Helden und anerkannte Denker zu Gedankenverbrechern. Eine leichte Kritik an der Kriegstreiberei im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt reicht nun schon aus, selbst den Papst zum Ketzer bzw. „Putins Papst“ zu erklären.
Bislang war er der absolute Liebling v.a. der gleichgeschalteten Medien in Deutschland: Papst Franziskus. Doch das ändert sich derzeit schlagartig. Daniel Deckers, in der FAZ nie um plumpe Urteile zu Kirchenfragen verlegen, gibt ihm den Titel „Putins Papst“. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Putinist oder Putinversteher inzwischen alle anderen Totschlagbegriffe abgelöst hat: da sind „AfD-Sympathisanten“, „Covidioten“ oder „Nazis“ gar nichts mehr dagegen. Deckers dazu passend: „mit seinen jüngsten Einlassungen“ habe der Pontifex „jede moralische Autorität verspielt“.
Waffenstillstand statt Waffenlieferungen
Sein Vergehen: Papst Franziskus weigert sich seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs beharrlich an den Kriegstreibereien beider Seiten zu beteiligen. So setzte er am vergangenen Karfreitag ein großartiges Zeichen beim Kreuzweg im Kolosseum:
„Gegen den Widerstand der Kriegstreiber tat gestern der Papst das einzige, was der Stellvertreter Christi in der derzeitigen Situation tun kann: Bei der traditionellen Via Crucis rief er nicht zu Waffenlieferungen, sondern zum Waffenstillstand auf. Und auf seinen Wunsch hin trugen das Kreuz gemeinsam eine ukrainische und eine russische Krankenschwester.“ – schieb ich damals hier.
Am Ende der Generalaudienz am vergangenen Mittwoch dann ein ausdrückliches Gebet des Papstes, nicht für mehr Waffen für die Ukraine, sondern für den Frieden: „Ich vertraue dem Wirken der Jungfrau Maria und dem Gewissen der Politiker jeglichen Einsatz für Frieden an.“
„Die NATO hat Putin die Tür aufgebrochen“
Wer für den Krieg sei, sei verrückt und gewissenlos, denn für die Kriegsgeilheit der Mächtigen hätten immer die Unschuldigen zu bezahlen: „Ich denke an die vielen Grausamkeiten, die vielen Unschuldigen, die für den Wahnsinn, den Wahnsinn aller Parteien bezahlen müssen. Denn Krieg ist Wahnsinn“. Dabei wagte er es auch die verhängnisvolle Rolle der NATO an den Pranger zu stellen: „Die NATO hat Putin die Tür aufgebrochen.“ Und mit Blick auf die Waffenlieferungen: „Diejenigen, die sich durch Krieg und Waffenhandel bereichern, sind Kriminelle sind, weil sie die Menschheit töten.“
Der Papst gedachte zudem der Journalistin und Aktivistin Darya Dugina, der Tochter des nationalistischen russischen öffentlichen Schriftstellers und politischen Denkers Alexander Dugin, die kurz zuvor durch einen Terroranschlag ums Leben kam: „Ich denke auch an das arme Mädchen, das von einer Bombe getötet wurde. Die Unschuldigen zahlen für den Krieg“, erklärte er.
Am vergangenen Freitag ließ daraufhin die ukrainische Regierung, die vermutlich hinter dem Attentat auf die junge Frau steckt, den Papstbotschafter, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, einbestellen und zeigte sich entsetzt über diese Äußerungen des Papstes. Bereits „unmittelbar nach der Ansprache reagierte Andrij Jurasch, ukrainischer Botschafter beim Heiligen Stuhl, empört: Die Kriegsbefürworterin Dugina sei kein unschuldiges Opfer, sagte der Diplomat der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Rom. Zudem habe der Papst die Kriegsparteien Ukraine und Russland mit seinen Ausführungen auf eine Stufe gestellt. Das sei „nicht angemessen“.“ (Quelle)
Warten auf neue „Entgleisungen“ des Papstes
Das alles treibt auch die Wut des FAZ-Schreibers in Höhen, die man bisher nur von ihm kannte, wenn es gegen streng gläubige, an der Tradition festhaltende Katholiken ging: „Und nun befeuert Franziskus auch noch den russischen Opfermythos um den gewaltsamen Tod der kremlnahen Kriegshetzerin Dugina. Es wäre ein Wunder, wenn dies die letzte Entgleisung des Papstes bliebe. Seine moralische Autorität ist allerdings schon jetzt dahin.“
Solche Töne gegen den Papst von Deckers & Co sind zum einen verständlich, da Franziskus den gleichgeschalteten Katholiken in Deutschland und ihrem gescheiterten synodalen Weg ein klares „anathema sit“ hat zukommen lassen. Sie sind aber auch in Deutschlands Medien nichts Neues. Man mag es mir verzeihen, dass ich – als jemand der u.a. viele Jahre Kirchengeschichte studiert hat – spontan an den Hass denken musste, den etwa der „Stürmer“ gegen nicht gleichgeschaltete Katholiken oder Papst Pius XII., der sich weigerte Hitlers Kriege zu segnen, versprühte.
Aber was soll das Oberhaupt der Christen anderes tun, als zum Frieden aufzurufen und Gebet und Sühne als einzige zulässige, aber starke Waffen seinen Gläubigen ans Herz zu legen? Alles andere wäre ein Verrat an der Botschaft Jesu, durch den sein Stellvertreter jede moralische Autorität verlöre.
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