„Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los.“
Am 4. September 2015 war der Tag, an dem Angela Merkel die Grenzen öffnete und damit illegale Grenzübertritten und damit einem ungebremsten Zuwandererstrom ermöglichte. Ein Jahr später, auf den Tag genau, am 4. September 2016, bekam sie dafür bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern die Quittung.
Ein Gastkommentar von Herwig Schafberg
„Die Nacht, in der Deutschland die Kontrolle verlor“, lautet die Überschrift eines Artikels, in dem die ZEIT in einer ihrer neuesten Ausgaben protokollierte, „welche Absichten, Pannen und Missverständnisse“ es gab, als Bundeskanzlerin Merkel am 4. September 2015 für 15000 syrische Einwanderer, die in Ungarn weder bleiben sollten noch wollten, die Grenzen unseres Landes öffnen ließ und insofern unbeabsichtigt (?) dazu beitrug, dass die Flüchtlingsströme auf dem Balkan völlig außer Kontrolle liefen und es schließlich ein bis zwei Millionen waren, die allein im vergangenen Jahr ungehindert ins Land kamen, weil es angeblich nicht möglich war, an der 200 km langen Grenze zu Österreich Einwanderer zu kontrollieren.
Was die Deutschen nicht zustande bringen mochten, schafften dann die Österreicher, Ungarn, Slowenen und Makedonen mit ihren Grenzzäunen. Und am Ende war der türkische Präsident Erdogan jener „Herr und Meister“, dem Angela Merkel es ähnlich wie der Zauberlehrling in Goethes gleichnamigem Gedicht überließ, wenigstens „die Geister“, die dem vermeintlichen Ruf der Kanzlerin noch folgen wollten, unter Kontrolle zu halten. Damit machte sie sich aber von Erdogan abhängig und erpressbar; denn „als Geister ruft euch nur zu seinem Zwecke erst hervor der alte Meister.“ In dieser Rolle gefällt sich der Führer, wie er von seinen türkischen Anhängern genannt wird!
Am Anfang war das Hehlwort „Flüchtlinge“
Am Anfang war das Wort. So heißt es in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Und ein Wort war auch am Anfang jener irdischen Entwicklung, die Kathrin Göring-Eckart, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, ins Schwärmen brachte: „Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt.“ Doch es war kein göttliches Geschenk, wie die grüne Vorfrau der Evangelischen Kirche vielleicht glaubte, sondern eine staatliche Wohltat, an der eine profane Wortschöpfung der Medien mit der Bezeichnung „Flüchtlinge“ von Anfang an meinungsbildend beteiligt war. Und dieses Wort wirkte auf die Grenzen unseres Landes wie ein „Sesam-öffne-Dich“.
Es war zwar kein neu gebildetes Wort, aber ein neu verwendetes Hehlwort zur Vermeidung unerwünschter Konnotationen und zur Verbrämung einer Entwicklung, in der es um „illegale Einwanderer“ ging, wie die „Flüchtlinge“ in allen europäischen Ländern außer Deutschland und Österreich genannt wurden. In erster Linie ging es um Syrer, die eigentlich gar keine Flüchtlinge mehr waren, sobald sie es von Syrien in die Nachbarländer geschafft hatten, sondern die zu Einwanderern wurden, sofern sie nach Europa weiter zogen – und auf dem Wege dorthin zu illegalen Einwanderern wurden, wenn sie nicht in dem Land der EU blieben, in dem sie als erstes an Land gegangen waren und insoweit Asyl suchen durften.
Mit der euphemistischen, aber undifferenzierten Bezeichnung „Flüchtlinge“ für sämtliche Einwanderer, die von sogenannten Schleppern nach Europa gebracht worden sind, wurde zudem verhehlt, dass mit den „Flüchtlingsströmen“ auch schuldbeladene Schwerenöter ohne zwingenden Grund zur Flucht aus Syrien den Weg hierher geschafft haben: Gewöhnliche Kriminelle, Schergen des Assad-Regimes und Islamisten.
Dem Kontrollverzicht an den Außengrenzen folgte der Kontrollverlust im Landesinnern, um den wir uns aber keine Sorgen machen müssten, meint der altgediente Grüne Daniel Cohn-Bendit; denn unter den „Flüchtlingen“ gäbe es höchstens 1-2% Terroristen. Wenn man davon ausgeht, dass im letzten Jahr ein bis zwei Millionen „Flüchtlinge“ nach Deutschland kamen, wären es also mindestens 10 000, die bei uns Angst und Schrecken verbreiten wollen. Falls einige von ihnen tatsächlich zu Werke gehen, werden sie hoffentlich ebenso wenig Schaden anrichten wie kürzlich der syrische Attentäter von Ansbach, der in Bulgarien Asyl beantragt hatte, sich jedoch illegal in Deutschland aufhielt und „an den Deutschen rächen“ wollte.
Ein anderer, der auf einer Bahnfahrt nach Würzburg mit der Axt über Reisende herfiel, war kein Syrer, sondern Afghane. Es sind halt Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich mit oder ohne Not auf den Weg nach Deutschland machten und euphemistisch als „Flüchtlinge“ ins Land gelassen wurden. Viele von ihnen warfen ihre Pässe fort und gaben sich als „Syrer“ aus, nachdem die deutsche Bundesregierung sich im August 2015 zur Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge bereit erklärt und Anfang September die Grenzen geöffnet hatte. Das sprach sich weit über Syrien hinaus in allen Ländern zwischen Afghanistan und dem Maghreb herum und wirkte auf viele Menschen dort wie ein Signal zum Aufbruch ins „gelobte Land“.
Menschen, die als Notleidende oder Beutesuchende zu Millionen aus dem Nahen sowie dem mittleren Orient und Nordafrika, aber auch von weiter her aus Schwarzafrika nach Europa kommen, verhalten sich nicht anders als Millionen Europäer, die im Laufe der Neuzeit nach Amerika auswanderten: Es fing an mit spanischen „Secundonos“ – zweitgeborenen Söhnen, die als Konquistadoren oder Kolonisten nach Lateinamerika gingen, weil sie keinen Erbanteil am väterlichen Hof zu erwarten hatten. Es ging weiter mit Iren, die in Nordamerika Zuflucht vor der Hungersnot in ihrer Heimat suchten, sowie anderen „Mühseligen und Beladenen“ aus Europa. Und es gab eine lange Reihe religiös Verfolgter, die von englischen Protestanten auf der Suche nach Glaubensfreiheit bis hin zu Juden auf der Flucht vor Pogromen in Rußland reichte.
Doch sobald die einen wie die anderen in Amerika eingewandert waren, wurde ihnen in der Geschichtsschreibung der Status von „Flüchtlingen“ gewissermaßen aberkannt und ihre Migrationsbewegungen in Verbindung mit Landnahme sowie Bereicherung an Ressourcen – zu Lasten der indigenen Bevölkerung – unter dem Begriff Kolonialismus subsumiert.
Welchen Begriff die Geschichtsschreibung dereinst für die Masseneinwanderung von Arabern sowie anderen Muslimen und Schwarzafrikanern gleich welcher Religion in der Europäischen Union und im besonderen der Bundesrepublik Deutschland verwenden wird, wissen wir nicht.
Bisher wissen wir ja nicht einmal, wer alles in Millionenhöhe unkontrolliert die Grenzen überschritt und wie viele Millionen sich noch auf den Weg nach Europa machen werden; denn die demographische Entwicklung in den arabischen und schwarzafrikanischen Ländern bringt anhaltend hohe Überschüsse an jungen Männern ohne günstige Perspektiven auf dem Arbeits- sowie Heiratsmarkt hervor und dieser Youth bulge hat zur Folge, dass weiterhin viele Jüngere ihr Heil in der Emigration nach Europa suchen, während in ihren Herkunftsländern die Verteilungskämpfe zu blutigen Konflikten, sogar zu Genoziden führen und dadurch noch mehr Menschen zur Flucht gezwungen werden.
Wir wissen auch nicht, wie viele Einwanderer zu gesellschaftlich integrierten Landsleuten der Einheimischen werden wollen und wie viele von ihnen lieber einen Platz in den muslimisch sozialisierten Milieus am Rande der Gesellschaft suchen, in denen sie nach herkömmlichen Riten sowie Regeln weiter leben mögen. Insofern ist noch lange nicht abzusehen, was sich bei uns alles verändern wird und wie wir damit fertig werden.
Damit haben wir ein Entwicklungsstadium erreicht, in dem es schon längst nicht mehr mit dem euphemistischen Hehlwort „Flüchtlinge“ getan ist und mit einem weiteren Euphemismus die Sorgen über die Schwierigkeiten, auf die man sich mit der unkontrollierten Einwanderung eingelassen hatte, zerstreut werden sollten.
Weiter ging es mit der Beschwörungsformel: „Wir schaffen das!“
Der Lateinlehrer Sigmar Gabriel, der es zum SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler brachte, ist anscheinend besorgt, dass wir bald mit unserem Latein am Ende sein könnten, wenn für die Einwanderer keine Obergrenze festgesetzt wird. Er nannte es schon im letzten Jahr ein großes Experiment, auf das wir uns mit der Aufnahme von Millionen „Flüchtlingen“ eingelassen hätten.
Doch die promovierte Physikerin Angela Merkel erklärte demonstrativ euphemistisch: „Wir schaffen das“, als hätte sie sich ein Experiment vorgenommen, das der Brockhaus unter der Überschrift „Physik und Philosophie“ mit Bezug auf die Relativitätstheorie als „Erschließung neuer Wirklichkeitsgebiete“ beschreibt. Nach Merkels politischer Philosophie geht es konkret um die Erschließung des Arbeitsmarktes unserer alternden Gesellschaft für junge dynamische Kräfte aus der Migrantenreserve. Viele dieser Migranten werden jedoch voraussichtlich erst dann alpabetisiert, beruflich qualifiziert und demgemäß dynamisiert sein, wenn in großer Zahl weitere Arbeitsplätze der Digitalisierung und Automatisierung zum Opfer gefallen sind.
Wir wissen noch nicht, ob es der Bundeskanzlerin gelingt, das Experiment zu meistern, oder ob sie scheitert wie der erdichtete Zauberlehrling, der mit den Geistern, die er rief, auf Dauer nicht umgehen konnte. Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, ist nicht allein mit ihrer Befürchtung, „dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“.
Es ist halt nicht mehr zu verhehlen, dass Angela Merkel weit mehr Geister als geplant zum Aufbruch ermunterte, als sie eine größere Bereitschaft zur Aufnahme von „Flüchtlingen“ signalisiert und mit diesem gut gemeinten Signal von Mittelasien bis Nordafrika den nicht vorgesehenen Eindruck erweckt hatte, alle Mühseligen sowie Beladenen wären hierzulande willkommen. Und dieser Eindruck wurde durch ihre „leichtfertige“ Beschwörungsformel ebenso vertieft wie durch die weltweit verbreiteten Bilder von Deutschen, die an Bahnhöfen in München sowie anderen Städten zur Begrüßung ankommender „Flüchtlinge“ Spalier standen und sowohl den Einwanderern als auch den Einheimischen frohgemut zuriefen: „Refugees are welcome here!“
Das vermittelte weltweit einen anderen Eindruck von Deutschland als Proteste gegen die Aufnahme von „Flüchtlingen“, die es in den Wochen zuvor gegeben hatte und auch weiter gab. Wie so oft, wenn hierzulande Konflikte auftreten, ging es nicht so sehr darum, ob etwas mit rechten Dingen zugeht, sondern viel mehr um die rechte Gesinnung. Und demgemäß wird dann nicht sachlich diskutiert, sondern moralisch differenziert – wie von Bundespräsident Gauck, der „ein helles und Dunkeldeutschland“ unterschied, als er die Hilfsbereitschaft der einen für Flüchtlinge lobte und die Fremdenfeindlichkeit der anderen tadelte.
Weiß der frühere DDR-Bürger Gauck nicht, dass viele Menschen im Westen die DDR für „Dunkeldeutschland“ hielten? Zumindest müsste er wissen, dass es für viele seiner Landsleute aus der ehemaligen DDR schwerer war, in der Bundesrepublik heimisch zu werden, als sie es sich mit dem Beitritt vorgestellt hatten, und viele sich nicht damit abfinden mochten, dass die Bundesrepublik sich durch die massenhafte Einwanderung von Fremden immer mehr in eine „bunte“ Republik verwandelt. So bunt hatten sie sich nicht die „blühenden Landschaften“ gedacht, die ihnen mit der deutschen Einheit in Aussicht gestellt geworden waren.
Zwischen dem hellen und dunklen Deutschland gibt es eine nicht so spektakuläre Grauzone, in der viele Menschen zwischen Willkommenseuphorie und Xenophobie hin und hergerissen waren und sind – Menschen wie ich, denen es nicht an Mitleid und Hilfsbereitschaft mangelt, aber auch die Frage Sorgen bereitet, wie es weitergehen könnte mit der Masseneinwanderung von „Flüchtlingen“, die mit hohen Erwartungen nach „Deutschlaraffenland“ kamen, aber inzwischen erfahren haben, dass hier nicht Milch und Honig fließen, sondern auch bittere „Früchte des Zorns“ zur Reife kommen.
Ich bleibe bei den Menschen, die sich besorgt fragen, inwieweit die Masseneinwanderung zu sozialen Spannungen führt, die durch religiöse Konflikte verschärft werden könnten, und ob in einer „bunten“ Republik zusammenwachsen kann, was – anders als im Verhältnis zwischen den Landsleuten im einst geteilten Deutschland – nie durch gemeinsame Geschichte sowie Sprache zusammen gehörte.
Für ein Zusammenwachsen reicht es nicht aus, wenn im besonderen junge Männer aus dem islamischen Kulturkreis die Sprache unseres Landes lernen, aber den Geist dieser Sprache nicht so recht erfassen und beispielsweise unter Begriffen wie „Ehre“ oder „Respekt“ etwas verstehen, das der Moral ihrer herkömmlichen Kultur entsprechen mag, dem in unserer Kultur gewachsenen Verständnis jedoch widerspricht.
Die sexuellen Übergriffe nordafrikanischer Einwanderer in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof sowie anderen Orten riefen bei vielen Einheimischen „die alten Ängste vor einer Invasion der Barbaren“ wach, meint der algerische Schriftsteller Kamel, während auf der anderen Seite „Gutmenschen mit der Überdosis Naivität“ in jedem „Flüchtling“ nur ein Opfer sähen und nicht begriffen, dass ein „Flüchtling“ aus dem islamischen Orient mehr oder weniger in „einer Kulturfalle“ stecke, zu der unter anderem die Besitznahme von Frauen gehöre.
Allerdings passt ein strenggläubiger Moslem aus dem Orient zumindest mit seinem Anspruch auf Besitz der absoluten Wahrheit nicht schlecht zu jedem unserer Landsleute gleich welcher rechts oder links orientierten Weltanschauung, der seine Gesinnung ähnlich streng mit dem „Pathos des Absoluten“ vertritt – so Adorno über die Deutschen – und „jede Abweichung“ davon „gereizt ahndet“. Das bestätigt mich in dem Verdacht, dass die alten Glaubenskriege zwischen katholischen „Papisten“ und protestantischen „Ketzern“ in Deutschland immer noch nicht überwunden sind und mit neuen Feindbildern erbittert fortgesetzt werden.
Foto: © von Mstyslav Chernov (Eigenes Werk) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons