Ein Gastbeitrag von Niki Vogt („Die Unbestechlichen“)
Im Juni 2017 bekam das Wochenmagazin „Der Spiegel“ Wind von einer brisante Email. Ein leitender Beamter der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen sandte der Nürnberger Bamf-Zentrale Informationen zu skandalösen Vorgängen innerhalb des Amtes. Es sei zu erheblichen „Unregelmäßigkeiten“ bei Asylverfahren gekommen – und nicht nur in einigen wenigen, sondern in großer Anzahl.
Die Leiterin der Bremer Außenstelle, Ulrike B., mache hier gemeinsame Sache mit dem Rechtsanwalt Irfan C.. Dabei sei dessen Mandanten „massenhaft“ zum offiziellen Status eines Flüchtlings verholfen worden. Ulrike B. sei dabei sehr darauf bedacht gewesen, die positiven Bescheide über die Erteilung des Flüchtlingsstatus‘ Anwalt Irfan C. persönlich zu überbringen. Sie habe auch, obwohl das gar nicht ihr Aufgabenbereich war, die Akten für die Asylsuchenden angelegt.
Es scheine, dass da besondere Belohnungen oder Vergünstigungen mit im Spiel seien, beschrieb der Whistleblower in seiner Mail: Er habe zufällig gesehen, wie im Email-Postfach eine Mail lag, in der Anwalt Irfan C. schrieb, dass das „Hotelzimmer für‘s Wochenende schon bezahlt“ sei. Er habe daraufhin Ulrike B. gewarnt. Seiner Meinung nach habe der Anwalt sie benutzt und die verliebte Frau habe ihm gefallen wollen. Ulrike B., so berichtet der Whistleblower in seiner Mail, habe das abgestritten. Ihr und dem Anwalt gehe es nur um das „Schicksal der armen Menschen“.
Schnelles Handeln sei nun geboten, appellierte der Beamte an die Zentrale in Nürnberg, denn viele Beweise könnten schon gelöscht worden sein. Dennoch ließ Nürnberg sich Zeit. Erst im Spätherbst reagierte man dort auf einen aufgetauchten, gefälschten Asylbescheid und erstattete Strafanzeige. Frau Ulrike B. wurde aber erst wesentlich später von der Leitung der Bremer Außenstelle entfernt. Man fand eine neue Stelle für sie in der „Qualitätssicherung Asyl“. Aber auch von da aus und trotz des Verdachtes gegen sie gingen die Merkwürdigkeiten weiter. Zwei Anzeigen bei der Bremer Staatsanwaltschaft verliefen im Sande.
Mit Josefa Schmid kam am 1. Januar 2018 nun eine neue Leiterin der Bremer Außenstelle ins Amt. Anscheinend war ihr Kommen von den meisten Mitarbeitern dort begrüßt und erwartet worden, denn Frau Schmid förderte schnell sehr viel zutage, was da unter der Oberfläche noch so alles vergraben war. So etwas gelingt erfahrungsgemäß nur dann, wenn Zeugen und Beteiligte an den Vorgängen „auspacken“ wollen und sicher sind, dass sie nicht belangt werden, wenn sie an der Aufklärung mitwirken. Denn naturgemäß gehören gerade diejenigen, die Details erzählen können, auch zu denen, die in die Bearbeitung und Abläufe eingebunden sind. Wie Frau Schmid erfuhr, hatte Ulrike B. offenbar mithilfe von „nibelungentreuen“ Seilschaften ein System der Abhängigkeit und des Druckausübens etabliert, das ihre Untergebenen zur Mithilfe bei den Unregelmäßigkeiten zwang. So sei ein Mitarbeiter, der Frau Ulrike B. auf die „merkwürdigen Verfahrensabläufe“ angesprochen hatte, daraufhin einfach versetzt worden:
„Ende 2017 bat der Mitarbeiter schließlich darum, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung eingeleitet werden möge – sein Name sei bei einem Bescheid missbraucht worden. Am 26. Oktober 2017 begann die Innenrevision des Bamf gegen Ulrike B. zu ermitteln. Am 16. 11. 2017 stellte das Amt schließlich Strafanzeige.“
Josefa Schmid schrieb auf 99 Seiten ihren Bericht „Unregelmäßigkeiten im Asylverfahren in der Bamf-Außenstelle Bremen“ an die Zentrale. Mindestens 3332 unzulässigerweise in Bremen bearbeitete Asylanträge habe es gegeben. Es seien dabei „systematisch und grob fahrlässig“ weder – wie vorgeschrieben – Identitäten der Antragsteller festgestellt worden, noch habe man mit den Antragstellern überhaupt gesprochen. Straftaten seien „in einer nicht nachvollziehbaren kriminellen Energie“ gedeckt und gebilligt worden. Reihenweise seien Dokumente und elektronische Akten manipuliert und verfälscht worden. Bei fast allen diesen Fällen war die Außenstelle Bremen eigentlich gar nicht zuständig gewesen. Es sei aus den massenhaft unrechtmäßig bewilligten Asylanträgen auch zu entnehmen, dass Mitglieder krimineller Clans auf diese Weise mit den nötigen Papieren nach Deutschland kommen und bleiben konnten. Durch Unterlassen erkennungsdienstlicher Behandlungen sei ein „gewaltiges Sicherheitsrisiko“ entstanden. Des Öfteren habe man das Sicherheitsreferat des Bamf informieren müssen, wenn zum Beispiel Migranten für Geheimdienste gearbeitet hatten – das sei durch inzwischen nachgeholte Prüfungen herausgekommen. Bremen galt für dieses Klientel als Schlupfloch nach Deutschland hinein. Knapp 50 Millionen Euro kostete das System Ulrike B. den deutschen Staat.
Busladungsweise und ganz offen seien spätnachmittags die Migranten angekommen und haben ihre Asylanträge gestellt.
Ein typischer Fall: „Der Mann nannte sich Mohamad A. und gab an, Syrer zu sein. Seine Schwester und sein Schwager seien in Syrien von der Polizei erschossen worden, erklärte er und ließ seinen Rechtsanwalt die Kopie eines syrischen Reisepasses vorlegen. Zwei Wochen später wurde Mohamad A. in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als Schutzsuchender anerkannt. Dabei stimmte wohl nichts, was er erzählte: Die Geschichte mit den getöteten Verwandten war erlogen. Der Reisepass gefälscht. A. ist noch nicht einmal Syrer, sondern kommt aus Rumänien, eigentlich heißt er Milad H.“
Um das schwunghafte Geschäft mit rechtswidrig ausgestellten, echten Asylpapieren in dem Umfang und über einen so langen Zeitraum zu betreiben, übte die ehemalige Leiterin nach Darstellung von Frau Josefa Schmid massiven Druck aus und strafte sich widersetzende Mitarbeiter ab. Frau Schmids Bericht enthält noch weitere, wenig erfreuliche Beschreibungen des Arbeitsstils von Frau Ulrike B..
Anfang Januar erteilte Josefa Schmid ihrer Amtsvorgängerin sogar Haus- und Kontaktverbot, wahrscheinlich um zu verhindern, dass aussagewillige Mitarbeiter eingeschüchtert oder zur Beweisvernichtung angestiftet werden. Im Übrigen habe man, so Frau Schmid, Hinweise darauf, dass auch die Nürnberger Zentrale in diese Unregelmäßigkeiten verwickelt sei. Dort soll man die Missstände jahrelang gekannt und gebilligt haben.
Man sollte denken, dass man in Nürnberg, alarmiert über die Ergebnisse der Untersuchungen, sofort mit eisernem Besen in Bremen durchkehrt, aber nein. Verblüfft erfährt der Bürger aus den Medien, dass die energische, neue Leiterin nicht etwa unterstützt, sondern strafversetzt wird. Sie selbst war nicht weniger verblüfft, weil die Versetzung sofort am selben Tag kam, wie sie ihren Bericht nach Nürnberg schickte. Ein Schelm, wer nun denkt, das könne damit zusammenhängen, dass Frau Schmid die Verwicklung der Nürnberger Zentrale in die ganze, systematische Mauschelei entdeckt hat, und der Skandal noch weitere Kreise zu ziehen droht.
Nach anfänglicher Stille musste die Nürnberger Zentrale nun Stellung beziehen, da sich Frau Schmid (erfolglos) gegen die Versetzung wehrte und das veröffentlicht wurde. Man rechnete dort wohl nicht damit, dass es unter den Beamten noch couragierte Menschen gibt, die aufstehen und sich wehren gegen Willkür und Vertuschung. Ein Beamter mit Rückgrat? Nein, noch schlimmer: Josefa Schmid habe – Gottseibeiuns! – in EIGENINITIATIVE Vorgänge dargestellt! Entsetzlich. Eigeninitiative!
Frau Schmid bezeichnete ihren Bericht nicht als abschließend, sondern ausdrücklich als eine erste kursorische Voruntersuchung für die Jahre 2015 bis 2017. Es sei aber mit „großer Sicherheit“ anzunehmen, dass es bereits vor 2015 zu erheblichen Verfehlungen gekommen sei. Die untersuchten Fälle schienen nur die „Spitze des Eisberges“ zu sein. Am Ende ihres Berichtes regt Josefa Schmid an, eine neutrale Untersuchungskommission durch das Bundesinnenministerium einzusetzen. Denn es dränge sich „der Verdacht auf, dass an einer echten Aufklärungsarbeit kein gesteigertes Interesse“ bestehe.
Das Bamf sieht es anders. Die Sprecherin des Bundesinnenministeriums ließ wissen, es bestehe „nach derzeitigem Kenntnisstand keine substantiierte Tatsachengrundlage“. Der Bericht von Frau Schmid reiche nicht aus, um die Vorwürfe zu belegen.
Ach so? Warum war dann Frau Ulrike Bepunkt überhaupt aus ihrer Position entfernt worden? Wozu hatte man Frau Schmid denn dorthin entsandt? Und ist der leitende Beamte, der die beobachteten Vorfälle nach Nürnberg gemeldet hatte, nur ein Kriminalroman-Hobbyschreiber, dem wegen Drogenmissbrauchs die Fantasie ein bisschen durchgegangen ist? Der gefälschte Asylbescheid – blöd gelaufener Dummejungenstreich des üblichen Praktikanten? Und warum kommen diese Erklärungsversuche erst, nachdem die Presse breit davon berichtet und die Decke des Schweigens Löcher bekommt?
Man habe Frau Schmid „zu ihrem eigenen Schutz“ nach Deggendorf versetzt, wird nun aus Nürnberg mitgeteilt. Schutz vor wem?