(PP-Redaktion) Vom Literaturwissenschaftler Hans Mayer stammt das Wort: „Wer den ‚Zionismus‘ angreift, aber beileibe nichts gegen die ‚Juden‘ sagen möchte, macht sich und anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat“. Das sehen allerdings nicht alle so, die sich mit dem Zionismus auseinandersetzen. Allen voran jene nicht, die sich als geistige Vordenker der „Neuen Rechten“ (somit auch des AfD-Milieus) verstehen und von nicht wenigen Kadern der Partei auch so wahrgenommen werden. Sie, die Gralshüter des „wahren, guten und schönen Rechten“ – also der reinen Lehre – gleiten bei der Bewertung des „Judenstaats“ nicht selten bis in den offen zelebrierten Antizionismus ab. Ein Gastbeitrag von Dr. Dr. Marcus Ermler.
So auch der ehemalige Linke Jürgen Elsässer und sein Compact-Magazin. Die Antisemitismusforscher Marc Grimm und Bodo Kahmann bezeichnen Elsässers Postille in ihrer Publikation „AfD und Judenbild“ als „publizistisches Flaggschiff des antisemitisch grundierten Israelhasses“ in Deutschland. Kein Wunder also, dass der Verfassungsschutz Mitte März 2020 das Compact-Magazin als einen „Verdachtsfall“ einstufte.
Besser ist es Björn Höckes Spiritus Rector Götz Kubitschek und dessen Theorieblatt Sezession allerdings auch nicht ergangen. Am 24. April 2020 erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“, dessen Verlag Antaios die Sezession vertreibt, zum „Verdachtsfall“, so ein Bericht des SPIEGEL. Doch ist auch die Sezession – wie das Compact-Magazin – ein „publizistisches Flaggschiff des antisemitisch grundierten Israelhasses“?
Israel durch Krieg und Schlimmeres konstituiert
Was zunächst überraschen mag: Bei der konkreten Darstellung Israels konvergiert die Sezession interessanterweise mit dem Framing progressiver Anti-Israel-Bewegungen. Im Mittelpunkt dabei immer wieder Sezession-Autor Martin Lichtmesz. Dieser stuft in seinem Artikel „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ vom 30. Januar 2020 den Staat Israel als einen verspäteten „Siedler- und Kolonialstaat“ ein, der „auf der stupenden Idee beruht, ein vertriebenes Volk habe nach zwei Jahrtausenden ein Recht auf Rückkehr“. Was man überdies, so der Autor weiter, „den 1948ff vertriebenen Palästinensern kategorisch verweigert“. Die altbekannte antizionistische Schauergeschichte vom Juden als Dieb des palästinensischen Landes.
Und schließlich: „Dieser ‚identitäre‘ Staat wurde in einem Raum gegründet, der allen Hasbara-Mythen zum Trotz, die sich in den Köpfen vieler hiesiger Israelfans festgesetzt haben, blöderweise bereits besiedelt war. Er konnte sich nur durch Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische Säuberung konstituieren […] Ohne diese militärische Kontrolle über den Gazastreifen und das Westjordanland könnte Israel nicht existieren. Die dort lebenden Palästinenser besitzen ‚keine Bürgerrechte und kein demokratisches Mitbestimmungsrecht über ihre Zukunft‘ (Pappe) – von der Gewalt, der Unterdrückung, den Schikanen und Massakern, denen sie seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, ganz zu schweigen. Das relativiert das Bild der ‚einzigen Demokratie im Nahen Osten‘ doch erheblich.“
In seinem Text „Notizen über Israel (2): Die Versprechen des Daniel Pipes“ vom 18. Februar 2020 verbindet Lichtmesz die bereits eben angeklungene antizionistische Etikettierung vom Juden als Dieb des bereits von Palästinensern „besiedelten Gebietes“ mit dem vermeintlichen Mythos der einzigen Demokratie im Nahen Osten, die in ihrer Wirklichkeit als „ethnischer Siedler- und Kolonialstaat“ doch gar keine sei, um daraus zu schließen, dass die Juden doch selbst Schuld sind an ihren Problemen:
„Israels Sache sei nicht bloß, dem jüdischen Volk eine nationale Heimstatt zu schaffen, sondern Israel sei ein Vorposten der ‚westlichen Zivilisation‘, der ‚Demokratie und Menschenrechte‘, im Kampf gegen den ‚Islamismus‘ und so weiter. Wie ich bereits darstelle, muß dies als Mythos zurückgewiesen werden. Israels innen- wie außenpolitische Probleme sind das Resultat seiner Gründung als ethnischer Siedler- und Kolonialstaat auf besiedeltem Gebiet“
Narrative israelfeindlicher Kampagne
Was sich hierin zeigt, sind gängige Narrative der israelfeindlichen BDS-Kampagne (BDS steht für Boycott, Divestment and Sanctions) von einer Demokratie, die in Wirklichkeit doch gar keine sei, oder von „Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische[r] Säuberung“ gegen „die dort lebenden Palästinenser“. Erzählungen, die sonst sorgsam von linken Israelhassern gepflegt werden, wie ich es unlängst in meinem Achgut.com-Artikel „Anti-Israel-Forschung, finanziert vom Auswärtigen Amt“ aufgezeigt habe. Man erkennt also im Grunde ein rechtes Duplikat linken Antizionismus.
Bereits 2010 hat Lichtmesz sich übrigens ähnlich in einem Leserbrief bei einem der Wissenschaftsblogs des Verlages „Spektrum der Wissenschaft“ positioniert. Dabei mahnte er eine vermeintliche „Ghettoisierung“ der Palästinenser an und sprach in der Folge sein „Unbehagen“ gegenüber dem „Gebilde“ Israel „wegen der Erfahrung Hitler“ aus:
„Angesichts bestimmter Maßnahmen Israels (Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, Tötung von Zivilisten, Mauerbau, Ghettoisierung, etc.) und so manchen unverblümten Kriegs- und Vertreibungsphantasien, die ich aus dem Munde rechtsgerichteter Israelis gehört habe, empfinde ich alles andere als ‚Neid‘ auf so viel nationales Selbstbewusstsein, sondern eher ein profundes Unbehagen und einen Grusel angesichts solcher Hybris, und das, Überraschung, exakt wegen der Erfahrung Hitler und der nationalistischen Exzesse in Deutschland. Israel ist in meinen Augen in seinem jetzigen Zustand ein absolut prekäres und problematisches Gebilde“
Kolonialismus mit „massiven Schurkereien“
Ein weiteres und ebenso beliebtes antizionistische Narrativ ist jenes, dass von Israel und den Juden ein besonders „menschenrechtliches“ Verhalten als „Lehre aus dem Holocaust“ erwartet. Was bei Lichtmesz in seinem Beitrag „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ dann so klingt, dass „ein Land mit westlichen Ansprüchen“ wie Israel es „sich auch gefallen lassen [muss], mit westlichen Maßstäben gemessen zu werden“. Doch Israels „Politik in den besetzen Gebieten“ stelle „die Tatsachen geradezu auf den Kopf“, so habe die „Geschichte des Kolonialismus immer wieder den Vorwand zu massiven Schurkereien geliefert, von denen auch Israel nicht freigesprochen werden kann“.
Auch in der „Zionismus-Kritik“ der Sezession spiegelt sich in Bezug auf Israel ein vertrautes antizionistisches Weltbild der Linken wider: Das vom Juden, der seine Opferrolle selbst und zu seinem eigenen Vorteil konstruiert. So schreibt Benedikt Kaiser in seiner Rezension „Mythos Israel“ aus Juni 2016 über Ilan Pappes „Die Idee Israel – Mythen des Zionismus“ dem Werk eine „kluge Zionismuskritik“ zu, in der das „identitätsstiftende Narrativ von den sich selbst schützenden Israelis gegen eine von Anfang an feindliche Umgebung […] vor allem dem Schließen der eigenen Reihen und der Setzung selektiver Geschichtsschreibung dient“.
Dies „mit dem ehernen Gründungsmythos und weiteren fundamentalen Legenden des Zionismus nicht viel gemein“. Und weiter konstatiert Kaiser, im Geiste von Verschwörungstheorien, dass der Staat Israel sich für den Erhalt seines Gründungsmythos eigene „islamische Dämonen“ baue:
„Zu guter Letzt kann mit Pappe auch die derzeitige israelische Aggression gegen das säkulare Syrien begründet werden: Die direkte Stärkung neofundamentalistischer Terrorgruppen wie der Al-Qaida-Filiale ‚Nusra-Front‘ sorgt dafür, dass aus dem Staatszerfall Syriens ein neuer ‚islamischer Dämon‘ (Pappe) hervorgeht. So könne Israel auch zukünftig einen weiteren liebgewonnenen Mythos pflegen: Jenen von Israel als ‚Hort der Stabilität‘ inmitten arabisch-muslimischer Barbarei.“
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