Verein Deutsche Sprache – Hexenjagd auf ein Neues

In dem Artikel „Aus Furcht vor der linken Hexenjagd Literaturpreis abgelehnt“ wurde geschildert wie der Verein Deutsche Sprache und insbesondere ihr Vorsitzender Prof. Walter Krämer in die Ecke der Unberührbaren gestellt wurden. Dieser Aufsatz analysiert die mehr oder weniger subtilen Mechanismen, die zu solch individuellen und kollektiven Entscheidungen führen, und welche Rolle die von „Journaktivisten“ gesteuerten Mainstream-Medien dabei spielen. Ein Gastbeitrag von Dr. Bernd Fischer

Auch wenn man als Publizist sehr gründlich und lang über ein gegebenes Thema nachgedacht hat, geschieht es immer wieder, dass sich nach der Veröffentlichung eines Beitrags immer noch neue Aspekte eröffnen. Wenn erst einmal die Gedankenmaschinerie richtig angelaufen ist, ist sie nicht so schnell wieder zu bremsen. Häufig werden solche Überlegungen auch durch Rückmeldungen von Lesern befeuert, und nicht selten resultiert daraus sogar die Neigung hier und da eine Änderung vorzunehmen oder eine Ergänzung nachzuschieben.

Allerdings wird der Gedanke an eine solche Nacharbeit dann doch zumeist fallen gelassen, da man mit etwas Abstand den Wert eines solchen Nachkartens doch als zu gering einschätzt. Nicht so in dem Fall meiner Stellungnahme zur Verweigerung der Annahme eines Preises des Vereins Deutsche Sprache (VDS) durch die bekannte Autorin Kirstin Boie, die unter dem Titel „Aus Furcht vor der linken Hexenjagd Literaturpreis abgelehnt“ auf dem Blog Philosophia Perennis erschienen ist. In diesem Artikel wurde die These vertreten, dass Frau Boie, die dem Vereinsvorsitzenden des VDS Aussaugen vorhielt, die sie als inakzeptabel rechtsradikal ansah, den von ihr abgelehnten Preis hätte annehmen und ihren Standpunkt öffentlich und sorgfältig hätte formulieren sollen. Zu diesem Aufsatz erreichten mich zum einen eine Vielzahl von Zuschriften, ferner wurde ich auf eine kurze aber aufschlussreiche von Andreas Platthaus verfasste Stellungnahme in der FAZ aufmerksam gemacht.

Eine selbstbestimmte Entscheidung?

Die allermeisten Kommentare zu meinem Artikel waren zustimmend. Eine der aufgeworfenen Fragen betraf jedoch die Angemessenheit der Überschrift, die übrigens nicht von mir stammte, sondern von dem Besitzer des Blogs. Einige Kommentatoren waren der Ansicht, dass die Überschrift nicht die Argumentation des Artikels und die von Frau Boie widerspiegelt. Auch mir kamen in der Tat anfangs Zweifel bzgl. des Wortlauts der Überschrift, ließ doch die Begründung von Frau Boie eher auf eine generelle Abneigung gegen den VDS schließen.

Allerdings entnahm man aus dem Artikel von Andreas Platthaus (FAZ Net vom 25.11.2020), dass Frau Boie den Preis zunächst angenommen und ihn dann erst „wenige Tage später“ abgelehnt habe. Angeblich habe sie in dieser Zeit über den VDS gegoogelt… Und so entwickelte sich allmählich eine Vorstellung davon, was in diesen „wenigen Tagen“ wohl alles auf Frau Boie eingeprasselt sein mag. Das Juste Milieu aus Gendersprechanhängern und politisch (sehr weit) links Stehenden hat wohl nicht davor zurückgescheut alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Frau Boie vor Augen zu führen, mit welchem Gottseibeiuns sie sich bei einer Preisannahme einließe. Ob sie wohl durch eigene Recherche auf die teilweise viele Jahre zurückliegenden Äußerungen des Vereinsvorsitzenden Prof. Walter Krämer gestoßen ist? Zu vermuten steht auch, dass dabei aus diesem Milieu auch Druck –in welcher Form auch immer— auf Frau Boie ausgeübt wurde. Auch ihr Verlag mag daran beteiligt gewesen sein, jedenfalls weist er jetzt wie zur Rechtfertigung darauf hin, dass Frau Boie nun nach der Preisverweigerung „Mails voller Hass und Verachtung“ bekäme. Vielleicht hat sie sich in den wenigen Tagen aber einfach nur ausgemalt, wie es von linker Seite hätte kommen können, wenn sie den Preis angenommen hätte. Auch dann wären ihr wohl „Mails voller Hass und Verachtung“ (allerdings von der „richtigen“ Seite) sicher gewesen.

Es steht jedenfalls zu vermuten, dass Frau Boie letztendlich einem wie auch immer gearteten Druck nachgegeben hat, und so besteht kein Anlass dafür die Überschrift zu widerrufen. Sie ist zugegebenermaßen spekulativ, und nur Frau Boie kann letztendlich Aufschluss über die Zusammenhänge geben, aber vielleicht nicht einmal sie, denn die Verschlingungen der Unfreiheit sind häufig schwer zu entwirren.

Über die Qualität der von Frau Boie angebrachten Argumentationspunkte (mehr als Punkte waren es ja nicht) wurde bereits in dem vorangegangenen Artikel Auskunft gegeben. Dies soll jetzt nicht wiederholt werden. Es ist aber erstaunlich, dass es in den Mainstreammedien, die sich ja so sehr über den Begriff „Lügenpresse“ echauffieren, paradoxerweise nicht eine einzige Stimme zu geben scheint, die den Schritt von Frau Boie kritisch hinterfragen würde! Die Qualität der meisten Artikel spricht allerdings für sich. Sie wurden wohl größtenteils von sog. „Journaktivisten“ (also Journalisten, die die Berichterstattung in unzulässiger Weise in den Dienst politischen Ansichten stellen) verfasst, sodass man ihnen keine allzu große Aufmerksamkeit widmen sollte. (Das mittlerweile erreichte allgemeine Niveau des Mainstream-Journalismus ist hier nicht das Thema.)

Platthaus, Boie und das Ja-Nein-Ich-Schwarz-Weiß-Spiel

Lediglich der Beitrag von Herrn Platthaus soll hier etwas näher betrachtet werden. Platthaus ist natürlich nicht mit den zuvor erwähnten „Journaktivisten“ zu vergleichen. Allerdings hinterlässt auch dieser Artikel einen bedenklichen Eindruck, da auch er den Standpunkt einnimmt von der Form der Kritik, nicht von dessen Inhalten zu handeln. So suggeriert er implizit, dass ein Verein, der die Schlagzeile „Schluss mit dem Gender-Unfug“ verwendet, und ein Vorsitzender der von „aktuellen Meinungsterror unserer weitgehend linksgestrickten Lügenpresse“ spricht, zurecht „gecancelt“ wird. Zitat: „…die Wortwahl knüpft im älteren wie im aktuellen Beispiel an die von Kreisen an, die sich mit den Stigmata von Unterdrückten (angesichts „Meinungsterrors“), Betrogenen (von der „Lügenpresse“) oder Manipulierten (durch „Volkserzieher“) schmücken wollen, obwohl sie sich selbst so ganz anders gebärden, nämlich lautstark, meinungssicher und selbstherrlich.“  Er verwendet also (etwas umständlich ausgedrückt in diesem von Schweißperlen förmlich überzogenen Satz) den oftmals erprobten Standardtrick um inhaltlichen Diskussionen auszuweichen, indem er den Spieß umdreht und denen, die Selbstherrlichkeit beklagen, Selbstherrlichkeit etc. vorwirft.

Man könnte allerdings die Dinge auch von einem gänzlich anderen Blickwinkel aus betrachten, indem man behauptet, dass sich in einer links-grün dominierten Medienwelt Konservative häufig nur noch Gehör verschaffen können, wenn Sie eine drastische Sprache verwenden, was dann allerdings dazu führt, dass sie gänzlich in die rechte Ecke abgeschoben werden. Man könnte ferner sagen, dass diese Methodik immer weiter verfeinert wurde bis zu einem Grad, an dem die verbleibenden Sprachinseln, von denen aus Gendersprache, die linksorientierte Presse etc. vernehmbar kritisiert werden „dürfen“ (also ohne, dass ihn de facto der gesellschaftliche Bannstrahl trifft), immer kleiner werden. In der Causa Boie liegt ein perfektes Beispiel für diesen Vorgang der Beraubung von Sprache und die Unterbindung von inhaltlicher Diskussion vor.

Man fühlt sich an die Kurzgeschichte von Ephraim Kishon erinnert, in der er das Ja-Nein-Ich-Weiß-Schwarz-Spiel beschreibt. Gewinner dieses Spiels ist, wem es gelingt diese Wörter im Spielverlauf dauerhaft zu vermeiden. Das Spiel, das hier vom (links gerichteten) Juste Milieu betrieben wird, folgt einem ähnlichen Prinzip, nur dass im Zeitablauf zusätzlich die Verbotsliste immer länger wird. Mittlerweile ist man schon so weit vorangeschritten, dass man bereits für die Verwendung des Begriffs „Gender-Unfug“ auf eine schwarze Liste und somit für die Vergabe von annehmbaren Preisen nicht mehr in Frage kommt! Wo soll es enden? Es steht zu befürchten, dass es irgendwann unmöglich sein wird, irgendeine sinnvoll geartete kritische Diskussion zu führen, da einfach keine geeigneten Begriffe mehr zur Verfügung stehen! Allzu weit scheinen wir von diesem Punkt nicht mehr entfernt zu sein. Ebenso wie Frau Boie vermeidet ja auch Herr Platthaus auf einer inhaltlichen Ebene über die Gendersprache und den wohl unbestreitbaren Linksruck in den Standardmedien zu sprechen (die erwähnten „Journaktivisten“ tun dies ohnehin nicht).

Zum Stichwort „Gender-Sprache“ sollte man Herrn Platthaus (und Frau Boie) allerdings einmal den Artikel „Warum korrekte Grammatik keine Gendersternchen braucht“ von Prof. Peter Eisenberg ins Gedächtnis rufen, der am 23.10. in seinem FAZ-Feuilleton erschienen ist. Wäre für diesen Artikel nicht auch eine Überschrift „Gender-Unfug unnötig!“ sehr passend gewesen?

Der Ansatz jedenfalls, seine Kritik auf einer rein formalen Ebene formulieren zu wollen, beinhaltet einen Trugschluss! Wer bereits jemanden, der einen Begriff wie „Gender-Unsinn“ verwendet, einer gesellschaftlichen Ächtung aussetzt, indem er zugesteht, dass man aufgrund der Verwendung dieses Begriffs (unter anderen) von ihm keine Preise annehmen könne, der agiert eben nicht mehr auf einer rein formalen Ebene, der trägt vielmehr dazu bei, dass Fundamentalkritik per se an der Gendersprache zunehmend geächtet wird! Mit anderen Worten: Der macht auch seine Hände schmutzig, da er zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt, und da helfen auch einschränkende Formulierungen wie „ob man seine generelle Kritik teilt oder nicht“ nichts mehr. Platthaus entledigt sich jedenfalls seiner undankbaren Aufgabe routiniert; sich zu dieser Causa zu äußern ohne sich dabei beim Juste Milieu verdächtig zu machen (mittlerweile ist dies ja beim FAZ-Feuilleton das einzig erkennbare Leitthema)­. Der gönnerhaften Bemerkung „Darüber nachzudenken, bietet Kirsten Boies Preisverzicht guten Anlass.“ an die Adresse des VDS hätte es da schon nicht mehr bedurft. Jemanden, der ohnehin auf dem Boden liegt, verpasst man nicht noch einen Tritt! (Das „darüber“ bezieht sich übrigens auf den oben zitierten Platthaus‘schen Bandwurmsatz mit den vielen Einschüben.)

Frei—wirklich frei?

Der Begriff „Lügenpresse“ wurde bereits im ersten Artikel behandelt. Dieser Terminus greift, wie dort bereits ausgeführt, zu kurz. Die aktuelle Kommentierung des hier behandelten Falles zeigt aber auf, wie sehr Journalismus in den Mainstream-Medien im Zeichen des politischen Aktivismus (natürlich des von der richtigen Seite!) steht.

Dabei handelt es sich aber eben in der Regel nicht um plumpe Lügen im Sinne eine gesteuerten Propaganda, wie es der Begriff „Lügenpresse“ suggerieren könnte (auf dieser Ebene will die woke community gerne den Sachverhalt beschränken, da man ihn dann leicht abstreiten könnte), sondern doch wohl häufiger um subtile Zwänge, die einen — vergleichbar einer  Nadel im Magnetfeld —zu einer bestimmten Ausrichtung eines Artikels bringen (und beispielsweise so tun lassen, als müsse man Gender-Sprache unbedingt ernst nehmen).

Würde man trotz dieser mildernden Umstände gewährenden Zwänge aber nicht letztendlich doch von Unwahrheiten (um den Begriff Lüge zu vermeiden) sprechen können? Wie steht es denn im FAZ-Feuilleton mit dieser Freiheit, also in einer Redaktion, die u.a. mit Patrick Bahners über jemanden von der Top-10-Liste „Wunderbare Menschen, denen man einfach folgen muss“ des wohl reinsten linken politischen Sittenpredigers und Twittergurus unserer Zeit, Igor Levit, verfügt?

Nicht nur Frau Boie, auch Herr Platthaus mag sich also hinterfragen, ob nicht auch er solchen mehr oder weniger subtilen Zwängen unterliegt; vielleicht sogar subtil genug, um die Überzeugung nicht erschüttern zu können, ganz ungehindert und aus freien Stücken schreiben. Ebenso wie Frau Boie ist wohl letztendlich doch auch er ein Gefangener dieses außer Kontrolle geratenen Ja-Nein-Ich-Schwarz-Weiß-Spieles.

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Zum Autor: Dr. Bernd Fischer hat viele Jahre in leitenden Positionen in der Finanzindustrie gearbeitet. Er ist ausgebildeter Physiker und promovierter Mathematiker.

Seit ca. einem Jahr auch freiberuflicher Schriftsteller.

Mehr von ihm finden Sie auf seinem Blog www.philippicae.de.

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