Ein Gastbeitrag von Carsten Kimmel
„Der Protestantismus ist eine Hure, die mit jeder neuen Ideologie ins Bett geht!“ (Dietrich Peitz, Pfarrer Neustadt/Weinstrasse)
Landesbischof Bedford-Strohm kürzlich also zu Gast bei deutschen Marinesoldaten, die im Mittelmeer Flüchtlinge retten – das erinnert Sie an etwas? Nun, ad hoc betrachtet mag man sich freuen, dass ein Kirchenvertreter der zeitgenössischen Politik so bereitwillig zuarbeitet. Denn oft standen und stehen protestantische Kirchenvertreter gegen das Handeln der politisch Handelnden, unterminierten gültige Gesetzgebung mit zahlreichen Finten.
Aber waren es wirklich Protestanten, die ihrer jeweiligen Obrigkeit widersprachen? Schon Martin Luther stellte die Prämisse vom Röm 13 ins Zentrum seiner Sozialethik:
„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.“
Die Monarchie also gottgegeben. Luther hatte großes Vertrauen in die weltliche Obrigkeit seiner Zeit, vergaß dabei auffallend deutlich die kaiserliche Obrigkeit, die schon von Amts wegen zur römischen Kirche halten musste und wählte sich die Obrigkeit aus der zweiten Garde: die Territorialfürsten, von denen er eine stattliche Anzahl für sein Reformanliegen gewinnen konnte. Es sei dahingestellt, ob diese zweite Garde der Obrigkeit aus Überzeugung oder aus Machtkalkül der Reformation zuneigte – faktisch stütze sie die Reformation, die Ehe von Thron und Altar war geboren. Hier rächte sich auch, dass anders als etwa in Skandinavien oder England der Episkopat nicht auf die Seite der Reformation gezogen oder gezwungen werden konnte, der Landesherr wurde im Heiligen Römischen Reich somit zudem Notbischof für sein Territorium.
Das hielt in unseren Landen bis 1918 sehr gut. Krawall machten die Protestanten vielfach, aber nicht gegenüber ihren Landesfürsten. Besonders heiter sind hier übrigens die unterschiedlichen Interessenlagen in den deutschen Ländern: war man in Preußen mit seinem evangelischen Landesherrn sehr zufrieden – gerade Wilhelm II. bestieg häufig die Kanzel im Berliner Dom, um die staunende Domkirchengemeinde mit seinem Verständnis von Christentum zu bespaßen. Die Predigten gelten bis heute als misserabel.
Wie arm waren die Lutheraner Bayerns dran, deren Notbischof, die aggressiven römischen Katholiken Ludwig I. und Ludwig III. mehr als einmal bis aufs Blut reizten. 1918 reagierte der Protestantismus schnell: plötzlich galt die Regel von der von Gott eingesetzten Obrigkeit nicht mehr – sobald republikanische Regierungsformen beschritten wurden. In Bayern gar durch die USPD, pochte die Kirche plötzlich auf Unabhängigkeit vom Staat.
Es fanden sich einige Theologen, die auch den Protestantismus mit der Demokratie versöhnen wollten, Ernst Troeltsch und Paul Tillich seien für diese Ausnahmeerscheinungen genannt.
Daneben fanden sich aber neben Religiösen Sozialisten auch frühe Nationalsozialisten, die alle den Protestantismus für ihre Zwecke gebrauchen konnten. Auch wenn die völkische „Deutsche Christen“-Bewegung erst mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten richtig Auftrieb erhielt: sie waren schon vereinzelt seit 1923 aktiv und verpesteten die deutsche Kirchenlandschaft.
Nach 1945 waren nicht alle Protestanten einsichtig, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt hatten. Nur auf Druck der Kirchenvertreter des Auslandes kam es zum Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 (mit dem man sich bis heute auf der Homepage der EKD brüstet). Sie verwiesen auf die vielen Opfer deutscher Theologie und Kirche im 3. Reich und hoffen –bis heute-, dass keiner die prozentuale Verteilung von evangelischen und römisch-katholischen Pfarrer im KZ nachrechnen würde.
Man setzte sich für die inhaftierten Kriegsverbrecher ein, sprach von Siegerjustiz und empfahl sich den Besatzungsmächten in Ost wie West als die einzig integer gebliebene Institution der vergangenen 12 Jahre. Die Rechnung schien aufzugehen: das politische Klima der Regierung Adenauer war gnädig gegenüber den Kirchen, wollte man doch die Mitarbeit der Protestanten in der überkonfessionell gegründeten CDU nicht erschweren.
Außerdem machten es Personen wie Bischof Otto Dibelius in Berlin den ersten Bundesregierungen leicht: sein Engagement für die Wiederbewaffnung brachte ihm hinter dem eisernen Vorhang den Schimpfnamen „Nato-Bischof“ ein. Dennoch verließ den Protestantismus auch jetzt nicht sein Instinkt: man spürte den Wandel und wollte natürlich wieder dabeisein. Die Ost-Denkschrift der EKD bereitete 1965 die Entspannungspolitik Willy Brandts vor.
Als sich in Bayern die Republikaner gründeten, fanden sich sehr schnell bundesweit Pfarrer, die für diese neue Partei warben.
Allerdings war keiner der zeitgenössischen Beobachter darauf gefasst, dass die Bewegung der Umweltschützer und Atomkraftgegner den Protestantismus derart vollständig übernehmen würde. Freilich rechnete auch keiner mit dem Fall der Berliner Mauer und der „Wiedervereinigung“ Deutschlands.
Doch es waren nicht nur die Schwerter-zu-Pflugscharen-Schmiede aus Ostdeutschland, die sich nach vorne geschoben fühlten: die westdeutsche Kirchenbasis war schon lange durch seine Kirchentage im Schunkelrhythmus von lilafarbenen Halstüchern. Plötzlich waren grauhaarige, jahrzehntelang gediente Frauen für die gleichgeschlechtliche Segnung von homosexuellen Paaren, kochten nur noch fair-trade-Kaffee für ihre Mittwochnachmittage im Gemeindezentrum, beteten Liturgien von sehbehinderten Andenaktivistinnen und sammelten Gelder, die der deutsche Fiskus plötzlich auf Konten der Hamas im Gazastreifen auffanden.
Heute ist der Protestantismus flächendeckend von den Grünen unterwandert. So sind Landesbischof Bedford-Strohm, Katrin Göring-Eckardt, Angela Merkel und Joachim Gauck nur einige Repräsentanten des zeitgenössischen Protestantismus. Sie teilen ihre naive Weltschau in trauter Einigkeit in dem Bewusstsein, dass der Protestantismus noch jede politische Staatsform an sein Ende gebracht hat.
Manchmal hat man das Gefühl, man wird in seinem Leben noch viele neuen Ideologien erleben, dem die Nachfolger Martin Luthers und Johannes Calvins auf den Leim gehen.
Zum Autor: Carsten Kimmel (Foto), Musiktexter, Kommunikationswissenschaftler und Neurolinguist lebt und arbeitet u.a. in Paris und im Taunus.
***
Foto (oben): Katrin Görin Eckhardt, seit vielen Jahren eine führende Vertreterin der evangelischen Kirche und zugleich der „Grünen“. Hier beim Polittalk auf dem Hamburg Pride (c) Klaus E. Krauss
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.