Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz
Er war der wichtigste Denker Europas, ja, der Welt der letzten 2.300 Jahre. In ihm gipfelte die zweite große Aufklärungswelle der Menschheitsgeschichte nach der ersten in der griechischen Antike (Sokrates, Platon, Aristoteles), die des 18. Jahrhunderts.
Er ebnete mit seiner Moral- und Staatsphilosophie dem Menschenrechtsdenken den Weg. Er war es, der den Begriff und die Idee der Menschenwürde erstmals fernab von allen metaphysischen Spekulationen rein analytisch herleitete als innere, allgemeine Eigenschaft des Menschen, die im Kern unveränderlich ist. Er arbeitete heraus, was (innere) Freiheit wirklich bedeutet.
Er ist der geistige Hauptvater aller Menschenrechtserklärungen und unseres Grundgesetzes. In ihm kulminierte der Geist der Menschheit und fand seinen zweiten Höhepunkt nach Platon und Aristoteles.
Und was ist mit dem Haus, in welchem er lebte? Zur Ruine verkommen. Obdachlose hausten in der Ruine und schrieben an die Wand: „Kant ist ein Trottel“.
Das zeigt wohl, in welchem geistigen Zustand sich Europa befindet: geschichtsvergessen, kulturvergessen, geistvergessen. Auf dem Weg zur völligen Verblödung.
Immer mehr zum konsumistischen Tier degenerierend, welches sich für seine eigene Kultur und Geschichte, die es längst gar nicht mehr versteht, überhaupt nicht mehr interessiert. Sich stattdessen lieber dem primitiven Welt- und Menschenbild aus dem Nahen Osten andienend. Vielleicht weil es dieses besser versteht, weil es ihm inzwischen ähnlicher ist?
Passt es da nicht gut ins Bild, dass ausgerechnet ein ganz anderer aus seiner Privatkasse das Haus Kants renovieren lässt? Es ist übrigens der Gleiche, der Edward Snowden, einer der letzten großen Helden unserer Zeit und einer der Wenigen, der es wagte, sich mit der Supermacht Nr. 1 anzulegen, bei sich aufnahm und ihm Unterschlupf und Sicherheit gewährte.
Wie traurig ist es, dass ein russischer Despot unsere Werte, unsere Kulturgeschichte, unsere Freiheit verteidigen muss, da wir dazu nicht mehr in der Lage sind?
Das Schlimmste aber dürfte sein: Die meisten werden sich dafür nicht mal schämen, weil die Verblödung bereits ein Stadium erreicht hat, dass sie selbst dazu nicht mehr imstande sind.
Ein Diktum Kants hat mir immer besonders gefallen und hat mich tief berührt (man muss nicht jeden Satz verstehen, manches kann man in seiner Wahrheit und Tiefe auch erspüren):
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.
Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz.
Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins Unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer.
Das zweite fängt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher … ich mich, nicht wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne.
Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen.
Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart …
(Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft – Beschluss)
Davon, daran kann es keinen Zweifel geben, entwickeln wir uns lange schon wieder weg, entwickeln uns geistig rückwärts. Der Ein oder Andere wird sich dabei vielleicht an Albert Einsteins berühmtes Diktum erinnern, womit der Kreis sich schließt:
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Es wird Zeit für die Umkehr zur Umkehr. Höchste Zeit!
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Siehe auch: Unzensuriert.at
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Zum Autor:
Jürgen Fritz ist ein Kind des Humanismus und der Aufklärung, glaubt an das Gute und Schöne in jedem Menschen, welches er aber, im Gegensatz zu naiven Romantikern, als durch Bildung (Humanismus) zu Entwickelndes ansieht.
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