Freitag, 19. April 2024

Zeichen des Mitgefühls: Die wöchentliche Mahnwache vor der nordkoreanischen Botschaft in Berlin  

Es ist ein heißer Hochsommerdonnerstag in Berlin-Mitte in der Glinkastraße, Ecke Mohrenstraße. Wie jede Woche hat sich hier schon weit vor 14 Uhr eine kleine Gruppe Berliner um die Rentnerin und Aktivistin Gerda Ehrlich eingefunden. Sie halten Banner mit Aufschriften wie „Gegen Christenverfolgung“ und „Reis statt Atom“. Ein Bericht  von Adam Elnakhal

Seit September 2009 stehen sie jeden Donnerstagmittag hier vor der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea, jenen Staates das sich wohl am meisten abschottet und aus welchem trotzdem immer wieder durch die wenigen, denen die Flucht aus dem totalitären Regime gelingt, über unvorstellbare Menschenrechtsverletzungen berichtet wird.

Eine Südkoreanerin und ein Deutscher vereint bei der Demonstration vor der nordkoreanischen Botschaft, Bild: Gastautor

Sechs Straflager in den abgelegenen Bergen Nordkoreas soll es geben. Auf Satellitenbildern sind sie zu erkennen. In ihnen werden Schätzungen zufolge etwa 200.000 Insassen gefangen gehalten – allein in den beiden größten Lagern sollen es jeweils 50.000 Insassen sein. Berichten geflohener Nordkoreaner zufolge müssen die Insassen in diesen Lagern von früh morgens bis spät abends harte körperliche Arbeit verrichten. Bei Nichterfüllung des Solls werden sie geschlagen und gefoltert. Tausende sterben jedes Jahr (wie auch außerhalb der Gulags) an Unterernährung. Immer wieder kommt es zu Hinrichtungen oder zum Tod durch Folter oder mangelhafter Hygiene.

Der ehemalige Lageroffizier Kwon Hyok berichtete sogar von Gaskammern im Konzentrationslager Haengyŏng  im Norden des Landes an der Grenze zu China.

Für die Insassen dieser Straflager gibt es in aller Regel kein Entkommen. Sippenhaft ist an der Tagesordnung. Auch die Kinder und Kindeskinder von Gefangenen werden noch zur lebenslangen Strafarbeit verpflichtet. Wobei besonders die Kinder jene sind, die besonders häufig an Unterernährung sterben.

Initiatorin der Mahnwache ist die 78-jährige Gerda Ehrlich

Die Mahnwache bezeichnet diese Lager folgerichtig als Konzentrationslager und in der Tat gibt es deutlich erkennbare Parallelen zu der Folter- und Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten.

Das Schicksal dieser entrechteten Menschen führt die kleine Gruppe älterer Menschen jeden Donnerstag zur Botschaft der ‚Demokratischen Volksrepublik Korea‘.

Diesen Donnerstag steht die Initiatorin der Mahnwache, die 78-jährige Gerda Ehrlich, ausnahmsweise noch etwas abseits und sortiert mit einer Schulklasse aus Südkorea Luftballons. Diese sollen zum Ende der Mahnwache in die Luft steigen.

Seit fünf Jahren kommt einmal im Jahr eine Schulklasse aus Südkorea zu der wöchentlichen Demonstration. Ein Mann ist deshalb extra aus Würzburg angereist. Er erinnert an die Christenverfolgung in der islamischen Welt.

Gerda Ehrlich kommt aus dem ehemaligen Ostteil der Stadt Berlin. Sie hat schon zur Wendezeit demonstriert und nicht vergessen was es heißt es in einem geteilten Land zu leben. Im Sommer 2009 hörte sie einen Vortrag über Nordkorea und die dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen. Daraufhin rief sie kurzentschlossen die Mahnwache vor der Botschaft ins Leben.

Dabei beschränkt Gerda Ehrlich nicht nur auf die donnerstägliche Mahnwache. Sie produziert Postkarten mit Forderungen an den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un, die jeder Unterstützer unterschreiben und zur Botschaft senden kann.

Friedliche Mittel sind der überzeugten Christin Gerda Ehrlich wichtig. Sie ist der festen Überzeugung, dass die Geduld eines Tages Wirkung entfalten werde.

Das kann man naiv nennen. Doch auch Skeptiker der Mahnwache anerkennen, dass diese Gruppe Berliner nicht zu den Gulags der Gegenwart schweigt.

Propaganda für den nordkoreanischen Diktatur am Haupteingang der Botschaft, Bild: Gastautor

Pünktlich um 14 Uhr beginnt die Mahnwache: Jeder der 36 südkoreanischen Schüler trägt nun einen Ballon und einen Zettel mit den Forderungen, die über den Botschaftszaun gerufen werden sollen, in Händen. Gerda Ehrlich spricht über ein Mikrofon, um besser gehört zu werden. Sie begrüßt die von weit angereisten Schüler aus der Republik Korea.

Ein Radfahrer ruft im Vorbeifahren: „Freiheit für Kim Jong-un!“

Passanten laufen vorbei. Viele schauen verdutzt. Einige lachen. Manche bekunden nonverbal ihre Sympathie. Ein Radfahrer ruft im Vorbeifahren: „Freiheit für Kim Jong-un!“ und man fragt sich, ob es sich um einen Scherz oder um – eine in Berlin nicht ganz ungewöhnliche – tatsächlich vorhandene pro-linkstotalitäre Gesinnung handelt.

In drei Sprachen (Deutsch, Koreanisch und Englisch) ruft und singt die Mahnwache ihre Forderungen, Hoffnungen und Gebete für die Koreaner in der Juche-Diktatur. Es geht um die Freilassung von politisch Inhaftierten. Es geht um die Auflösung der Konzentrationslager. Es geht um ein Ende des Atomwaffenprogrammes. Es geht um ein Ende des quasi-religiösen Personenkultes um die Kim-Dynastie.

Spätestens beim Gebet wird die christliche Prägung der Mahnwache deutlich. Doch auch das Judentum scheint hier Platz zu haben: Eine Teilnehmerin trägt eine Davidsternkette und eine andere Teilnehmerin wird später nach dem offiziellen am Ende der Mahnwache auf ihrer Querflöte die israelische Nationalhymne spielen. Ein Grund hierfür dürfte der sein, dass Nordkorea den Staat Israel nicht anerkennt und Gesamtisrael den Arabern zuerkennt – womit sich Nordkorea freilich in der einstigen Tradition der ehemaligen Ostblockstaaten befindet. Auch die DDR erkannte den Staat Israel nicht an.

Direkte Konfrontation meiden

Zwischendurch füllt sich der Hof der diplomatischen Vertretung mit Botschaftsangehörigen. Es ist wahrscheinlich, dass die Aktivitäten der Mahnwache von den Nordkoreanern genau protokolliert und dokumentiert werden. Ein Auto fährt vor und parkt direkt in der Nähe zur Mahnwache. Für eine kurze Zeit öffnet sich das Tor zur Botschaft. Gerda Ehrlich warnt zwei südkoreanische Jungs sich dem Tor anzunähern. Es ist ihr wichtig eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Auch angesichts der Tatsache, dass es schon durch mehre Entführungen durch nordkoreanische Agenten gekommen ist, erscheint eine gewisse Vorsicht durchaus angebracht zu sein.

Doch die Jungen kommen auch gar nicht mehr dazu sich der Botschaft weiter zu nähern. Mit einem schnellen, festen und hörbaren Ruck fällt das Tor automatisch zu.

Die südkoreanischen Schüler haben sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt, bevor sie nach Berlin geflogen sind.  Bild: Gastautor

Jeder Kontakt der Botschaftsangehörigen zu der Mahnwache könnte ihnen als Sympathie ausgelegt werden und bei Rückreise nach Pjöngjang damit Straflager und damit ihr ziemlich sicheres Todesurteil bedeuten.

Doch es bleibt die Hoffnung, dass die Mahnwache bei den Angehörigen der Botschaft registriert wird.

Die christlich bedruckten Luftballons wehen in Richtung der nordkoreanischen Botschaft. Bild: Gastautor

Die südkoreanischen Schüler haben mehrere kleine Plakate gebastelt, die nicht nur in koreanischer Sprache, sondern teilweise auch in englischer und deutscher Sprache verfasst sind.

Es fällt auf wie gut erzogen und freundlich die südkoreanische Schulklasse ist. Mehrfach bedanken sich die Koreaner bei der Mahnwache.

Um kurz vor 15 Uhr werden die Luftballons losgelassen, die in den blauen Himmel steigen. Damit wird der offizielle Teil der Mahnwache abgeschlossen. Gerda Ehrlich spendiert anlässlich dieser besonderen Mahnwache und des warmen Juliwetters noch jedem ein Eis und es kommt zu Gesprächen zwischen den Demonstrationsteilnehmern.

Nächsten Donnerstag wird es wohl wieder etwas ruhiger zugehen, wie an den 50 anderen Wochen im Jahr. Doch Gerda Ehrlich und ihre Mitstreiter sind fest entschlossen weiter ihre Stimme zu erheben.

Angesichts der Menschenrechtsverletzungen und der Christenverfolgung insbesondere in islamischen Staaten müsste es freilich auch Mahnwachen vor den Botschaften der Islamischen Republik Iran, der Republik Türkei, der Islamischen Republik Pakistan, des Königreichs Saudi-Arabien, der Bundesrepublik Nigeria und zahlreicherer weiterer Staaten geben, die das grausame Schariarecht über die Würde und das Lebensrecht des Menschen stellen.

Alles andere als ungefährlich

Auch diese Mahnwachen würden Zeit, Geld und Geduld kosten. Und sie wären alles andere als ungefährlich.

Die Mahnwache in der Glinkastraße wird das Kim-Regime gewiss nicht zu Fall bringen. Das können nur die Koreaner selbst. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die nordkoreanische Juche-Totalitarismus mit all seiner Grausamkeit auch noch Gerda Ehrlich und ihre Mitstreiter überleben wird.

Doch das hält die beseelte Gruppe nicht davon ab, weiter Donnerstag für Donnerstag (bei Wind und Wetter) vor der Botschaft zu stehen. Vielleicht wird man sich einst nach der Koreanischen Wiedervereinigung an die kleine Mahnwache in Berlin erinnern, die ein Licht der Liebe nach Nordkorea gesendet haben.

Gerda Ehrlich (re. Bildseite) mit der südkoreanischen Schulklasse und den deutschen Teilnehmern der Mahnwache;  Bild: Gastautor

INFO

Beständige Mahnwache vor der Nordkoreanischen Botschaft Berlin (Glinkastraße 5-7, Berlin-Mitte) jeden Donnerstag von 14 bis 15 Uhr

E-Mail: Mahn-Wache@gmx.de

Literaturhinweis

– „Lasst mich eure Stimme sein! Sechs Jahre in Nordkoreas Arbeitslagern“ von Lee Soon-ok

[Brunnen Verlag, Gießen;  ISBN: 978-3765538483;  10,00 EUR – Taschenbuch]

> Dieses Buch schildert heftige und heftigste Folter und fällt unter die Kategorie „schwer verdaulich“.

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