Sonntag, 22. Dezember 2024

Ehe für alle – kein Thema

Ein Gastbeitrag von Patrizia von Berlin

Ich selbst bin von dem Thema in keinster Weise betroffen. Früher hatte ich ohne jedes Verständnis auf die Forderung der Ehe-Öffnung geblickt und aus diesem Grund habe ich heute noch viel Empathie für die ablehnende Seite. Als ich dann gleichgeschlechtliche Paare kennen lernte, die sich nicht so sehr von klassischen, miteinander älter gewordenen Ehepaaren unterschieden, brach meine recht oberflächliche Weltsicht in dieser Frage sehr schnell zusammen. Alljährliche Tagesschauschnipsel mit nackten Tatsachenberichten der diversen CSDs hatten, so merkte ich, doch ein recht simples Bild entstehen lassen.

Heute befürworte ich die Eheöffnung. Vielleicht gelingt es mir ja bei beiden Seiten ein wenig Verständnis für die andere Seite zu wecken und vielleicht ist meine Entscheidung hilfreich für Andere, die sich eine Meinung bilden wollen.

Die Bundeskanzlerin macht Schlagzeilen

Der Wahlkampf tobt und die Kanzlerin hat nicht nur die, achtlos weggeworfene, Deutschlandfahne wieder hervorgeholt, sondern eine weitere Erleuchtung gehabt. Das jahrelange schlechte Bauchgefühl rund um die gleichgeschlechtliche Ehe, wurde mit einem wahrhaft erleuchtenden Ereignis ausgelöscht. Aus Saulus wurde Paulus, für die Bibelfesten unter uns. Oder: aus Saul*Ine wurde Paul*Ine für die Genderfraktion.

Was war passiert?

Sie lernte ein lesbisches Paar kennen, das sich rührend um 8 Pflegekinder kümmert.
REVOLUTIONÄR. Frauen erziehen Kinder. Ohne Männer. Wie war das doch gleich in den Kriegsjahren, als die Wehrmacht 16 Millionen (männliche) Angehörige hatte?

Vermutlich hätte die Kanzlerin auch die Hälfte ihrer älteren CDU Fraktionsmitglieder fragen können, um zu hören, ob da anständige Menschen dabei herauskommen. Nicht aus der Wehrmacht natürlich, sondern aus der Alleinerziehung durch die Mütter während der jahrelangen Abwesenheit der Väter. Es spricht Bände über die Qualifikation einer Kanzlerin, wenn so ihre Meinungsbildung aussieht.

Ehe für alle jetzt als Gewissensentscheidung!

Kanzlerin Merkel schockierte dann noch mit einer weiteren Ansage: Die Entscheidung der Abgeordneten sei „eher eine Gewissensentscheidung“. Erstaunlich, dass die Regierungschefin den Art. 31 Abs. 1 scheinbar als Sonderfall begreift. Die Abgeordneten sind NUR ihrem Gewissen unterworfen. Steht da. Wenn das die Kanzlerin wüsste.

Ein Thema, das eigentlich kein Thema ist, aber dazu gemacht wird.

Was dann passiert, zeigt wie verrückt Politik manchmal ist. Themen von größter Tragweite finden kaum Resonanz. Man denke an den schnell durchgepaukten Euro Rettungsschirm, mehrere Hundert Milliarden €, 3 Tage, Thema fertig. Und dann die sich entwickelnden, von beiden Seiten sehr engagiert geführten Diskussionen um die „Ehe für alle“. In aller Munde, aktuell eines der beherrschenden Themen im Wahlkampf.

Um was geht es?

Es geht um das Recht -für gleichgeschlechtliche Paare außerhalb des Schutzalters- eine Zivilehe eingehen zu dürfen. Eine Zivilehe ist ein Vertrag zwischen zwei Menschen, der im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist. Der Staat regelt die Grenzen für diesen Vertrag: Mindestalter, Ausschluß von Polygamie und Verwandtenehe, etc. und die Pflichten.

Sachliche Einwände dagegen?

Um es vorweg zu nehmen: keine Stichhaltigen.

Kindeswohl sei in Gefahr. Das ist nicht im Eherecht geregelt. Die Frage der Adoption hat damit erstmal nichts zu tun.

Die Ehe als Keimzelle der Reproduktion. Was sicher richtig ist, aber eben nicht ausschließlich. Niemand würde auf die aberwitzige Idee kommen, zeugungsunfähigen oder -unwilligen Menschen die Ehefähigkeit abzuerkennen. Die Ehe war immer das, was das BGB vorsieht: eine füreinander Verantwortung tragende Lebensgemeinschaft. §1353 BGB

Ethische Einwände. Es gibt jedoch schwerwiegende Einwände, die aber alle aus dem übergeordneten Bereich der Werte, der Überzeugungen kommen. Und hier merkt man, dass die Befürworter der gleichgeschlechtlichen Ehe in den vergangenen Jahren eher auf ihre politische Macht, als auf Überzeugung gesetzt haben. Von einem gesellschaftlichen Konsens sind wir, auch wenn eine Mehrheit der Bürger für Eheöffnung ist, weit entfernt.

Die Gegner argumentieren meist, wie Laack hier bei PP, mit ihrem Gewissen bzw. mit ihrem Bauchgefühl, was ja nur eine etwas unreflektiertere Form der Gewissensentscheidung darstellt. Und man macht es sich zu leicht, hier mit simplen Parolen einfach drüber wegzugehen. Ein gesellschaftlicher Konsens ist nur mit Überzeugung, nicht mit Diffamierung anderer Meinungen zu erreichen.

Und gerade im Interesse der gesellschaftlichen Achtung von Paaren, die nach einer Eheöffnung dieses Recht nutzen, ist gesellschaftlicher Konsens sehr wichtig. Die lautesten Pro-Schreihälse werden wahrscheinlich nicht diejenigen sein, die unter nichtüberzeugten Nachbarn, Kollegen, etc. leiden.

Der Artikel bei Philosophia Perennis spiegelt sicher einen Schwerpunkt der Ablehnung wieder: weltanschauliche Gründe. Soweit jedoch, wie Laack, theologische Gründe angeführt werden, muss man entgegenhalten, dass dies kein Grund sein kann, zwei Menschen einen Ehevertrag zwischen sich zu verbieten. Das sagen sogar konservative Theologen wie der Dominikanergelehrte Richard Peddicord (Richard Peddicord, Gay and Lesbian Rights. A Question: Sexual Ethics or Social Justice Kansas City 1996).

Wenn van der Laack schreibt:

„Für einen Katholiken zumindest ist die Ehe das von Gott gestiftete und den Menschen geschenkte unzerstörbare Band und Bündnis zwischen einem Mann und einer Frau.“

dann würde ich das zum einen theologisch längst nicht so eindeutig ansehen.

Das entscheidende Argument ist aber, dass wir seit dem westfälischen Frieden ein multikonfessionelles Land sind und dass es klug ist, wenn der Staat sich im Zweifel nicht von einer der Kirchen vorschreiben lässt, wie Gesetze auszusehen haben. Denn diese Gesetze binden alle Bürger. Im Übrigen wird ja niemand daran gehindert, wenn es gegen die eigene Überzeugung verstößt, eine Ehe einzugehen.

Und das scheint mir das wichtigste Argument überhaupt zu sein: Wenn jemand eine Ehe eingeht, dann ist niemand anders betroffen, geschädigt.

Die Gegner müssen sich also fragen, wie wichtig es für sie ist, die Lebensplanung anderer Menschen zu beeinträchtigen, nur um ihre Sicht der Dinge allgemeinverbindlich zu machen. Das kommt mir ein bisschen so vor, als wenn man sich über das zu hohe Gehalt des Nachbarn aufregt und am Liebsten eine gesetzliche Gehaltsgrenze hätte. Natürlich oberhalb des eigenen Gehalts.

Gerade Konservative sollten es doch als Kompliment nehmen, wenn ihr Lebensentwurf so attraktiv für Andere ist, dass sie sich den gleichen Regeln unterwerfen wollen.

Wenig praktische Bedeutung

Es ist eigentlich unsinnig über dieses Thema so intensiv zu diskutieren. Als ob Deutschland 2017 keine drängenderen Probleme hätte. Ich habe den Eindruck, dass die Energie und das Engagement besser in andere Themen investiert wären.

Rund 41.000 eingetragene Partnerschaften (also „Ehe light“ für gleichgeschlechtliche Partner) gab es 2014. Im Vergleich zu rund 18 Millionen klassischen Ehen. Also 0,2277%. Was David Berger Recht gibt, wenn er von einem Luxusproblem spricht und auf, gerade für LGBTs, wichtigere Probleme hinweist.

Allerdings ist die Verweigerung von grundlegenden Rechten keine Frage von Quantität.
Es ist eine grundsätzliche Frage und man sollte sich auf Seiten der Gegner überlegen, ob man deswegen die eigenen Prinzipien, wie den Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, in Frage stellen will. Ist es das wirklich wert?

Noch dazu, da uns die aus den Niederlanden vorliegenden Zahlen vor Augen führen, dass der Untergang des Abendlandes nicht durch die Eheöffnung droht. Dort wurde in 2001, als erstem Land weltweit, die Eheöffnung legalisiert. Seitdem gab es 15.000 gleichgeschlechtliche Ehen, was etwa 2% aller dort geschlossenen Ehen entspricht. Die festere und mit mehr Rechten versehene Bindung scheint also attraktiver, als die deutsche, aktuelle Regelung zu sein.

Ein besonderes Argument für Konservative hat das Beispiel Niederland noch zusätzlich parat: Liegt der Anteil der geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen bei 2%, so liegt deren Anteil bei Scheidungen nur halb so hoch.

Also Gegner: Bitte entspannt Euch, nichts in Eurem Leben wird sich ändern, aber einige Mitmenschen macht es sehr glücklich.

Und Befürworter: Bitte runter von Eurem hohen Ross, weg mit dem inquisitorischen Gehabe, nehmt die Einwände ernst, geht auf die Gegner zu und zeigt, dass Liebe und die Übernahme gegenseitige Verantwortung nichts ist, vor dem sich irgendjemand fürchten muss, sondern dass das positive Werte für die gesamte Gesellschaft sind.

Patrizia von Berlin
Patrizia von Berlinhttps://philosophia-perennis.com/
Für die Freiheit nicht lügen zu müssen. Eine Lebensweisheit, die ich vor vielen Jahrzehnten von Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) erhielt. Ich lernte, was das Wichtigste für ihn war, als er in den freien Westen ausgesiedelt wurde. Nicht Reisen, nicht die Genüsse der Welt. "Dass ich nicht mehr lügen muss", war seine Antwort.

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