(David Berger) Spiegel-Online brachte heute morgen um 8 Uhr einen Bericht mit dem Titel
„Hamburger-Billbrook: Migranten-Anteil Fast 100 Prozent“
Darunter unzweideutig, was das bedeutet:
„Deutsch ist in Hamburg-Billbrook eine Fremdsprache, die Integration von Flüchtlingen scheint kaum möglich.“
Und weiter:
„Billbrook ist ein abgehängtes Viertel. Hierher zieht nur, wer vom Amt oder der eigenen Bedürftigkeit dazu genötigt wird. Fast acht von zehn Einwohnern sind Ausländer, der Anteil der Billbrooker mit Migrationshintergrund ist binnen sieben Jahren von 65 auf 85 Prozent gestiegen, unter Kindern beträgt er 98 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt knapp unter zehn Prozent, das Bildungsniveau am Boden: Lediglich 11,9 Prozent der Schüler besuchen ein Gymnasium, in ganz Hamburg ist es sonst nahezu jeder Zweite.“
Soweit so realistisch – ausnahmsweise sogar mal bei Spiegel-Online. Dann aber scheint die Redaktion doch angesichts des ungewöhnlichen eigenen Mutes zur Benennung von Fakten erschrocken zu sein. Und sich auf die seit Jahren eingeübten Traditionen der Redaktion besonnen zu haben. Keine Zwei Stunden hieß der Artikel:
„Ein hartes Pflaster, aber keine Sackgasse“
In den Vordergrund ist nun wieder die für SPON typische, gemerkelte Wunschwelt des „Wir schaffen das“-Journalismus getreten:
„Im „Schulkinderclub“ versuchen Pädagoginnen, das Beste aus der schwierigen Situation zu machen.“
Und uns wird die frohe Botschaft vermittelt:
„Warum kommen die Schüler trotz all der Konflikte und Sprachbarrieren so gut miteinander aus? Awad lehnt im Türrahmen zur Küche und setzt ein wissendes Gesicht auf. „Die Kinder, die vor drei Jahren nach Deutschland kamen, sind heute kleine Dolmetscher und Integrationshelfer für die Neuankömmlinge.“
Nur noch eine kleine Reminiszenz an die frühen Morgenstunden, in denen kurz der Mut zu der ungeschönten Wirklichkeit aufflammte, blieb erhalten: Der Bericht verwendet weiterhin die ursprüngliche URL, die mit dem originellen Titel weiterhin vorgesehen ist.
Auch bei Google kann man den Artikel noch unter seinem alten Titel finden:
Nicht mal nach der „Überarbeitung“ des Beitrags traut man allerdings seinen Lesern, denn vorsorglich verbietet man sich jede Diskussion zu dem Beitrag. Am Ende des Artikels heißt es:
„Liebe Leserinnen und Leser,
im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf SPIEGEL ONLINE finden Sie unter diesem Text kein Forum. Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge, dass eine gewissenhafte Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich ist. Deshalb gibt es nur unter ausgewählten Artikeln zu diesem Thema ein Forum. Wir bitten um Verständnis.“
Wer es noch nicht bemerkt haben sollte, der wird es sich spätestens jetzt eingestehen müssen: mit Journalismus im klassischen Sinne hat das, was bei SPON passiert, nicht mehr viel zu tun. Höchstens man würde den Journalismus der DDR als Maßstab anlegen …
Und übrigens: Wer dennoch kommentieren will, hat hier (noch?) eine Chance:
Integration im Problemviertel: Ein hartes Pflaster, aber keine Sackgasse https://t.co/KmyI08IggD pic.twitter.com/gRiPPuBFlr
— SPIEGEL ONLINE (@SPIEGELONLINE) July 23, 2017
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