Ein Gastbeitrag von Viktor Heese
Im Sommer 2018 tauchte Weißrussland als Kandidat für ein merkelischen Ankerzentrum für Migranten auf. Außer Visaerleichterungen ist bis dato nicht viel passiert. Dennoch ist die Gefahr der Aktivierung der Ost-Route für asiatische Migranten keinesfalls gebannt. Unten werden einige Eindrücke vom Land wiedergegeben, die der Autor am Rande als Gast bei einer internationalen Konferenz in Minsk gesammelt hatte.
Wenn die PIS in Polen nicht mehr an der Macht ist…
…und eine neue EU-hörige Regierung kommt, könnten wieder Scharen von Migranten aus Asien – wie 2002-2003 aus Tschetschenen nach Deutschland drängen. Die Route aus Zentralasien in den Goldenen Westen führt über Russland, Weißrussland und Polen und kann stets aktiviert werden, wenn die Transitländer zulassen möchten.
Es ist schwer vorstellbar, dass Deutschland/die EU die neuen Migranten nicht aufnehmen würde. Tschetschenen machen in Deutschland als Diebesbanden Schlagzeilen, die System spricht aber von „russischen Banden“. Auf der weißrussischen Seite gibt es heute schon Hunderte Migranten, die mit allen Mitteln den Einlass nach Polen fordern.
Ist ein Migrantionsdeal zur Sperrung dieser Ost-Route mit Russland schwierig, wäre dieser mit dem nach einer EU-Annäherung durstenden Weißrussland viel „billiger“ zu haben – werden hohe Brüsseler Entscheidungsträger spekuliert und sich geirrt haben. Auch in der Einschätzung das Ostland vom „großen Bruder“ Russland zu emanzipieren, das der größte Handelspartner, Energiegarant und militärischer Verbündeter ist, fruchtet nicht. Weißrussland ist für viele Russland im Kleinformat.
Wegen der Sprache, vorbildlicher Ordnung und niedrigerem Preisniveau übersiedeln immer mehr russische Pensionäre in die einstige Vorzeigerepublik des zusammengebrochenen Sowjetreiches („Nostalgierentner“).
Kein ökonomisches Armenhaus trotz Isolierung auf dem Alten Kontinent
Ein paar mickrige Millionen Euro reichen als Preis nicht aus, denn das Land ist kein Bittsteller. Statistiken zeigen, dass Weißrusslands Einwohnerzahl (10 Mill.) höher und die Volkswirtschaft etwa gleich groß ist, wie die aller baltischen Staaten zusammengenommen. Das BIP pro Kopf von 18.140 USD (Platz 68. weltweit) ist doppelt so hoch wie in der Ukraine. Gutes Ausbildungsniveau, Fachkräfte, intakte Infrastruktur und gutes wirtschaftliches Sentiment (Doing Buissness Index Platz 38) – besser als in Italien, Belgien oder in Ungarn – runden das Positivbild ab.
Wenn Weißrussland dennoch nicht zu den aufstrebenden Emerging Markets zählt, so liegt dieser Missstand an der Isolierung des Landes, dem Misstrauen internationaler Investoren und auftretender Wachstumsgrenzen.
Was erwarten die Weißrussen von der EU?
Ein vorzeigbarer Migrantendeal könnte als Türöffner für eine EU-Annäherung gesehen werden, auch als Gegengewicht für das rasche Vordrängen der Chinesen, deren Anwesenheit sich bereits an den Schildern am Minsker Flughafen ankündigt.
Die Asiaten haben Belarus in das Konzept der Neuen Seidenstraße eingeplant. Ob die „Beglückten“ auf Augenhöhe mit den roten Kapitalisten sprechen werden, bleibt abzuwarten.
Von der EU erwarten die Weißrussen neben Zollsenkungen und einer Öffnung des Arbeitsmarktes auch ein investives Engagement. Theoretisch wäre die Region wegen ihrer geostrategischen Lage (Transitland für russische Pipelines?), den niedrigeren Lohnstückkosten als in östlichen EU-Beitrittsländern (Visegrad), der führenden Position der Digitalisierung für Werksstätten europäischer Großkonzerns gut geeignet. Das sind heute alles noch Traumwünsche, die die kriselnde EU nicht erfüllen kann und will.
Auch wäre ein Flüchtlingspakt mit der EU nicht von gleicher Dringlichkeit und Gewicht, wie mit der Türkei. Das könnte sich aber schnell ändern, wenn erste Nachrichten über die Stürmung der polnischen Grenze nach dem Vorbild von Ceuta (Spanien) und Kroatien Schlagzeilen machen sollten.
Dr. Viktor Heese – Fachbuchautor und Finanzanalyst, www.prawda24.de, www.finanzer.eu
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