Die Ermittlungen zu dem Fall Niklas P., der vor drei Jahren in Bad Godesberg brutal totgeschlagen wurde, sind jetzt eingestellt worden, weil viele Zeugen schweigen und sich keinem der Verdächtigen die Tat eindeutig nachweisen lässt. Ein Kommentar von Jürgen Fritz
Gestern waren es genau drei Jahre. Zusammen mit zwei Freunden ist der 17-jährige Schüler Niklas P. nach einem Konzertbesuch von Rhein in Flammen auf dem Nachhauseweg. Da werden sie in Bonn-Bad Godesberg von drei jungen Männern angegriffen. Niklas erhält einen Schlag an die Schläfe, der ihn augenblicklich zu Boden gehen lässt. Nun folgen Fußtritte teilweise mit voller Wucht, auch an den Kopf.
Sechs Tage später erliegt Niklas seinen Verletzungen. Doch derjenige, der ihm den tödlichen Schlag verpasste, läuft noch immer frei herum und begeht, so ist zu vermuten, weitere Straftaten. Die Ermittlungen wurden jetzt eingestellt, weil viele Zeugen schweigen und sich keinem der Verdächtigen die Tat eindeutig nachweisen lässt.
Verfahren eingestellt
„Der Täter konnte nicht ermittelt werden, da das gesamte Umfeld eisern schweigt“, sagte der Bonner Oberstaatsanwalt Robin Faßbender auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass viele Leute wissen, wer das getan hat, aber keiner erzählt es uns“, so Faßbender weiter. „Wir sind in diesem Fall aber auf die Aussagen von Zeugen angewiesen.“ Sollte sich eines Tages doch noch jemand dazu durchringen, sein Schweigen zu brechen, würden die Ermittlungen wieder aufgenommen.
„Für die Familie ist das extrem schmerzhaft. Es ist quasi der Jahrestag. Ungünstiger konnte der Zeitpunkt nicht sein“, sagte Dr. Wolfgang Picken (51), Pfarrer und Stadtdechant von Bonn, der die Familie seit dem schrecklichen Vorfall betreut. „Schlimm vor allem, dass die Familie von der Einstellung aus den Medien erfährt und mit keiner Silbe persönlich unterrichtetet wird. In meinen Augen ist das mehr als unsensibel.“
Doch wie genau kam Niklas P. ums Leben? Wieso starb er mit nur 17 Jahren?
Niklas wurde totgeschlagen
Der Schüler besuchte am 6. Mai 2016 ein Konzert von Rhein in Flammen. Auf dem Nachhauseweg wurden er und sein männlicher 18-jähriger Freund in Bad Godesberg (Bonn) zunächst von drei Männern angesprochen, wovon zwei, so die Vermutung von Zeugen, einen Migrationshintergrund haben (dunkle Haut). Niklas wurde aus der Gruppe der Angreifer zunächst verbal provoziert, es kam zu einem kurzen Wortgefecht, dann verpasste ihm einer der drei, der Haupttäter, mit der Hand einen Hieb gegen die Schläfe.
Niklas fiel augenblicklich zu Boden und blieb reglos liegen. Es erfolgten Tritte gegen den am Boden Liegenden, auch an den Kopf. Als ihm sein Freund und die Freundin zur Hilfe eilen wollten, wurden sie von einem der anderen Täter geschlagen. Schließlich kehrte der Haupttäter zurück zu Niklas und trat ihm nochmals mit voller Wucht gegen den Kopf. Erst als weitere Personen zur Hilfe kamen, ließen die drei Angreifer von ihren Opfern ab. Niklas konnte zunächst von einem Notarzt reanimiert werden, erholte sich jedoch nicht mehr und starb sechs Tage später, am 12. Mail 2016, in der Bonner Uni-Klinik.
Fahndungsplakat in arabischer und türkischer Sprache
Nach der Tat leitete die Polizei eine intensive Fahndung ein. Mit einer Flugblattaktion in Bad Godesberg wurde nach Zeugen gesucht. Für die Ergreifung der Täter setzte die Staatsanwaltschaft eine Belohnung von 3.000 Euro aus. Das Fahndungsplakat wurde auch in arabischer und türkischer Sprache verteilt. Zeugen beschrieben, dass die Angreifer einen Migrationshintergrund haben könnten. Mehrere Zeugen gaben an, dass mindestens zwei der Angreifer ein dunklen Teint hätten, jedoch alle drei akzentfrei Deutsch gesprochen hätten, also wohl eher Migrationshintergründler der zweiten oder dritten Generation.
Laut dem Focus habe die Bonner Polizei erst gut sechs Stunden nach dem Verbrechen den Tatort an einem Rondell an der Rheinallee in Bad Godesberg abgesperrt und auf Spuren untersucht. Ein Polizeisprecher erklärt die verspätete Spurensuche mit dem Hinweis, „dass zunächst einmal in jener Nacht die Augenzeugen befragt und die Kleidung des Opfers wegen möglicher Täterspuren gesichert wurde“.
Der erste Hauptverdächtige: Walid S.
Nach einigen Tagen konnte die Polizei zunächst den damals 20-jährigen Walid S. verhaften, der bereits mehrfach wegen Gewaltdelikten aufgefallen war. Dieser bestritt jedoch die Tat, verwickelte sich dabei aber in Widersprüche. Außerdem konnten seine Angaben durch weitere Ermittlungen widerlegt werden. Ein Zeuge identifizierte Walid S. eindeutig als Täter. Dieser wurde in Italien geboren, verfügt über eine italienische Staatsbürgerschaft und soll einen marokkanischem Migrationshintergrund haben, sich aber schon länger in Deutschland aufhalten.
In der Wohnung von Walid S. fanden die Ermittler denn auch eine Jacke mit Blutspuren von Niklas P. Walid S. gab jedoch an, die Jacke nur geliehen zu haben. Der Besitzer der Jacke befand sich gerade wegen eines anderen Delikts in Untersuchungshaft. Er erklärte, die Jacke zwar verliehen zu haben, jedoch nicht an Walid S., sondern an einen anderen Freund. Dieser wurde polizeilich vernommen, dann aber wieder freigelassen.
Der zweite Hauptverdächtige: Roman W.
Bereits im Mai 2016 hatte die Polizei einen weiteren Tatverdächtigen namens Roman W. zunächst vorläufig festgenommen, dann aber mangels Beweisen wieder freigelassen. Im Juni wurde dieser erneut verhaftet. Mordkommission und Oberstaatsanwalt warfen ihm jetzt vor, die Begleiter von Niklas P. attackiert und versucht zu haben, auf den reglos am Boden Liegenden „körperlich einzuwirken“. Roman W. schwieg bei der Vernehmung. Angaben zu seiner Herkunft und zu weiteren Mitgliedern seiner Gruppe machten die Behörden nicht. Roman W. wurde ebenfalls als Haupttäter beschuldigt, ein Richter erließ Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Totschlags.
Im Juli 2016 wurde Roman W. nach einer Haftbeschwerde aber wieder freigelassen. Vernehmungen hatten ergeben, dass er die Begleiter von Niklas P. zwar angegriffen habe, doch wären ihm nach Auffassung des Richters die Handlungen von Walid S. nicht zuzurechnen. Damit bestehe bei ihm kein dringender Tatverdacht eines Tötungsdelikts mehr.
Im August 2016 ergab ein medizinisches Gutachten, dass die Gefäße im Gehirn des Opfers „vorgeschädigt“ gewesen wären. Todesursache sei der Riss einer Ader im Gehirn infolge eines Schlags, welcher „im Normalfall keine schwerwiegenden Folgen gehabt hätte“. Zu diesem Aderriss wäre es noch vor den Tritten gegen den am Boden Liegenden gekommen. Ursächlich für den Tod wären also nicht die Fußtritte an den Kopf gewesen, sondern der Schlag. Die Staatsanwaltschaft änderte daraufhin den Vorwurf des Totschlags in Körperverletzung mit Todesfolge. Walid S. blieb auf Grund einer bestehenden Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft, während Roman W. weiterhin auf freiem Fuß war.
Ein Zeuge wird von Roman W. schwer zusammengeschlagen, ein anderer bedroht
Im September 2016 verprügelte Roman W. nach Angaben der Staatsanwaltschaft zusammen mit einem gleichaltrigen Freund (21) einen 29-jährigen Zeugen im Fall Niklas P. Die beiden wollten den Zeugen mit Gewalt dazu bringen, seine belastende Aussage gegen ihn zu revidieren. Dabei schlug und trat Roman W. Ermittlungen zufolge minutenlang auf Kopf und Körper des Zeugen ein. Dieser erlitt dabei etliche Prellungen und Schürfwunden am Kopf und im Rücken- und Nierenbereich.
Jetzt kam der Richter auf die Idee, dass Verdunkelungsgefahr bestehen könnte, und ließ den offensichtlich hochgefährlichen Schläger erneut in Untersuchungshaft nehmen. Im Februar 2017 gelang es diesem aber trotz Haft, einen weiteren Zeugen zu bedrohen. Die hochintelligente Polizei kam auf die glorreiche Idee, den Zeugen zusammen mit Roman W. im selben Transporter von der JVA Köln zur Gerichtsverhandlung in Bonn zu fahren, und gab ihm damit die ideale Gelegenheit, den Zeugen unter Druck zu setzen.
Der Gerichtsprozess
Im Oktober 2016 kam es zum Prozess gegen Walid S. und Roman W. Die Anklage gegen Walid S.lautete auf Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei, die zum Tod eines Menschen führte. Zusätzlich warf man Walid S. eine weitere gefährliche Körperverletzung vor. Eine Woche vor dem Angriff auf Niklas P. hatte er einem Jugendlichen am Bahnhof durch einen Schlag mit einer Flasche eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung beigebracht.
Roman W. wurde angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei, die zum Tod eines Menschen führte. Sein Verteidiger erklärte, Roman W. bereue, den Belastungszeugen geschlagen zu haben, und kündigte an, sein Mandant werde im weiteren Prozessverlauf schweigen.
Ein Zeuge erklärte, Walid S. als Täter zu erkennen. Der 20-jährige Student gab an, schon von weitem Schreie gehört und dann den Tathergang beobachtet zu haben. Zwei Gruppen hätten sich gegenübergestanden und gestritten, es sei geschubst und gerangelt worden. Walid S. habe Niklas mit voller Wucht gegen den Kopf geschlagen, woraufhin der zu Boden gegangen sei. Dann habe Walid S. ihn gegen den Kopf getreten, dabei „weit mit dem Bein ausgeholt, torwartmäßig, und dann voll durchgezogen“. Auf Nachfragen des Verteidigers erklärte der Zeuge, Augenbrauen, Gesichtsstruktur und Frisur des Angeklagten wiederzuerkennen, war sich dabei aber nur zu 60 Prozent sicher.
Auch die beiden Freunde von Niklas, Katinka F. und Hiewan B., die mit ihm in der Tatnacht auf dem Heimweg gewesen waren, belasteten die Angeklagten schwer. Hiewan B. war sicher, beide Täter wiederzuerkennen. Der Verteidiger von Walid S. zweifelte die Aussage an und bestritt erneut die Täterschaft seines Mandanten. Katinka F. erklärte, sich wegen Gedächtnislücken an die Schlägerei kaum mehr erinnern und den Hauptangeklagten nicht beschreiben zu können. Den Angeklagten Roman W., der sie mit der Faust an der Schläfe getroffen habe, erkenne sie jedoch zweifelsfrei wieder.
Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht gelingt es nicht, die „Phalanx aus Lügen und Schweigen zu durchbrechen“
Die ehemalige Freundin des Hauptangeklagten Walid S. gab an, Sie habe sofort gedacht, „der hat bestimmt etwas damit zu tun“, als sie von der Tat hörte und darauf angesprochen wurde. Walid habe sich viele Male in ihrer Gegenwart geprügelt. Sie erinnere sich nicht an jede einzelne Schlägerei und bestätigte, dass er dabei auch zugetreten habe. Selbst ein kleiner Anlass habe ihm oft zum Zuschlagen gereicht.
Im weiterem Prozessverlauf wurden durch Zeugen auch weitere Personen als mögliche Täter genannt, darunter der Eigentümer der Jacke, die bei Walid S. gefunden wurde. Im März 2017 wurde Roman W. dann, nachdem alle Zeugen vernommen worden waren, aus der Haft entlassen. Später erhielt er wegen Beteiligung an einer Schlägerei, versuchter Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtstrafe von 15 Monaten. Die Strafe wurde jedoch auf Bewährung ausgesetzt.
Auf Grund der unklaren und widersprüchlichen Zeugenaussagen forderte am Ende auch die Staatsanwaltschaft den Freispruch des Hauptangeklagten Walid S., an dessen Schuld erhebliche Zweifel bestünden und dem selbst ein Aufenthalt am Tatort nicht sicher nachgewiesen werden konnte. Am 3. Mai 2017 wurde Walid S. vom Tatvorwurf freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft kündigte an, Akten und die komplette Hauptverhandlung im Hinblick auf neue Ermittlungsansätze auszuwerten. Sie gehe davon aus, dass viele Zeugen in dem Verfahren geschwiegen hätten, obwohl sie den Täter kennen würden. Erst wenn man es schaffe, „irgendwie diese Phalanx aus Lügen und Schweigen zu durchbrechen“, könne man weiterkommen
Die Angeklagten machen nach dem Prozess genau so weiter
Nach dem Freispruch gegen Walid S. rückte der 22-jährige Hakim D. wieder in den Fokus der Ermittler. Er sah Walid S. auf Fotos ähnlich. Gegen Hakim D. war von Anfang an ebenfalls ermittelt worden.
Im Frühjahr 2018 belastete der als Mittäter verurteilte Roman W. den freigesprochenen Walid S. mit folgender Aussage: Nur er selbst und Walid S. seien an der Konfrontation beteiligt gewesen, die zum Tod von Niklas P. geführt habe. Und Walid S. sei es gewesen, der Niklas gegen den Kopf geschlagen und getreten habe. Roman W. hatte die Aussage nicht länger verweigern können, nachdem sein eigenes Urteil rechtskräftig war.
Er war nach der Tat mit anderen Personen in der Nähe des Tatorts gesehen worden, darunter auch sein inzwischen als tatverdächtig geltender Freund Hakim D., der ebenfalls schon öfter durch Gewalttaten aufgefallen war und Walid S. stark ähnelte. Der Anwalt von Walid S. wies die Vorwürfe natürlich zurück und stellte sie als Versuch dar, Hakim D. zu schützen.
2018 wurde der freigesprochene Walid S. in einem anderen Fall vom Amtsgericht Siegburg wegen Körperverletzung verurteilt, aber nicht zu einer Gefängnis-, sondern einer Geldstrafe. Alle drei Tatverdächtigen befinden sich also weiter auf freiem Fuß. Die Tat an Niklas P. wurde bis heute zwei Jahre und 364 Tage nach ihrer Verübung nicht gesühnt.
**
Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von JÜRGEN FRITZ