Sonntag, 17. November 2024

Die Schlacht um Ost-Ghouta – Was ist in Syrien wirklich los?

Ein Gastbeitrag von Adrian F. Lauber

I. Die Waffenruhe wurde erklärt, dann wurde weiter geschossen

So kann es gehen. Der UN-Sicherheitsrat hat Syrien einen dreißigtägigen Waffenstillstand verordnet, aber wenn man das richtige Vokabular verwendet, findet man seinen Weg drum herum.

Die von Rebellen gehaltene Enklave Ost-Ghouta unweit der Hauptstadt Damaskus wird weiterhin unter Beschuss genommen. Der iranische General und Stabchef Mohammad Baqeri erklärte, dass der Iran und Syrien die UN-Resolution respektieren würden, dass aber Damaszener Vorstädte, „die von Terroristen gehalten werden“, davon nicht gedeckt seien. (1)

Die zwei Rebellen-Fraktionen, die Ghouta halten, – Faylaq al-Rahman und Jaish al-Islam – haben zugesagt, sich an die Waffenruhe zu halten, aber auch angekündigt, auf jedweden Angriff zu antworten. (2)

Nun mag es sogar sein, dass sich unter den Anti-Assad-Kämpfern in Ost-Ghouta nicht bloß Moderate, sondern auch Extremisten befinden. Dass Anti-Assad-Kräfte zum Teil aus Milizen bestehen, die wohl ähnlich schlimm sind wie das Regime selbst, wird kaum noch einer bestreiten.

Nur sind Verlautbarungen aus Teheran und Damaskus, die echte oder vermeintliche Terroristen betreffen, mit größter Vorsicht zu genießen. Wenn man Baschar al-Assad in den Interviews, die er im Laufe der vergangenen Jahre gegeben hat, zugehört hat, so hat er sich mehr als einmal unterm Strich als Unschuldslamm darzustellen versucht, indem er darauf verwies, Terroristen zu bekämpfen.

Und dass der Iran, der der größte Staatssponsor des Terrorismus ist, für sich in Anspruch nimmt, Terroristen zu bekämpfen, ist ein Witz für sich. (3) (Übrigens ist auch das syrische Regime selbst nicht unschuldig, wenn es um Terror-Sponsoring geht. Schon zu Zeiten von Assad Senior hat Damaskus die Iran-gelenkte Hisbollah, die den jüdischen Staat Israel zerstören will, aktiv unterstützt. Das Verhältnis Damaskus-Hisbollah war nicht gerade eine Liebesgeschichte, aber gemeinsame Interessen führten zur Zusammenarbeit. (4) Und die Hisbollah gehört bekanntlich zu denen, die in Syrien darum kämpfen, Assad an der Macht zu halten. (5) Außerdem stehen, so sagte ein Hisbollah-Kommandeur im September des vergangenen Jahres, 10.000 Kämpfer der Organisation im Süden Syriens für den zukünftigen Kampf gegen Israel bereit.(6)

In Ost-Ghouta sind offenbar auch Chemie-Waffen zum Einsatz gekommen. Am Samstag wurde bei einem Angriff ein Kind getötet, das Symptome aufwies, die beim Kontakt mit Chlorgas auftreten.

Ohne mich diesbezüglich schon zu wollen, würde es mich nicht überraschen, wenn auch dieses Mal das Assad-Regime verantwortlich wäre. Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen muss das noch näher untersuchen.7

Zu viel Material liegt inzwischen gegen Damaskus vor. Für mich steht es inzwischen außer Zweifel, dass die Truppen dieses Regimes Sarin, Chlorgas und andere Kampfstoffe auch gegen ihr eigenes Volk einsetzen. (8)

Laut CBS haben seit Beginn des Krieges rund zweihundert Einsätze von Giftgas stattgefunden, etliche gehen auf das Konto der Assad-Streitkräfte. Assads Verbündeter Russland setzt seine Macht bei der UNO ein, um den syrischen Diktator und seine Untergebenen vor weiteren Ermittlungen zu schützen. (9)

Reporter von CBS forschen weiter und haben beispielsweise mit Zeugen des Giftgasangriffs von Khan Sheikhoun am 4. April des vergangenen Jahres gesprochen.

Das alles ist ja nur die Spitze eines Eisbergs von Verbrechen, derer sich das Regime schuldig gemacht hat.

Dass auch einige Anti-Assad-Fraktionen solches und ähnliches getan haben, wiegt die Verbrechen des Assad-Regimes nicht auf. Das ist keine Entschuldigung.

II. Was wird aus Ost-Ghouta? Das nächste Aleppo?

Die Vermutung liegt nahe, dass heute Ost-Ghouta auf ähnliche Weise „gebrochen“ und eingenommen werden soll wie Aleppo im Dezember 2016.10 (Von russischer Seite wurde sogar zugegeben, dass Aleppo die Blaupause für Ost-Ghouta ist. „Wir wollen unsere Erfahrungen, die wir bei der Befreiung von Aleppo gesammelt haben, in Ost-Ghuta einsetzen“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. (11) Es wird einfach so lange geschossen, bis von lebenswichtigen Einrichtungen wie Krankenhäusern und anderer ziviler Infrastruktur nicht mehr viel übrig ist und die Menschen zur Kapitulation gezwungen sind. Hinterher werden viele von ihnen dann vermutlich auch in die größtenteils von Dschihadisten gehaltene Region Idlib überführt, die eines Tages natürlich auch noch erobert werden soll.

Es wäre wieder ein Beispiel für das gezielte „demographic engineering“, das das Assad-Regime laut verschiedenen Medienberichten im eigenen Land durchzuführen versucht, um die Bevölkerungsstruktur zu Gunsten seiner Anhängerschaft zu verändern. (12)

Assads Protektor Iran ist die massenhafte Flucht oder Vertreibung von Menschen – vor allem sunnitischen Muslimen – offenbar ganz recht, denn schließlich soll Syrien seinem „schiitischen Halbmond“ einverleibt werden. Unter iranischer Regie werden, wie der britische Guardian schon vor einem Jahr berichtete, in Gebieten, aus denen während des Krieges vor allem Sunniten geflohen sind, inzwischen Schiiten angesiedelt – und zwar nicht nur aus Syrien, sondern auch aus dem Libanon und aus dem Irak. (13)

Zumindest in Teilen Syriens findet ein planvoller Bevölkerungsaustausch statt. 14 von 21 Millionen Syrern sind inzwischen Flüchtlinge, davon 6,5 Millionen Binnenvertriebene im eigenen Land. (14)

Eine der obersten Prioritäten bei der Befriedung und Neuordnung des Landes muss die Lösung dieser Flüchtlingskrise sein. Das hat US-Außenminister Rex Tillerson auch ganz richtig benannt. Aber die Zeit drängt. Washington muss einen Plan entwickeln, wie genau es weiter vorgehen will.

Krokodilstränen und Beileidsgejammer brauchen die Syrer ganz bestimmt nicht. Was haben sie davon, dass die Appeasement-Politiker (vor allem) aus Europa tagaus tagein beteuern, wie sehr ihnen Flüchtlings- und andere Schicksale zu Herzen gehen, dann aber wieder zur Tagesordnung übergehen, als wüssten sie nichts von dem, was der Iran und Assad mit russischer Rückendeckung anrichten?

Tillerson hat die Stärkung militärischer Präsenz in Aussicht gestellt. Schön und gut, aber Taten müssen bald folgen. Um das zu verdeutlichen, was ich meine, möchte ich zum Abschluss einen Nahost-Beobachter zitieren:

“ (…) die, die noch leben, brauchen erst einmal nicht humanitäre Hilfe, sondern ein Ende der Luftangriffe. Nicht mehr und nicht weniger. Ghouta ist Syrien im Kleinen: Zivilisten sind hilflos einer gegnerischen Luftwaffe ausgeliefert, die ungestört ihr Vernichtungswerk erledigen kann. Aus diesem Grund forderten syrische Oppositionelle schon 2012 die Einrichtung einer Flugverbotszone, die leider nie kam.

Und so war es ein Tag, an dem die Menschen in Ghouta in den letzten Wochen ohne Angst auf die Straße gehen konnten, der Tag nämlich, an dem die Israeli Air Force (IAF) Flugabwehrstellungen der Syrer bei Damaskus zerstörte. An diesem Tag trauten die syrischen Flugzeuge sich nicht in die Luft. Und so demonstrierten die Israelis der Welt, wessen es bedürfte, um ernsthaft syrische Zivilisten zu schützen, und wie einfach es eigentlich wäre. Denn Israel ging es nicht einmal um Ghouta, sondern um einen Vergeltungsangriff, nachdem Iraner eine Drohne über die Grenze geschickt hatten. Wenn aber die Syrer und auch die Russen ein paar Flugzeuge der IAF schon so ernst nehmen, wie wäre es dann, erklärte eine internationale Koalition den Luftraum über Ghouta zur Sperrzone?“ (15)

Eine Kleinigkeit muss ich noch nachschieben, um die Appeaser aus Deutschland ein ganz klein wenig in Schutz zu nehmen. Selbst wenn sie etwas tun wollten, um Syrien zu helfen, wären sie vielleicht gar nicht dazu in der Lage.

Die Bundesregierung hat es ja offenbar geschafft, die Bundeswehr gründlich herunter zu wirtschaften. Aber worüber wundert man sich? Dieses Land ist ja nicht mal fähig, seine Grenzen zu kontrollieren – mit dem Unterhalt einer einigermaßen soliden Armee ist es dann wohl heillos überfordert. (16) Hoffentlich handeln Washington und andere Verbündete, ehe es zu spät ist.

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Quellen:

1. Reuters, 25.2.2018: „Iran says Damascus suburbs assault to continue as fighting rages“ https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-ghouta/iran-says-damascus-suburbs-assault-to-continue-as-fighting-rages-idUSKCN1G90BL?il=0

2. The Tower, 26.2.2018: „Despite UN-Declared Ceasefire, Iran, Syria Bomb Civilian Neighborhoods in Damascus Suburb“ http://www.thetower.org/5986-despite-un-declared-ceasefire-iran-syria-bomb-civilian-neighborhoods-in-damascus-suburb/

3. Clarion Project, 20.2.2017: „Iranian Support for Terrorism“ (Fact Sheet) https://clarionproject.org/iranian-support-for-terrorism/

Clarion Project, 20.2.2017: „Iranian Regional Hegemony“ (Fact Sheet) https://clarionproject.org/iranian-regional-hegemony/

U.S. Department of State: Country Reports on Terrorism 2016 – Chapter 3: State Sponsors of Terrorism https://www.state.gov/j/ct/rls/crt/2016/272235.htm

4. Middle East Intelligence Bulletin, Vol. 4, No. 2, February 2002: „Hezbollah: Between Tehran and Damascus“ by Gary C. Gambill and Ziad K. Abdelnour https://www.meforum.org/meib/articles/0202_l1.htm

The Middle East Quarterly, Fall 2007, Vol. 14, No. 4: „Has Hezbollah’s Rise Come at Syria’s Expense?“ by Robert G. Rabil http://www.meforum.org/1755/has-hezbollahs-rise-come-at-syrias-expense

5. Institute for the Study of War: „Hezbollah in Syria“ by Marisa Sullivan (Middle East Security Report No. 19, April 2014) http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Hezbollah_Sullivan_FINAL.pdf

6. The Times of Israel, 27.12.2017: „Syrian rebels near Israel border ordered to surrender by regime forces“ https://www.timesofisrael.com/syrian-rebels-near-israel-border-ordered-to-surrender-by-regime-forces/

7. Reuters, 27.2.2018: „Exclusive: Chemical weapons watchdog investigates Ghouta attacks – sources“ https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-chemicalweapons/exclusive-chemical-weapons-watchdog-investigates-ghouta-attacks-sources-idUSKCN1GB12O?il=0

8. Siehe meine Serie „Baschar al-Assad – ich muss meine Meinung ändern“

9. CBS News / 60 Minutes, 25.2.2018: „What a chemical attack in Syria looks like“ by Scott Pelley https://www.cbsnews.com/news/what-a-chemical-attack-in-syria-looks-like/

10. MENA Watch, 23.2.2018: „Schutz der Zivilisten in Ost-Ghouta: Do it again IAF!“ von Thomas von der Osten-Sacken https://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/blaupause-aleppo-der-syrisch-russische-angriff-auf-ost-ghouta/

11. MENA Watch, 21.2.2018: „Assad-Regime und Russland bereiten Bodenoffensive auf Ost-Ghuta vor“ https://www.mena-watch.com/assad-regime-und-russland-bereiten-bodenoffensive-auf-ost-ghuta-vor/

12. MENA Watch, 7.9.2016: „Syrien: UNO als Erfüllungsgehilfe für Assads Säuberungen“ von Thomas von der Osten-Sacken https://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/die-uno-als-erfuellungsgehilfe-des-assad-regimes/

13. The Guardian, 13.1.2017: „Iran repopulates Syria with Shia Muslims to help tighten regime’s control“ by Martin Chulov https://www.theguardian.com/world/2017/jan/13/irans-syria-project-pushing-population-shifts-to-increase-influence

14. MENA Watch, 22.1.2018: „Bereits 14 von 21 Millionen Syrern geflohen oder vertrieben“ von Thomas von der Osten-Sacken https://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/syrien-lass-zahlen-sprechen/

15. MENA Watch, 23.2.2018, a.a.O.

16. web.de, 28.2.2018: „Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels im Interview: „Bei der Bundeswehr reicht es hinten und vorne nicht”“ https://web.de/magazine/politik/wehrbeauftragter-hans-peter-bartels-interview-bundeswehr-reicht-32819206

 

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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