Warum in Israel die Phraseologie der Betroffenheit über den Anschlag auf die Synagoge in Halle nicht überzeugt. Ein Gastbeitrag von Josef Hueber
“Wir sind froh um jede Synagoge” (A. Merkel, Bundeskanzlerin, 2019)
“Wer es zulässt, oder noch dazu einlädt, dass sich religiös fanatische Antisemiten im Herzen Europas etablieren und ausbreiten, hat jeden Anspruch verwirkt, sich ehrlich im Schutz unserer jüdischen Mitbürger zu engagieren“ (Gerald Grosz)
Das Verbrechen von Halle am diesjährigen Hochfest der Juden, Yom Kippur, löste zwar – wie nicht anders zu erwarten – Betroffenheit aus. Doch bezweifelt man in Israel die Aufrichtigkeit der Beileidsbekundungen, da es unübersehbare, widersprüchliche Signale gibt, die Anlass zu diesen Zweifeln geben.
Tote Juden sind die besseren Juden
Die Deutschen sind mit Vorliebe stolz auf das, was sie für die toten Juden tun. Da geht schon mal der jetzige Außenminister unter Merkel soweit, seine Motive für den Weg in die Politik an Ausschwitz festzumachen. Der Holocaust habe ihn in die Politik gedrängt. Halleluja!
Zur Feier der fünfjährigen Eröffnung des Berliner Holocaust-Denkmals wusste der Historiker Eberhard Jäckel: „Es gibt Völker, die uns um das Mahnmal beneiden.“
Wenn man es auf jüdischer Seite nicht so ernst nimmt mit deutscher Reue und deutschem Versöhnungswillen, dann wohl nur deswegen, weil man für die lebenden Juden gedämpfte Empathie zeigt. Zum Beispiel dann, wenn es um die Solidarität mit Israel in den Vereinten Nationen geht. Da macht man anscheinend den scheinbaren Unterschied zwischen Juden und Israel.
Henryk Broder veranstaltete für diesen Widerspruch zwischen pathetischem Getue nach außen und versteckter Gesinnung eine einprägsame Manifestation. Er stellte sich bei der Gedenkfeier zum Berliner Holocaust-Denkmal unter eine dem Original nachgebaute Pappstele und ging in der Nähe der Veranstaltung clownesk auf und ab. Dies konnte sich nur ein Jude leisten, jeder andere wäre wohl schnell von der Polizei entfernt und höchst richterlich wegen antisemitischer Hetze verurteilt worden.
Die Reaktion der ‚Gerechten unter den Parteien‘ auf das geplante Massaker
Die versuchte Ermordung von Juden in der Synagoge von Halle am diesjährigen Festtag Yom Kippur (genau der Feiertag, an dem die arabischen Nachbarn vom 6. bis zum 25. Oktober 1973 einen kriegerischen Überfall auf Israel unternahmen) hat, wie dies nach politisch „relevanten“ Verbrechen von offizieller Seite üblich ist, die bekannte Phraseologie, die Leerformeln der äußersten Betroffenheit hervorgerufen. Man kennt das wie die Beileidsbekundungen am Friedhof. Es sind Pflichtübungen, deren Ausführung reine Formalität sind und nur in seltenen Fällen aus einem ehrlichen Herzen kommen. Die Überschriften der Zeitungen waren voll von solchen Bekundungen des Erschüttertseins, die politische „Elite“ in den Variationen ihrer Äußerungen zitierend.
Die gerechten und die scheinheiligen Trauernden
Allerdings wurde e i n trauernder Gast unter ihnen in Politik und Medien vom Recht auf Äußerungen der Betroffenheit ausgeschlossen. Denn man war sich unter den ‚Gerechten der Altparteien‘ einig, ihn als den Mitverantwortlichen (wenn nicht sogar den Hauptverantwortlichen) an dieser antisemitischen Verbrechensplanung erkannt zu haben. Dass Juden, also die potentiellen Opfer solcher Wahnsinnstaten, freiwillig in seinen Reihen sind, ignorierte man selbstgerecht.
Der Sündenbock – ein missbrauchtes Symbol
Dies hat natürlich Vorteile. Der Sündenbock in der jüdischen Tradition hatte die Funktion, mit der Schuld der Menschen beladen zu werden und sie so davon zu befreien. Dies setzt(e) aber das Eingeständnis der eigenen Schuld voraus. Dafür steht Yom Kippur, wo sich die Menschen einen Tag lang in der Synagoge treffen und ihre Schuld bekennen.
Der moderne (politische) Sündenbock zeichnet sich dadurch aus, dass man die eigene, belastende Schuld nicht eingesteht, sondern sie verschweigt oder leugnet und stattdessen auf andere ablädt. Das Leugnen oder Zurechtbiegen von Wahrheit ist dabei die gängige und bewährte Methode.
Dass dies nach dem versuchten Mordversuch an den Juden in der Synagoge in Halle der Fall war, erfuhr man freilich nicht aus kritischen Kommentaren in den öffentlich-rechtlichen Medien. Im Gegenteil: Sie hatten, reflexartig, die „richtigen“ Erklärungen , im Einklang mit der politischen Elite, auf dem Präsentierteller.
Israel „thinks different“
Ein Blick nach Israel und die dortige Kommentierung des Geschehens eröffnet Perspektiven, die für die PC-Anhänger bei uns zwar störend, aber für den klaren Blick dennoch unverzichtbar sind.
Ruthie Blum schreibt in der Jerusalem Post einen vernichtenden Kommentar zu dem Verbrechen in Halle, den man den politisch korrekten Trauergästen um die Ohren schlagen sollte. Er trägt den Titel „Right from wrong – Merkel’s shameless deflection“ (Wie Merkel die Wahrheit schamlos verbiegt). (Übersetzungen vom Author)
Die 2 Kategorien von Antisemiten
Blum registriert zunächst befremdet, wie man selbst in Israel in den [linken] Medien hervorhebt, dass der Verbrecher von Halle „ein gebürtiger Deutscher, kein Immigrant“ ist. Er sei also nicht Teil der „ Flut muslimischer Migranten […], die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Land begrüßt hat.“ Dieser Feststellung liegt, laut Blum, ein „umgekehrter Rassismus“ zugrunde. Es ist nämlich der Versuch, eine „politische und damit moralische Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Formen des Judenhasses zu treffen.“ Ziel ist es, „ die Diskussion in eine bestimmte Richtung zu lenken“ – die des „gefährlichen Aufstiegs rechter Politiker in Europa und Amerika, wie des ungarischen Viktor Orban und des US-Präsidenten Donald Trump – und die Schuld für den Antisemitismus direkt auf ihre Schultern zu laden.“ Einher geht damit die [bekannte] beschwichtigende „Schuldverringerung“ für die Judenmörder des Dschihadismus qua „psychischer Erkrankung“.
Wozu führte dieses Narrativ? „So nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel […] an einer Mahnwache in der Neuen Synagoge Berlins für die Opfer des Angriffs auf die Synagoge in Halle teil, organisiert von Sawsan Chebli, einer politischen Repräsentantin palästinensischer Herkunft.“
Merkel konstatierte (laut Zitat JPost): „Mein Ziel und das aller Politiker ist es, alles zu tun, damit Sie sicher leben können. Und dieser Tag zeigt, dass es nicht genug war, dass wir mehr tun müssen.“#
Ausgrenzung a l l e r Antisemiten?
Blum konstatiert unmissverständlich: „Nazis sind legitime Ziele der gesellschaftlichen Verachtung.“ Dies sei einhellige Meinung und kategorisiere sie „automatisch als Mitglieder eines ausgegrenzten Randsektors der deutschen Gesellschaft.“ Er fragt, ob Merkel dasselbe über die „antisemitischen Antisemiten aus Nahost in ihrer Mitte“ vertreten würde? Seine Antwort: „Wohl kaum.“
Blum frage sich zudem, „wie Merkel die in israelischen Flaggen gehüllten Teilnehmer der Mahnwache“ wahrnahm. Aber auch, wie diese auf Merkel reagierten, da sie es ablehnte, die Äußerung des Kommandanten des islamischen Revolutionsgardenkorps, General Hossein Salami, über die „Notwendigkeit […], das finstere zionistische Regime von der Landkarte zu tilgen“ als “anti-israelische Rhetorik“ zurückzuweisen.
Merkels „murmelt“ das Existenzrecht Israels
Den Kontext einer adäquaten Beurteilung macht Blum klar: „Merkels schwache Reaktion – das leise Gemurmel über das Existenzrecht Israels – ist im Rahmen ihrer Gesamtpolitik gegenüber dem Iran nahe liegend.“ Merkel wolle „unbedingt den Atomvertrag 2015 mit den Mullahs in Teheran und die damit verbundenen Handelsbeziehungen beibehalten.“
Germany first.