Mittwoch, 17. April 2024

Ausweglos gut

Ein Gastbeitrag von Frank Jordan

Wenn ich irgendwo auf einen Hinweis zu einem potentiell spannenden Film stoße, mache ich mir jedes Mal eine Notiz. Bei Gelegenheit besorge ich mir den einen oder anderen Film von der Liste und richte mich auf einen unterhaltsamen Abend ein. Letzthin war das der Fall. Der ausgewählte Film ein Polit-Thriller.

Die Hauptpersonen waren allesamt Frauen. Soweit, so gut, wenn es – und diesen Anspruch hat ein Thriller – plausibel ist. In diesem Fall – keine Chance . Und es wurde nicht besser: Die Hauptprotagonistin war geschieden. Ihr Ex hatte sich in der Zwischenzeit in eine Frau transformiert, war ihre beste Freundin und sie selber hielt sich einen Studenten.

Ihre Assistentin war eine arabisch-stämmige Lesbe und der einzige Mann in einer Hauptrolle betrog seine Frau mit einer Asiatin, war weiß, reich, mittleren Alters und hatte einen sechzehnjährigen Sohn, der ihm – die Taschen voll von Vaters Kohle – einen „ausgeleierten Arsch“ bescheinigte bei der Anzahl von Menschen, die in selbigem herumkröchen.

Mein Filmabend war da abrupt zu Ende. Ich war tödlich getroffen – von Müdigkeit.

Warum? Tue ich mich schwer, mit neuen Rollenbildern (was für ein fürchterliches Wort!)? Ja – durchaus. Und ich liebe es, darüber zu streiten. Aber das war nicht der Grund für den müdigkeitsbedingten Unterhaltungs-Abbruch.

Das Einzige, was mich so schlagartig und unwiderruflich zu erschöpfen vermag, ist Ausweglosigkeit.

Und genau das ist es, wenn man eine Welt vorgesetzt bekommt, die nicht die Realität abbildet, sondern aus jeder Pore den Anspruch des Richtigen und Guten ausdünstet. Eine Welt, die Offenheit sagt, aber in Wahrheit nicht Offenheit und Auseinandersetzung will, sondern die Überführung meiner niedrigen Realität in eine höhere, gute, um sie darin aufgehen und verschwinden zu lassen. Es ist Schein-Unterhaltung, die nicht eine Geschichte erzählen, sondern nach einem faden Schema von schwarz/weiss, gut/böse, richtig/falsch erziehen will. Es geht nicht um Qualität, sondern einzig um Moral.

Nun – das ist erstens nicht neu und zweitens kein Drama, könnte man meinen. Es ist ein Film. Kann man – wie geschehen – abschalten. Aber das ist nicht das Problem. Selbst heute, Wochen nach besagtem Abend, lässt mich die Erfahrung nicht los. Es ist nicht so sehr die Einsicht, dass die eigenen Gedanken und Gefühle zu erwähnten und anderen Themen und in der aktuell vorherrschenden Moral-Doktrin als etwas Böses und Fürchterliches zu gelten haben, während das, was mir nicht gefällt ohne Wenn und Aber hingenommen werden muss und als zwingend gut zu gelten hat. Es ist vielmehr die Vermutung, dass im aktuellen Klima im Grunde nichts Grosses mehr möglich ist. Nicht in der Kunst, nicht in der Bildung und auch nicht im Bereich Unternehmertum und Innovation. Wobei – ich drücke mich nicht richtig aus: Grosses ist immer noch möglich. Aber es ist selten geworden.

Um Großes zu schaffen musste einer schon immer austreten. Aus dem eigenen Ich ebenso, wie aus dem „Wir“ einer Gesellschaft oder Familie. Er musste sich befreien vom eigenen Blick und von dem anderer.

Musste Angst, Zweifel, Unsicherheit, Unwägbarkeit, Vorurteile und die Furcht vor den eigenen Ideen ebenso überwinden, wie gängige Vorstellungen des „Du sollst“ und des „Du sollst nicht“. Es wundert daher nicht, dass grosse Unternehmer, Künstler, Denker oft als Sonderlinge galten. Als eigen, seltsam, wunderlich und schwierig. Abseits stehende, vereinzelte Erscheinungen. Hart, anspruchsvoll, ausdauernd. Manchmal die einzig gesunden.

Damit ist umzugehen oder nicht – es bedeutete indes nicht zwingend das totale Ausgestossensein, nicht Ächtung und nicht sozialen Tod. Heute deutet vieles darauf hin, dass sich das ändern soll, beziehungsweise bereits geändert hat und man ein weiteres Mal bereit ist, das als „krank“ erkannte Glied mitleid- und erbarmungslos abzuschlagen zum Besten des „Wir“. Moralisch Unerwünschtes wird nicht mehr gedacht, gesagt, produziert, und wenn doch, verboten. Über das als „Böse“ erkannte darf nur in dem Sinn nachgedacht und sich geäussert werden, als man sich davon distanziert. Wer sich nicht daran hält, wird mitsamt dem, was er tut und wirkt und mit der geballten Kraft und der temporären Courage derer, die staatliche  Moral, Macht und Mittel hinter sich wissen, zu verhindern gesucht.

„Fortschritt“ wird solches genannt, „Emanzipation“, „Opposition“, „Individualismus“ und „Gerechtigkeit“. Die Worte sind gross – jene die sie propagieren und adoptieren sind es nicht. Das Resultat sind ausweglose Erzeugnisse wie der oben erwähnte Film. Mensch und Werk so klein, dass der Schatten, den sie werfen, nicht die Tatsache zu verdecken mag, dass, was wirklich gefürchtet wird und verhindert werden soll dies eine ist: Die Freiheit des Ausserhalb. Der Ort, wo Grosses entsteht. Einmal mehr. Wie stets von der Politik gewünscht. Umgesetzt von jenen, die sich rächen für die eigene Trägheit, Feigheit und Bequemlichkeit.

Das allein ist erschütternd genug. Aber die Freiheit ist überall und zu jeder Zeit bedroht; mal mehr, mal weniger – das ist bekannt. Die grosse Tragik neben neuer Unfreiheit ist die fürchterliche Mittelmässigkeit all dessen, was gefeiert wird und bleibt, wenn alle „drin“ sind im Schutz des „Wir“, von dem sie zehren.

Was bleiben wird von unserer Zeit bei einem Weiter-So. Wie schwach, leidenschaftslos, zart, hinfällig, dünn, mattherzig, bemitleidenswert, schläfrig und lau das Vermächtnis zu werden riskiert. Wie gut und korrekt. Wie unpersönlich und unmenschlich. Das vor allem.

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PP-Redaktion
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