Sonntag, 22. Dezember 2024

Wahlerfolge der AfD – Ein Plädoyer für demokratischen Dialog

Die Medien und die anderen Parteien sind sich weitgehend einig: Der enorme Zulauf der AfD bedeutet einen Rechtsruck und noch mehr – nämlich, dass die harte Grenze nach rechts aufweicht. Stimmt das oder ist das eher eine nicht ganz regelkonforme Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner? Warum wird die AfD überhaupt gewählt? Ein Gastkommentar von Patrizia von Berlin

Aus Sicht der Wähler gibt es bei drei Großthemen, Migration, Euro und Islam, nur die Alternative zwischen den Bundestagsparteien, der Wahlenthaltung oder eben der AfD. Das heißt, der Protest der Bürger kann sich nur über die AfD ausdrücken oder bleibt im außerparlamentarischen und zumeist außermedialen Raum.

Dass das für die betroffenen Bürger unbefriedigend ist: verständlich. Aber auch aus Sicht der gesamten Gesellschaft ist es nicht gut, wenn ein Teil keine Repräsentation im Parlament – eine Gesellschaft ist nur stabil, wenn sie über einen Grundkonsens verfügt.

Dass die Bürger dann eine Güterabwägung vornehmen und dabei nicht zu 100% auf die reine Lehre schauen, kennen wir ja schon von einer anderen Protestpartei: der Linken. Verfassungsfeindliche Untergruppierungen, offene Hetze gegen den Klassenfeind und vieles andere haben Wähler in ähnlichen Größenordnungen auch nicht abgehalten.

Aufgefallen ist das natürlich weniger, denn die Presse war eher unkritisch. Ein Entrüstungssturm, wenn Unternehmer als Verbrecher bezeichnet werden? Nein, da muss man doch mit Ruhe und Augenmaß objektiv berichten. Die attraktive und kluge Sarah Wagenknecht als schönes Gesicht oder als die schönen Beine einer hässlichen Ideologie zu bezeichnen, ist doch wirklich mehr als man von anständigen, engagierten und kritischen Journalisten erwarten kann, oder?

Den Grünen ihre Anfangszeit vorzuhalten, wäre auch völlig unprofessionell. Da war ja auch nichts. Linksradikale Mitglieder einer gewalttätigen K-Gruppe im Bundesvorstand, Bekämpfung des staatlichen Gewaltmonopols, Angstkampagnen mit wechselnden Themen über Jahrzehnte. Und über das Pä*Wort spricht man doch gar nicht, das Thema ist ja viel zu ernst und wird viel zu leicht missverstanden …

Oder die CDU, die Schwesterpartei der Fidesz (Orban), der Forza Italia (bis 2013) und natürlich der AKP (bis 2014) innerhalb der EVP. Heimat zahlreicher Grauer Wölfe und mit einer nicht gerade ruhmreichen Geschichte der Abgrenzung zu NSDAP-Mitgliedern oder der Blockpartei CDU (Ost).

Man könnte noch Vieles mehr anführen: nicht verfassungsgemäße Haushalte, das gezielte Belügen der Wähler vor der Wahl über Tatsachen. Die reine Lehre der Demokratie ist also nicht erst durch die AfD in Gefahr geraten.

Dass die AfD Gegner – auch die in den Medien – der AfD mit ihrem Umgang ein Biotop verschafft haben und verschaffen, ist wahrscheinlich ein zu komplexer Gedanke für viele. Dabei ist es doch eigentlich nahe liegend, dass eine Entzauberung, von der man immer träumt, nur gelingen kann, wenn man sich mit Argumenten mit den Ideen der AfD auseinandersetzt. Aber: Man tut das Gegenteil.

Man hetzt, z.T. aus offizieller Position und mit Einsatz staatlicher Ressourcen, man versucht sie mundtot zu machen, zu tabuisieren. Die großen Medien üben Druck au. Man setzt klammheimlich auf Gewaltandrohung – mit dem Ziel AfD-Veranstaltungen zu verhindern. Sogar bis hin zur wirtschaftlichen Vernichtung einzelner Mitglieder und Institutionen ist man bereit zu gehen.

Wenn eine Partei jedoch eine politische Position besetzt, die dem Willen zahlreicher Bürger entspricht, dann funktioniert das in einer Demokratie auf Dauer nicht. Die etablierten Parteien und hier insbesondere die Grünen sollten das eigentlich wissen. Diese waren in den 80ern die Einzigen, die der Kernenergie ablehnend gegenüberstanden. Union, SPD, FDP im Bundestag, Gewerkschaften und Unternehmerverbände waren einheitlich pro AKW.

Und auch damals haben die hässlichen Seiten der Grünen die Bürger nicht von der Wahl dieser neuen Partei abgehalten. Teils extrem gewalttätige Demonstrationen, übelste Rhetorik, Extremisten in höchsten Parteigremien waren kein Hinderungsgrund – weil die Grünen alternativlos waren, wenn man Kernenergie ablehnte.

Verglichen mit den Grünen der Anfangsjahre jedoch, ist die AfD heute ein biederer und angepasster Haufen. Keine Relativierung der Gewalt, Protest nicht gegen das System, sondern innerhalb des Systems, volle Akzeptanz der Verfassung und des Prinzips der Legalität. Sie sind Welten entfernt von der systemfeindlichen NPD.

Die extrem hässlichen Seiten der AfD kann man sicher zum Teil der Tatsache, dass sie eine junge und sehr stark wachsende Partei ist, zuschreiben. Menschen, die in anderen Parteien auf dem Weg zu Positionen herausgefiltert würden, finden hier ihren Weg noch recht leicht. Die Beispiele sind zahlreich und dank der kritischen Presse weithin bekannt.

Sollte man hier also Welpenschutz zugestehen und schweigen? Nein, auf gar keinen Fall.
Aber man muss es eben aus der Situation heraus sehen und sollte der Partei Zeit geben, sich zu entwickeln. Viele glauben heute schon zu wissen, dass „die Rechten“ sich bei der AfD sammeln und somit die Gesamtpartei dominieren werden. Dass dies eine reale Gefahr ist, wird niemand bestreiten. Andererseits ist es genau dieser Effekt, der uns über viele Jahre eine Demokratie ohne sichtbare extremistische Ränder beschert hat.

Die Union auf der rechten und die SPD auf der linken Seite haben die Ränder lange Zeit sehr erfolgreich in unsere Demokratie integriert. Zuerst hat hier die SPD versagt, anschließend die Union. Der konservative Flügel ist heute praktisch nicht mehr existent und es sieht so aus, als ob er in der AfD wiedergeboren würde.

In der Politik ist es wie in der Physik: es geht nichts verloren, es taucht nur in anderer Form wieder auf. Die Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern von Union oder SPD bewirken bei der AfD natürlich einen Gegendruck zu den Rechten. Wer heute vorhersehen können will, wie die AfD am Ende positioniert sein wird, ist für mich total unglaubwürdig. Erst kürzlich hat ein erfahrener und von mir sehr geschätzter Kommentator die These aufgeworfen, man könne noch nicht einmal sagen, ob die AfD am Ende rechts oder links sein würde. Stichworte: Schnittmenge mit der Linken, Betonung der sozialen Frage, Kapitalismusfeindlichkeit.

Es bleibt also spannend und ob dieser Zustand so lange anhalten wird, wie bei der Frage Realo vs. Fundis, kann man heute ebenso wenig sagen, wie ob die Partei es schaffen wird, die Flügel zusammenzuhalten – wie die Grünen – oder ob diese zur Demontage der AfD führen werden.

Diese Fragen, die alle ganz spannend sind, kann man mit Ruhe betrachten. Wenn man Vertrauen in unsere Demokratie und die sie bestimmenden Bürger hat.

Die rote Linie ist für mich die Verfassungsmäßigkeit einer Partei. So lange ich sicher sein kann, dass wir Wähler Fehlentwicklungen per Stimmzettel wieder korrigieren können, fürchte ich mich vor keiner Partei. Ganz anders als etwa vor der NPD, deren erklärtes Ziel es ist, unsere Demokratie abzuschaffen. Hier ist jeder Fehler tödlich.

Solange Veränderungen im System angestrebt werden, mögen sie mir gefallen oder nicht gefallen, aber sie werden immer durch das Grundgesetz begrenzt und in diesem Rahmen muss ich damit leben. Eine Demokratie ist nun mal nicht mein persönliches Wunschkonzert, sondern ein komplexer Prozess des gesellschaftlichen Aushandelns der gemeinsamen Zukunft des Staatsvolks.

Egal was die AfD anrichtet, der Schaden wird geringer sein, als der von der Regierung Merkel zu verantwortende Schaden. Das mag man mögen oder nicht. Der Staatsbürger hat das an der Wahlurne so entschieden. Daraus ergibt sich, dass die politischen Konkurrenten sich mit der AfD im Rahmen unserer Gesetze und der Regeln des politischen Betriebes auseinandersetzen müssen.

An diesem Punkt würde es dann auch für die AfD gefährlich. Das Biotop würde sich öffnen und der Wettbewerb um die besten Argumente beginnen. Die Bürger könnten ihre Rolle als Schiedsrichter über die besten politischen Gestaltungsvorschläge übernehmen.

Haben die anderen Parteien Angst vor dieser Auseinandersetzung? Oder haben Sie Angst davor, dass manche ihrer Inhalte auf einmal nicht mehr so alternativlos da stünden? Oder ist es einfach nur taktisches Kalkül, weil man glaubt einen Gegner leichter auf Distanz halten zu können? Ich würde mir wünschen, dass man hier mit mehr Selbstbewusstsein in die politische Auseinandersetzung ginge.

Nur wenn man daran glaubt, dass die Bürger unfähig seien oder dass man den Bürgern nicht erlauben dürfe, ihre Wahl zu treffen, kann man das ablehnen.Dann allerdings lehnt man aber auch das Prinzip Demokratie ab.

Ich persönlich glaube an die positive Macht der demokratischen Verfassung.

Vorschaufoto: (c) von Oxfordian Kissuth (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Patrizia von Berlin
Patrizia von Berlinhttps://philosophia-perennis.com/
Für die Freiheit nicht lügen zu müssen. Eine Lebensweisheit, die ich vor vielen Jahrzehnten von Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) erhielt. Ich lernte, was das Wichtigste für ihn war, als er in den freien Westen ausgesiedelt wurde. Nicht Reisen, nicht die Genüsse der Welt. "Dass ich nicht mehr lügen muss", war seine Antwort.

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