Freitag, 8. November 2024

ESC: Vitoria para Portugal – Für ein Europa der Nationen! Gegen den blinden Zeitgeistgehorsam!

Nachdem der Artikel „Warum ich beim ESC wieder ein Europa der Nationen geboten haben will“ eine Erfolgsgeschichte national gefärbter Musik beim ESC aufzeigte, ging im ESC-Finale von Kiew ein weiteres Signal aus: Die Länder dürfen wieder mehr Mut haben, sich beim Eurovision Song Contest national zu präsentieren. Ein Gastbeitrag von Daniel Schweizer

Der erste Etappensieg fing schon mit den Semifinals an. Von den sechs ganz oder teilweise landessprachlichen Beiträgen in Kiew waren drei ohnehin bereits fest im Finale gesetzt, da Spanien, Frankreich und Italien neben dem Vereinigten Königreich und Deutschland als zahlungskräftigste EBU-Mitgliedsländer automatisch qualifiziert sind. Die drei anderen landessprachlichen Beiträge aus Portugal, Ungarn und Weißrussland mussten zuerst durch die Halbfinals, aus denen sich jeweils zehn Länder für das Finale qualifizierten. Dort gelang bereits der erste Etappensieg für die Landessprachen: Portugal, Ungarn und Weißrussland gelang allesamt die Qualifikation für das Finale.

Die wenigen nicht-englischen Beiträge schienen also den europäischen Zuschauern im Finale als Abwechslung willkommen. Alle sechs landessprachlichen Beiträge waren im großen Finale von Kiew vertreten und konnten sich somit dem Wettbewerb mit der Frage stellen: Wer übernimmt als nächstes die Gastgeberrolle?

In dem Finale aus 26 Teilnehmern gelang dann auch den landessprachlichen Beiträgen ein durchaus achtungsvoller Erfolg. Er wird vielleicht auch 2018 wieder mehr Ländern Mut machen, zu ihrer nationalen Identität zu stehen: Insgesamt vier von sechs landessprachlichen Liedern in der vorderen Hälfte, drei davon unter den Top 10.

Der aus Ungarn stammende Joci Papai hatte wohl im gesamten Teilnehmerfeld die optimalste Mischung aus Tradition und Moderne. Ungarische Folklore in einem modernen Arrangement. Das Sprachenmix aus Ungarisch und Romani ließ diesen national gefärbten Beitrag „Origo“ umso authentischer wirken. Als Belohnung sprang am Ende ein beachtlicher 8. Platz heraus.

Er konnte wunderbar aus der Masse herausstechen und kam entsprechend gut an, beim Televoting sogar deutlich besser als bei den Bewertungen der fragwürdigen Juries: Nur 48 Punkte von den Juries, aber beachtliche 152 Punkte vom europäischen Publikum – im Gesamtergebnis 200 Punkte.

Der im Vorfeld bei den Wettquoten als Sieger hochgehandelte Italiener Francesco Gabbani konnte mit „Occidentalis Karma“ zwar seinen Erwartungen nicht ganz gerecht werden. Doch letztendlich war auch sein am Ende erzielter 6. Platz ein beachtlicher Erfolg, mit dem er 20 andere Teilnehmer hinter sich ließ. 334 Punkte, davon 208 vom Televoting und 126 von den Juries. Und sein 6. Platz bestätigte ebenfalls: Will man beim ESC Erfolg haben, muss man seine nationale Heimatsprache nicht verleugnen.

Ein noch klareres Signal für ein Europa der Nationen und gegen ein blindes Einknicken vor dem Zeitgeist war der Siegertitel: Salvador Sobral aus Portugal mit „Amar pelos dois“.

Er gewann sowohl das Votum des europäischen Publikums mit 376 Punkten als auch das Votum der Juries mit 382 Punkten – in der Summe 758 Punkte.

Rein musikalisch gesehen hätte zwar diese Jazz-Ballade auch aus jedem anderen Land kommen können. Aber dank der portugiesischen Sprache verleugnet sie auch ihren nationalen Charakter nicht. Nach dem teilweise in Krimtatarisch gesungenen Siegertitel des Vorjahres haben wir nun in diesem Jahr als Krönung einen Siegertitel, der komplett in der nationalen Heimatsprache gesungen wurde.

Wie schon 2007 und 2016 zeigte also auch dieses Jahr einmal wieder: Wenn man den überzeugendsten Beitrag des Jahrgangs am Start hat, muss man nicht seine nationale Identität verleugnen, um zu gewinnen. Salvador Sobrals Sieg setzte nicht nur ein Zeichen für ein Europa der Nationen beim ESC. Auch musikalisch gesehen war das ein Zeichen gegen blindes Einknicken vor dem Zeitgeist. Die Jazz-Ballade „Amar pelos dois“ klingt weder im herkömmlichen Sinne chartverdächtig noch nach einem eurovisionstypischen Siegertitel. Sie vermittelt eher die Nostalgie früherer Jahrzehnte. Aber die Zuschauer in ganz Europa ließen sich eben nicht davon blind beeindrucken, was derzeit in den Charts angesagt ist. Sondern viel mehr gaben sie dem Lied ihre Stimme, das am meisten ihre Gefühle berührte.

Und heraus kam ein Siegertitel, dessen gesamter Charakter eigentlich konservativer nicht sein konnte.

Natürlich muss man vorsichtig sein, eine Unterhaltungssendung mit dem realen gesellschaftlichen und politischen Leben zu vermischen. Dennoch sollte eine Paralelle nicht unerwähnt bleiben. Täglich bekommen wir hier bei Philosoophia Perennis lesenswerte Beiträge, in denen mit guten Argumenten vor einem blinden Zeitgeist gewarnt gewarnt wird. Und haben nicht auch im Eurovisionsfinale von Kiew die Zuschauer symbolisch – auf der Unterhaltungsebene – ein Zeichen gesetzt, dass sie ihre Werturteile NICHT vom Zeitgeist abhängig machen wollen?

Eine besondere Hochachtung gilt an dieser Stelle auch dem Siegerland Portugal. Seit 1964 nimmt es am europäischen Sängerwettstreit teil. Und 53 Jahre nach der ersten Teilnahme kam am vergangenen Samstag zum allerersten Mal der lang ersehnte Sieg. Bis 1996 war Portugal wenigstens ab und zu das Glück beschert, in den Top 10 zu landen. Aber seit 1997 gelang dieser Kulturnation im äußersten Südwesten Europas keine Top-10-Platzierung mehr. Seit 2004 die einzelnen Länder zuerst in einem Halbfinale antreten müssen, um überhaupt am Samstagabend dabei zu sein, konnte sich Portugal bislang nur viermal qualifizieren: 2008, 2009, 2010 – und 2017. Wer über Jahre den ESC verfolgte, konnte eigentlich gar nicht mehr daran glauben, dass jemals Portugal als Sieger hervorgeht. Umso überraschender war es, als Portugal dieses Jahr nach Feststehen des Beitrags sich auf den vorderen Plätzen der Wettquoten befand. Und am Ende sogar den Sieg holte.

Obwohl Portugal so wenig von Erfolg verwöhnt war, hatte es sich so gut wie nie für den Eurovision Song Contest verbogen. Nur wenige Male sang es überhaupt teilweise in Englisch. Ansonsten blieb es immer beim ESC seiner Landessprache treu. Manch ein anderes Land hatte seine ausbleibenden Erfolge auf die Landessprache geschoben und unter – oft falscher – Hoffnung auf mehr Erfolg englischsprachige Lieder zum ESC geschickt. Portugal verleugnete beim ESC so gut wie nie seine nationale Identität. Die trotz ausbleibender Erfolge gehaltene Treue zur Landessprache wurde nun im Eurovisionsfinale von Kiew endlich belohnt: Mit dem seit 53 Jahren ersehnten Sieg – und hoffentlich 2018 mit einem hoffentlich wunderschönen Song Contest in Lissabon .- sicher in einer der schönsten Kulturmetropolen des Abendlandes.

Zum deutschen Beitrag noch eine kleine Anmerkung: Es wäre falsch, nach dem vorletzten Platz gegen Levina nachzutreten. Sie wurde vom deutschen Publikum gewählt, uns in Kiew zu vertreten. Und sie hat ihre Sache auf der Bühne nicht besser oder schlechter gemacht als viele Interpreten, die vor ihr landeten. Aber vielleicht war „Perfect life“ schlicht und ergreifend ein zu banales Lied. Ihm fehlte einfach die nötige Polarisierung, die man für Erfolge im Unterhaltungsbusiness braucht. Portugal, Italien und Ungarn dagegen waren durchaus positive Beispiele, wie man mit etwas Polarisierung auch einen achtungsvollen Erfolg erzielt. Im Übrigen hätte Deutschland nach den desaströsen Ergebnissen der letzten Jahre nichts zu verlieren. Und könnte doch einfach einmal den Mut aufbringen, 2018 ein Lied in deutscher Sprache nach Lissabon zu schicken. Eines, das erst einmal beim einheimischen Publikum gut ankommt. Alles weitere lässt sich abwarten. Salvador Sobral hatte sein Lied sicher auch nicht in erster Linie in Kiew vorgetragen, um zu gewinnen.

An dieser Stelle ein Dankeschön an die europäischen Zuschauer für die Kürung dieses nostalgisch gefühlvollen Siegertitels! Um es in der Gesangssprache des Siegertitels zu sagen: OBRIGADO!!!!

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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